Mode & Verzweiflung
Obacht, Trainingsjacken-Schluffis: Madsen und Bosse reißen die Punkrock-Wunde in den wiedererstarkten deutschen Gitarren-Pop. Die einen verzweifelt, der andere voll positiv
Bekannt und beliebt durch die Castor-Transporte: das norddeutsche Wendland. Und ausgerechnet von dort, aus einem 80-Seelen-Ort, erreichen uns in diesen Tagen neue Gesänge, geschrieene Signale, die zwar nicht von übermäßigem rhetorischem Geschick zeugen, aber gerade deshalb viel Platz zum Interpretieren bieten. Einfache Rock’n’Roll-Sprache, schon in MTV-Rotation: Madsen, eine weitere Band Mitte 20, die mit Gitarren und deutschen Texten versucht, ihre Verzweiflung und Lebensfreude auszudrücken. Oder gleich: verzweifelte Lebensfreude.
„Wir sind keine optimistische Band“, klärt Sebastian Madsen schnell auf. Einer der drei Madsen-Brüder, die zusammen mit Bassist Niko Maurer und Folkert Jahnke an der Orgel die runderneuerte Version einer Lokalformation mit dem charmanten Namen Hoerstuatz bilden. Den gezielten Wandel „von Platten-Gekratze und Sprechgesang zu melodiöseren Ergebnissen“ unterstrich man mit der Umbenennung in den Familiennamen der Bandbrüder. Früher: Crossover mit Welt-Verbesser-Texten. Jetzt: einfacher Garagen-Rock und „seriösere Geschichten“. Weil eben alle spüren, daß sich im deutschen Pop viel geändert hat in den letzten Jahren.
Die neuen Madsen-Werke sind voller Wut, ängstlicher Unruhe und traurigen Wünschen nach Veränderung. „Die Perfektion“, erste Single aus dem Album „Madsen“ läuft längst auf MTV: „Lückenlos, narbenfrei, glattpoliert, schön und reich/ Was du brauchst, wird gekauft/ Ich seh gut aus, bitte kauf mich auch!“ Das Lied erzählt nicht etwa von einer Personifikation des Perfekten, sagt Sebastian Madsen – vielmehr geht es um die ironisch umschriebene Erkenntnis, daß es solche Perfektion nicht gibt. Inspiration waren die ersten Kontakte mit der Unterhaltungsindustrie.
Und obwohl Madsen fast nichts besseres passieren kann, als mitsamt ihren sehr persönlichen Emo-Songs vom Publikum vereinnahmt zu werden, wollen sie über einen Auftritt bei „Top Of The Pops“ „erst diskutieren“ und ihre „eigene, unabhängige Lok fahren“. Lauter als die anderen, aber genau so nett.
Man würde Madsen nie vorwerfen wollen, daß sie auf einen freundlich vor sich hintuckernden Zug aufspringen würden – aber vor Kettcar, vor Wir sind Helden und vor den Sportfreunden hätte eine Band wie sie wohl nicht so schnell einen Major-Vertrag bekommen. Überraschend ist allerdings der härtere Drall in Richtung Punk, den man sonst mehr von melancholischen Jugendhaus-Bands kannte. Aber wer sagt denn, daß der sprichwörtlich wiedererstarkte deutsche Gitarren-Pop nur aus Hoffentlich-wird-alles-gut-Hymnen bestehen muß? „Als ich ungefähr sechs war, sagte meine Mutter, ich sei ein Alpha-Kind und unverbesserlicher Optimist“, berichtet Axel Bosse, der auf seinem ersten Album „kamikazeherz“ viel zu erzählen hat.
Mit den Tränen der Trennung von der Braunschweiger Jugendband im Auge floh der 24jährige Multiinstrumentalist vor drei Jahren gen Mittelmeer, um unter der Sonne Valencias Pläne für eine Karriere als Alleinunterhalter zu schmieden. Neben dem Säubern von Pools „irgendwelcher bescheuerter Ibiza-DJs“ blieb genügend Zeit, durchschlagende Schlager wie „Kraft“ zu entwerfen. „Ich streck dir meine Kraft entgegen/ Wir haben nur ein Leben/ In Zukunft wird es bunter sein.“ Zeilen, die den mutig nach vorne gerichteten Blick nicht treffender spiegeln könnten.
Bosse ließ sich in Berlin nieder, wo es ihm nicht nur gelang, „öfter als anderswo voll nach Hause zu kommen“ – hier arbeitete er die mitgebrachten Skizzen mit Leuten der gescheiterten Bands Heyday und Uncle Ho aus. Ein Werk, das nur selten traurige Züge aufweist und eher von Selbstbewußtsein und Anpack-Wut erzählt. Daß die Leute Bosse mit Rio Reiser vergleichen – eher eine gelegentliche Stimmähnlichkeit, denn politisch ist das alles nicht. „Ich mag mein Leben einfach gern.“ Ja, das gibt’s auch noch.