Montreux Jazz Festival: Rauch auf dem Wasser

Ausflug zum Lac Leman, zu einem der ältesten Pop-Festivals der Welt. Wie entwickelt man eine Legende weiter?

Zwei Tage am Lac Lemain, der hierzulande unter Genfer See firmiert. Auf der Spur des Geistes des Montreux Jazz Festival. Im 58. Jahr, somit eines der langlebigsten Pop-Festivals der Welt. Der eindrucksvolle Dokfilm „They All Came Out To Montreux“ entfaltet das Lebenswerk von Gründer und Übervater Claude Nobs seit den mittleren Sechzigern. Eine Reise durch Zeiten und Genres. Man sieht Miles Davis aus dem Privatjet klettern. Nina Simone, Stevie Wonder oder Aretha Franklin bei verrauchten Sessions oder in grobkörnigen Bildern den ersten Europa-Aufritt der jungen Carole King. Dazu legendäre Schoten vom abgefackelten Casino nach Leuchtpistolen-Geballer beim Auftritt von Frank Zappa. Ein feuriges Inferno, das wiederum Deep Purple in arge Schwierigkeiten brachte, die dort ihr 1972er-Album „Machine Head“ aufnehmen wollten.

Der Jazz-Begriff wurde in Montreux frühzeitig erweitert und so trafen Größen von Blues, Rock und Soul auf ein internationales Hippie-Publikum. Ringsumher in den Nobel-Hotels lief parallel die Sommerfrische der sonstigen Gäste. Lebensqualität auf Schweizer Art. Auch der (späte) Prince trat hier mehrfach auf. Die umliegende Weinregion Lavaux verewigte er im gleichnamigen Song auf seinem Album „20Ten“. Seine Stars betreute Claude Nobs stets wie eine hyperaktive gute Fee. Er starb 2013 nach einem Skiunfall.

Selbst die Bronzestatue von Freddie Mercury (der wie David Bowie zeitweise in Montreux lebte) musste umgesetzt werden

All das schwingt mit, wenn man am Bahnhof mitten in der Stadt ankommt. Per Rolltreppe geht es hinunter ins Getümmel, auf die Promenade an der Uferkante. Die Festival-Zone zieht sich auf locker zwei Kilometer, weil die ehrwürdigen Konzertsäle Auditorium Stravinski und Montreux Jazz Lab wegen Generalrenovierung nicht verfügbar sind. Selbst die Bronzestatue von Freddie Mercury (der wie David Bowie zeitweise in Montreux lebte) musste dafür umgesetzt werden. Bühnen mit Umsonst-Programm wechseln sich ab mit Fressbuden, Bars oder Pool-Party-Zonen.

Die „Scene du Lac“, welche die historische Markthalle als Eingangsbereich nutzt, ist der spektakuläre Ersatz. Eine Freiluft-Arena für rund 5000 Menschen. Mit einer Bühne, die über den Genfersee konstruiert ist. Dahinter ein Panorama mit Bergen und Sonnenuntergang.

Alice Cooper zum Einstieg wirkt da wie ein Gegengift zur heiteren Montreux-Welt. Ein düsteres Vollbrett mit zwei Gitarristen und einer Gitarristin. Eine Geisterbahn-Revue mit Grusel-Kostümwechseln, Piraten-Duellen und einer finalen Szene aus der Französischen Revolution. „Welcome To The Show“, wie es im aktuellen Album „Road“ heißt.

Der Meister wird per Guillotine geköpft, und reckt seinen blutigen Gummikopf sogleich in den Abendhimmel. Zum Song „I’m Eighteen“ wedelt er mit einer alten Krücke die Vergänglichkeit des wilden Hardrock-Zirkus hinfort. „School´s Out“ wird zur standesgemäßen Zugabe. Doch am eindrucksvollsten gerät zuvor „Elected“, das einen mit unverkennbaren Verweisen auf den Trump-Wahlkampf wieder in der Jetztzeit angekommen lässt.

Komplett anders interpretieren die Montreux-Helden Deep Purple, die bereits zum zehnten Mal an der Stätte von „Smoke On the Water“ auftreten, das 2024er-Vermächtnis des Hardrock. Null Ironie, null Kostüme. Dafür Sänger Ian Gillan im weißen Hemd und Sakko. Es wird improvisiert, was das Zeug hält. Der junge Gitarrist Simon McBride (45) bekommt Auslauf, um seine fingerflinke Kunst zu zeigen. Auch Keyboarder Don Airey darf glänzen. Der wiederum gedachte Band-Legende Jon Lord. Eingangs geht es knallermäßig mit „Highway Stars“ los, und auch das psychedelische „Hush“ als erste Zugabe erzeugt wohlige Retro-Momente. Doch ansonsten legt man hier Wert auf musikalische Momente. Gekonnt aufgespielt ohne viel Firlefanz, könnte man sagen.

Deep Purple

Da sich die langgezogene Festival-Zone der Belustigung oder einem spätabendlichen Elektronik-Programm widmet, bleibt man auch am zweiten Abend konzentriert bei der Hauptbühne mit PJ Harvey und The National. Harvey gewohnt ernsthaft und konzentriert. „I Inside The Old Year Dying“ im Zentrum. Ohne jede Ansage im rustikalen Bühnenbild mit hölzernen Tischen und Stühlen. Die Meisterin mit expressiven Tanzschritten, anfangs im weißen Zauberinnen-Mantel. Mal Gitarre, mal eine hoch gestellte Zither spielend. Sie bekommt die Aufmerksamkeit, die sie verlangt. Langgezogener Beifall, als sie ihre Band vorstellt. Ein wenig muss sie doch lächeln.

The National stehen allerdings in Konkurrenz mit der 83-jährigen Mainstream-Soul-Chanteuse Dionne Warwick im Ballroom-Bereich des örtlichen Casinos. Also geht es zum Atmo-Wechsel einige Ecken weiter entlang am See. Und während unten die einarmigen Banditen rotieren, gibt es oben Montreux-Flair aus den Gründerjahren. „What The World Needs Know“, „Alfie“ oder „Say A Little Prayer“. Einen Song, den sie mit Unterstützung ihres Sohns David Elliott vorträgt. Das passt. Montreux ist in jeder Hinsicht zu einem Mehrfach-Generationen-Festival geworden.

Das 58. Montreux Jazz Festival geht noch bis zum 20. Juli 2024.

Thea Moser
EMILIEN ITIM
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