Darum ist „Modern Family“ eine der besten Sitcoms aller Zeiten
Familie kann die Hölle sein – das erzählt „Modern Family“ mit viel Sinn für Timing und gelungenen Zoten. Trotzdem blieb die irrwitzige Sitcom in Deutschland lange Zeit nur ein Geheimtipp.
Es muss irgendwo da draußen einen Friedhof mit ausländischen Comedy-Serien geben, die es im eigenen Land zu Kultstatus brachten, in Deutschland hingegen böse floppten. Dort würde man traurig vor Grabsteinen von Klassikern wie „Seinfeld“, „Curb Your Enthusiasm“, „Absolutely Fabulous“ oder „30 Rock“ stehen. In der Ferne mit Preisen überhäuft, in Good Ol‘ Germany aber auf die hintersten Nischenplätze im TV verbannt. Oder gar nicht erst gesendet.
Der brillant gespielten und mit einer erstaunlichen Portion Sarkasmus geschriebenen US-Sitcom „Modern Family“ ist dieses Schicksal seit ihrem Start im Jahr 2009 völlig zu Unrecht ebenfalls zuteil geworden Zunächst bei RTL Nitro von einem Sendeplatz zum nächsten verschoben und mit kaum zählbaren Einschaltquoten gestraft, wird die hellsichtig-infantile Komödie um drei höchst unterschiedliche Familien, die sich allesamt auf die Nerven gehen und zum Schluss doch immer wieder gegenseitig in die Arme fallen, im Spätprogramm digitaler Spartenkanäle versendet.
Das ist schade, denn „Modern Family“ hätte auch hierzulande ein größeres Publikum verdient. Weil die Serie sehr viel klüger ist, als es die simple Grundidee vermuten lässt.
Familie ist tot – es lebe die Familie
Mit großem Scharfsinn zeigt „Modern Family“ anhand der vermeintlich typischen amerikanischen Großfamilie Dunphy, dem schwulen (Ehe-)Paar Cameron und Mitchell sowie der Patchwork-Vereinigung um den Möbel-Millionär Jay Pritchett, seiner blutjungen Flamme Gloria und ihrem soignierten Sohn Manny aus Kolumbien, dass das Konzept Familie schon lange reichlich ausgelutscht ist.
Doch was an der Oberfläche dysfunktional erscheint, muss eben nur mit neuem Leben erweckt werden. Auch wenn das vor allem Chaos und den Clash von allerhand Vorurteilen bedeutet. So gallig wie hier zeigten zuletzt die „Simpsons“ vor zwei Jahrzehnten, wie man sich trotz aller Erbärmlichkeiten und Unfähigkeiten schlussendlich wieder lieb haben kann. Und wie man zusammenhält, obwohl wirklich alles dagegen spricht.
Slapstick im Mockumentary-Format
Vollkommen ohne Dosenlachen und mit einem großzügigen Arsenal von Schauplätzen, die über die typischen Sitcom-Szenarien hinausgehen, schenkt „Modern Family“ dem doch in den vergangenen Jahren etwas ausgereizten Genre neues Leben. Geschickt spielt die Serie mit Mockumentary-Elementen (ein Verfahren, das seit „The Office“ bzw. „Stromberg“ auch einem breiteren Publikum bekannt ist), als würden die einzelnen Familienmitglieder in einer Dokumentation begleitet. So sitzen sie immer wieder vor der Kamera, plaudern über ihren verkommenen Alltag oder fallen – natürlich ohne es zu wollen – verbal übereinander her.
Pointiert wird der Ehealltag der Erwachsenen zerpflückt (Phil Dunphy, der verteufelt-verspielte, leicht hyperaktive Gatte; Claire Dunphy, die ehrgeizige, selbstgerechte Helikopter-Mutter mit wilder Vergangenheit; Jay Pritchett, der gut situierte Frührentner mit chauvinistischen Ansichten; Gloria Pritchett, die kolumbianische Wildkatze mit viel Make-Up und Edelschmuck; Mitchell Pritchett, der neurotisch-ängstliche Anwalt; Cameron Tucker, die korpulente Drama-Queen mit Leidenschaft für Clownerien).
Verschroben werden auch die Nöte und Sehnsüchte der Teenager und Kinder ausgestellt. Klar ist: Alex Dunphy kann in der Schule noch so sehr glänzen, mit ihrer Intelligenz kann sie gegen all den Schwachsinn um sie herum doch nicht ankommen. Haley Dunphy interessiert sich mehr für ihr Handy und Pott als fürs College. Luke Dunphy muss als Nesthäkchen damit leben, von keiner Seite beachtet zu werden. Und gegen die fiesen wie entlarvenden Bemerkungen der von Cameron und Mitchell adoptierten vietnamesischen Tochter Lily ist eh kein Kraut gewachsen.
