Der Plan und MORITZ R – Die Musik ist vergessen, die visuelle Phantasie erweist sich als zeitlos
Mit seiner Band Der Plan war MORITZ R Wegbereiter der Neuen Deutschen Welle. Die Musik ist vergessen, seine visuelle Phantasie aber erweist sich heute als zeitlos
Moritz Reichelt machte sich ernsthafte Sorgen um seine beiden Freunde. Der eine, Frank Fenstermacher, „verwandelte einen immer größer werdenden Teil seiner Kohle in Koks. Er war kaum noch ansprechbar, redete wirres Zeug, das er für unglaublich bedeutsam hielt, und las einem bei jeder sich bietenden Gelegenheit seitenweise Texte aus irgendwelchen Büchern vor, die ihn gerade beschäftigen.“ Und der andere, Kurt Dahlke, schloß sich der obskuren Nichiren-Shoshu-Sekte an, „einer Richtung des Buddhismus, die organisiert in der japanischen Politik mitmischt“ und die japanische Wirtschaftsexpansion ideologisch eskortiert.
Gemeinsam hatten die drei mit ihrer Gruppe Der Plan den Doraus, Nenas und Extrabreits den Weg zum Erfolg geebnet und Glanz und Elend der Neuen Deutschen Welle erlebt. Doch 1992, nachdem sie sich 13 Jahre lang auf dem schmalen Grat zwischen dem Underground und dem Mainstream, der Kunst und dem Kommerz bewegt und es sogar zu einer Japan-Tournee gebracht hatten, waren alle Gemeinsamkeiten verbraucht. Die drei Paradiesvögel mit den bunten Bühnenbildern, niedlichen Texten und lieblichen Melodien waren einander überdrüssig geworden. Ihre Streitereien eskalierten nach einem Konzert in Köln, bei dem Dahlke Reichelt immer wieder ins Wort fiel und „auf eine unglaubuchjecke Art versuchte, „gute Laune zu produzieren“. Die dienstälteste Neue-Welle-Band löste sich auf- und fragte sich erst sehr viel später: Gibt es denn ein Leben nach dem Plan?
Von nun an versuchte Reichelt, seinen „unkontrollierten Konsum von Haschisch“ in den Griff zu bekommen. Er verfaßte ein Buch, „die Geschichte einer deutschen Band“, und widmete sich verstärkt wieder der Malerei. Schon zu Zeiten der NDW, als Reichelt noch Roboter beim Angeln oder im Kindergarten gepinselt hatte, war ihm die zeitgenössische Kunst so erklärungsbedürftig wie ein Videorecorder vorgekommen – „schlechtes Design und komplizierte Gebrauchsanleitungen“.
Nun malte er gegen die Behauptung an, derzufolge zeitgenössische Kunst nicht ohne Fachwissen zu begreifen sei. Moritz R, wie Reichelt sich markenrechtlich geschützt nennt, entwarf „visuelle Pop-Songs“ und stellte seine Bilder in Hamburg, München und sogar in Los Angeles aus. Für die Zeitschrift „Tempo“ porträtierte er Prominente wie etwa Uschi Obermeier, Ulrich Wickert oder Thomas Gottschalk. Und für den Entwurf des Logos sowie die Ausstattung des Medienmagazins „Canale Grande“ auf dem Privatsender VOX wurde der Ex-Planer sogar mit dem Grimme-Preis und dem „Goldenen Gong“ ausgezeichnet.
Mit seinem „Popkatalog VoL 1“ legt der kreative Tausendsassa nun erstmals eine umfangreiche Werkschau in Buchform vor, die dokumentiert, wie sträflich er von Kritikern unterschätzt wurde. Denn Reichelts „postpsychedelische Malerei“ besteht keineswegs nur aus den naiv-lustigen Platten-Hüllen, die er für Depeche Mode und Andreas Dorau gestaltete, sondern sie beinhaltet auch ebenso respektvolle wie respektable Cover-Versionen von Picasso, schalkhafte Miro-Zitate und auf einem Commodore Amiga programmierte „Cybergirls“. Unter dem Einfluß von LSD, das sich – mühsam im Selbstversuch getestet- als „beste, da wichtigste Droge“ für die Malerei herausgestellt hatte, entstanden künstlerische Schnappschüsse mit so surrealen Titeln wie „Dr. Hofmanns berühmte Velo-Fahrt“, ein Porträt des LSD-Erfinders während eines freiwilligen Drogentests. Mental von Punk und Picasso geprägt und inspiriert von „primitiver Kunst an zivilisierten Orten“ (wie dem Tiki-Kult der Amerikaner etwa oder der „Reliefart“ der alten Azteken), präsentiert er sich nicht zuletzt als genialer Karikaturist, der’s auch hervorragend versteht, sich selbst zu inszenieren.
Nicht minder meisterhaft beherrscht das Metier der Selbstdarstellung übrigens auch Reichelts Ex-Kumpel, der eingangs erwähnte Frank Fenstermacher: Sein geklönter Körper ist gleich 32 mal lebensgroß im Frankfurter „Museum für moderne Kunst“ zu sehen – in Katharina Fritschs „Tischgesellschaft“, die zur ständigen Ausstellung dieser Sammlung gehört.
Und die Künstlerin wiederum gab seinem neuen Projekt, das er gemeinsam mit „Pyrolator“ Kurt Dahlke betreibt, den Namen: a certain frank. Als „Drift Away Music“ oder „E-Surf bezeichnen die übrig gebliebenen zwei Plan-Drittel ihren Flirt mit Space Pop und Easy Listening, Trance und Ambient, Eno und Sakamoto. Daher ist es kein Wunder, daß sich ihr collagenartiger Groove in Japan doppelt so gut losschlagen läßt wie hierzulande, wo man vom Debütalbum „No End Of‘ mit Mühe und Not bisher gerade mal tausend Stück verkauft hat. Und wo Fenstermacher mit seinem Hausboot, dem Ata-Tak-LabeL, gegen die Wellen ankämpfen muß, die von den Supertankern der amerikanischen Unterhaltungsindustrie erzeugt werden – ganz so, wie es bereits 1989 von Moritz R. gemalt wurde.
Dabei verknüpfen a certain frank auf dem Album „nobody? no!“ derart gekonnt Barmusik und Latino-Pop, TripHop und LoFi-Jazz zu ganz eigenen elektronischen Sinfonien, daß man darüber ins Schwärmen geraten kann. Allein die Chance, überhaupt gehört werden zu können, ist heute geringer denn je. Denn welcher Radiosender traut sich schon, „stilunabhängige Sinn- und Gebrauchsmusik“ zu spielen, die nicht nur in die Beine, sondern auch in den Kopf geht?
„Wir werden wieder gebraucht“, so hatte Der Plan 1992 vergebens gehofft – und sich im Anschluß an eine Tournee mit Andreas Dorau, die kaum jemand sehen wollte, deprimiert aufgelöst. Das Unvollkommene ihrer Kunst und ihr einzigartiger Mut zur bewußten Peinlichkeit waren im wiedervereinigten Deutschland nicht mehr gefragt Moritz Reichelts verbittertes Resümee ist heute aktueller denn je: „Es gibt nun mal nicht soviele Menschen, die um so viele Ecken denken können, wie es unsere verschachtelte und verklausulierte Plan-Welt erfordert.“