M:l-2
Die Einspielergebnisse von Kinofilmen sind Wirtschaftsnachrichten und werden vermeldet wie Aktienkurse. Die von Tom Cruise und John Woo dürften derzeit ins Unermessliche steigen. Ihr Projekt „M:I-2“, das Sequel zu Brian De Palmas „Mission: Impossible“ von 1996, hat bereits nach zwei Wochen sein kolportiertes Budget von rund 150 Millionen Dollar eingespielt. Alle waren zufrieden, nur die Filmkritiker mäkelten etwas herum. Während zuletzt Brian De Palmas „Mission To Mars“ wohl wegen der schlechten US-Medienresonanz der deutschen Presse gar nicht erst gezeigt worden war, wurden diesmal ausgewählte hiesige Rezensenten immerhin noch in eine sogenannte Tradeshow für Kinobetreiber gesteckt, obwohl „M:I-2“ die Welt ohnehin unaufhaltsam überrollen wird. Nachdem Cruise von Stanley Kubrick für „Eyes Wide Shut“ zwei Jahre quasi interniert worden war, hat Hollywood seinen ja langsam alternden Goldjungen endlich zurück. Dem Filmstudio war das 20 Millionen Dollar als Gage wert. Geschäft ist Geschäft.
Das Filmgeschäft in Hongkong indes lief immer schlechter, auch konnte John Woo dort nach Rächer-Balladen wie „The Killer“, der Gangster-Saga „A Better Tomorrow“ oder dem Actionkracher „Hard Boiled“ seinem furiosen Stil nichts mehr hinzufügen, als der Regisseur Anfang der Neunziger nach Hollywood umsiedelte. Sein US-Debüt „Hard Target“ von 1993, ein tumbes,jedoch effektives Actionstück mit Jean-Qaude Van Damme, wurde 1993 von den Produzenten auf amerikanische Sehgewohnheiten umgeschnitten. Auch bei „Operation: Broken Arrow“ mit John Travolta wirkten seine kathartisch mit Zeitlupe choreographierten Schießereien und Gewaltmeditationen neben der westlichen Hölzernheit zu maniriert. Erst bei „Face/Off“ passte alles zusammen. Die Bombe war in einem Gotteshaus versteckt, eine gute Seele schrie im Körper des Bösen um Erlösung, und Nicolas Cage tänzelten Leinwand
diabolisch mit Travolta im Kugelhagel: SW motion, high emotion. Nach „M:I-2“ wird der gläubige, bescheidene Asiate in Hollywood sakrosankt sein.
Woo liebt einfache Geschichten, in der einfache Sätze zu einfachen Gefühlen gesprochen werden, die er dann zu Gesten stilisiert und mit gewaltigen Bildern illustriert. Der Plot von „M:I-2“ folgt dem typischen James-Bond-Muster, hätte aber auch für eine halbstündige Folge der TV-Serie gereicht. Superburschi Ethan Hunt (Tom Cruise), Mitarbeiter einer inoffiziellen Agentenfirma, soll einen gefahrlichen Virus namens Chimera und dessen Gegenmittel Belleraphon wiederbeschaffen, die sein schurkischer Kollege Sean Ambruse (Dougray Scott) gestohlen hat, um diese an einen Pharmakonzern zu verhökern. Dessen Manager will mit dem im Labor gezüchteten Virus in Sydney eine Epidemie auslösen und so den Absatzmarkt des Impfstoffes garantieren. Um Ambruse aufzuspüren, willigt dessen Ex-Geliebte Nyah (Thandie Newton) ein, als begehrter Köder scheinbar reumütig zu ihm zurückzukehren. Kurz vorher haben sich Hunt und die zierliche Meisterdiebin allerdings verliebt Der Konflikt ist im Kern eine Hommage an Hitchcocks „Berüchtigt“ von 1946, bei dem Ingrid Bergman von Gary Grant auf den Nazi Claude Rains angesetzt wurde. „M:I-2“ kann dagegen nur mit optisch virtuoser Suggestion aufwarten. Dennoch hat Robert Towne, 1975 mit dem Oscar für sein Script zu „Chinatown“ prämiert worden, einige Momente adäquat ummodelliert. Bei dem ödipalen Rains warnte die Mutter vor dem Weibsstück, hier ist es durch Ambruses missmutigen Kumpel Stamp (Richard Roxburgh) ein homoerotisches Motiv. „Manche müssen mit der Bürde ihrer Sexualität leben“, zischelt Ambruse und zwingt Stamps Finger dann in einen Zigarrenabschneider: „Ich gehe das Risiko ein, weil ich scharf auf sie bin.“
„M J-2“ ist ein einziger – nur im Subtext manchmal ironisch befleckter-Altar des Hedonismus und bietet der sogenannten Risiko- und Eventgesellschaft alle kicks und joyrides. Die Fortsetzung geht wortwörtlich mit einem cliffhanger weiter. Immer kurz vorm Absturz, hangelt sich Freeclimber Hunt in atemberaubenden Szenen durch die roten Felsen von Utah. Später hechtet er aus einem Hubschrauber, obwohl die Dachluken unter ihm noch nicht geöffnet sind. Mit Lust an der Gefahr werden auch Luxusautos auf spanischen Serpentinen zu Schrott gefahren. Hunt jagt in einem Porsche dem Audi TT von Nyah hinterher – so balzt der Macho um eine moderne Frau. Und die Cabriolets kreiseln in Zeitlupe ballettartig zu buddhistischen Chorälen, so als gäbe es ein Leben nach dem Tode.
Bei Woo wird alles plakativ, aber kunstvoll etikettiert. Hunt trägt schwarzes Leder und ist von weißen Tauben umgeben, die Woo stets als Vorboten des Helden aufsteigen lässt, wenn der Showdown dräut. Wie Sean und Hunt, also Chimera und Belleraphon, dabei mit Motorrädern balancieren, ist technisch und ästhetisch ein unfassbares Meisterstück aus Stunts und Spezialeffekten. „M:I-2“ huldigt sich selbst zu Recht als muskulöses Männer- und High-Tech-Vehikel, das schon im akronymen Filmtitel auf die digital codierten Fetische unserer Zeit verweist Hier sind Sonnenbrillen mit Satelliten vernetzt und können Menschen durch einen Chip unter der Haut überall geortet werden. Logik ist dabei unwichtig. Allein der Film könnte die Aktien von Internetfirmen nach oben treiben.