Erhobener Zeigefinger oder Mittelfinger?
Gleichsam anarchisch und im Kern doch liebenswert spielen die Plots in „Modern Family“ geschickt mit den oft als widersinnig und windschief entlarvten moralischen Ansichten der Zuschauer. Während die Autorität der Erwachsenen von Folge zu Folge genüsslich aus den Angeln gehoben wird (gerade wenn es um die dringend nötige Verteidigung von Liebe und Sexualität im Angesicht der Alltagstristesse geht, sind die Drehbuchautoren wenig rücksichtsvoll mit ihren Figuren), gelingt es auch den Kindern kaum, sich gegen den Familienwahnsinn durchzusetzen. Es gibt eben keine Rückzugsmöglichkeiten vor dem Horror der erzwungenen gemeinsamen Zeit. Auch ein Thema, das in jeder zweiten Folge durch den Kakao gezogen wird.
Haley Dunphy versucht es mit Selfies, tumben Boyfriends und einem eigenen Mode-Blog. Manny Delgado macht sich mit dandyesker Anmutung mehr als einmal zum Gespött seines Ziehvaters Jay, der möglicherweise dahinter ebenso homosexuelle Züge erkennt wie einst bei seinem Sohn Mitchell, mit dem ihm eine distanzierte Beziehung verbindet.
Doch wie gemein hier auch gegeneinander intrigiert wird: Am Ende jeder Folge kommen aus dem Off immer wieder versöhnliche Worte, die den Zusammenhalt und die Integrität des American Way Of Life beschwören. Wenn nicht nur Sekunden später ein kurzer Epilog all dies wieder über den Haufen werfen würde. „Modern Family“ verhandelt mit seinen oft albernen, stets aber einfallsreich bebilderten moralischen Fallbeispielen, dass zwar das konservative Bild der Kernfamilie längst in die Brüche gegangen ist, letztlich aber das Bemühen umeinander (auch das Verzeihenwollen von Fehlern) in welcher Gruppierung auch immer die Grundlage für Familie bleibt. So ehrlich und witzig erzählte dies keine andere Serie der letzten Jahre. Die Frage, was modern ist und was nicht, gerät so schnell in den Hintergrund.
Übersprudelnder Spielwitz
Keine Frage: „Modern Family“ wäre nicht halb so gut ohne seine wandlungsfähigen Schauspieler. Ed O‘ Neill darf nach seiner ikonischen Darstellung eines Alltagsproleten in „Eine schrecklich nette Familie“ erneut als Ehemann und Vater ran. Die Weltvorstellungen sind fast die selben geblieben, nur Peggy Bundy muss einer drallen Kolumbianerin weichen, die dem manchmal reichlich verbohrten Durchschnittsamerikaner einheizt. Wie keine andere Figur der Serie steht der von O’Neill verkörperte Jay Pritchett für die längst in die Jahre gekommenen Moralvorstellungen, die hier von Episode zu Episode gegen die Wand gefahren werden. Nicht immer geht der im Grunde seines Herzens sentimentale Jay als Verlierer aus der Schlacht zwischen Vergangenheit und Gegenwart hervor.
Ganz anders als in vielen anderen Comedy-Serien, die sich nicht explizit mit dem Thema befassen, wird in „Modern Family“ dem Ehealltag eines homosexuellen Paares mit viel Liebe zum Detail Platz eingeräumt. Jesse Tyler Ferguson und Eric Stonestreet spielen die charakterlich sehr unterschiedlichen, hochnarzisstischen Liebesvögel mit kieksender Albernheit. Kein schwules Klischee wird ausgespart – und das bis zur Grenze der Parodiefähigkeit. Geschenkt ist, dass sich die Zärtlichkeiten zwischen den beiden auf gelegentliche Umarmungen beschränken und sich die Leidenschaft vor allem auf die Inneneinrichtung der Wohnung verlagert hat.
Am Witzigsten sind aber vor allem die Auftritte von Ty Burrell, der den allzu leicht begeisterungsfähigen Mustermakler Phil Dunphy mit vibrierendem Hang zur Selbstüberschätzung spielt. Immer wieder will sich der Schlacks als perfekter Vater, als versierter Handwerker und verspielter Liebhaber inszenieren – und scheitert gründlich. Doch weil er sich fast als einziger strebend bemüht, steht er auch als erstes wieder auf, wenn er auf die Nase fällt. Ein possierlicherer Kommentar zur Krise des modernen Mannes lässt sich kaum denken.
Folgen Sie dem Autor, wenn Sie mögen, auf Twitter und auf seinem Blog („Melancholy Symphony“).