Mit Lust an Ekel, Absurdität und Perfidie ist WILL SELF zum Protagonisten der neuen britischen Pop-Literatur avanciert
Ha ja, da sitzt also jemand mit nacktem Hintern über einem Marsriegel. Ein anderer fragt ihn, warum er das tut, und der Typ antwortet: Wegen der Würmer. „Normalerweise schiebe ich mir drei oder vier Tage lang jeden Tag einen Marsriegel in den Hintern. Am vierten Tag (…) lege ich das Mars auf den Boden und kauere mich darüber. Wenn der Wurm dann aus meinem Arschloch rausschaut, um nachzusehen, was mit seinem Frühstück los ist, pack ich ihn beim Hals und zieh‘ ihn raus.“
Es soll Leute geben, die können über so etwas nicht lachen. Die mögen auch „Trainspotting“ nicht und Prodigy, weil: Drogenabhängigkeit ist ein ernstes Thema. Und Taubheit sowieso. Aber eben solche Leute muß Will Self im Kopf gehabt haben, als er seinen Roman „Spaß“ schrieb: geistige Kleingärtner, die Leichenficken schlimmer finden als Marketing, und die bei der Sequenz über das Land der Kinderwitze, aus dem die obige Passage stammt, kopfschüttelnd das Buch zuklappen. Spätestens. Diese Leute brauchen jetzt auch nicht mehr weiterzulesen. Hier geht es nämlich um junge englische Literatur, also um düstere Phantasien, böse Spaße und die letzten Tabus, um Fellatio bei Hunden und eßbare Zahlungsmittel.
Damit hinterher niemand sagen kann, er hätte nichts davon gewußt, beginnt der 35jährige Self seinen ersten Roman, den er in England schon vor drei Jahren – nach einer Kurzgeschichtensammlung und zwei Erzählungen – veröffentlichte, gleich mit einem Exzeß: Gefragt nach seiner Idee von Spaß, schwelgt der Protagonist Ian Wharton in einer Killerphantasie: In der U-Bahn reißt er einem Penner den Kopf ab, um hernach den Halsstumpf zu ficken. Der kleine Donner ist jedoch nur Anreißer für die nun folgende Lebensbeichte des jungen Briten. Seine Kindheit als dicker Junge. Seine Begegnung mit dem Teufel in Form einer berühmten englischen Kinderbuchfigur, dem eigentlich herzensguten Eisenbahnangestellten: Der Dicke Kontrolleur.
Seine Karriere im Marketing, deren Höhepunkt die Werbung für eßbare Schecks und Kreditkarten ist. Und ganz besonders seine Hingabe an Gewaltphantasien. Beziehungswebe Gewalttaten. Oder vielleicht beides. So genau weiß man das nicht Denn das ist der Hakeru Mit der Zeit geht sowohl der Hauptfigur als auch dem Leser die Grenze zwischen Realität und Illusion verloren.
Und das ist im Sinne des Autors. „Im Kern des Buches geht es um den Zusammenhang zwischen visueller Kreativität und destruktiver Einbildungskraft des Psychopathen. Da gibt es, glaube ich, eine enge Verbindung™.“
Man kann sich darüber streiten, auf welcher Seite Self selber steht: „Die Sequenz am Anfang des Buches ist eine ehrliche Momentaufnahme aus meinem Hirn“, erklärt der glückliche Familienvater aus London. „So geht es zu in meinem Kopf, ich sehe oft Bilder, um die ich nicht gebeten habe.“ Dazu passend murmeln so gut wie alle, die den Linksradikalen getroffen haben, von seinem bösen Blick und seiner dämonischen Aura.
Hinzu kommt eine aussagekräftige Vergangenheit: Self war (und ist?) drogensüchtig und spielte in der Punkband „Will Self And The Abusers“, studierte aber auch Philosophie, und das immerhin in Oxford. Kein Wunder, daß die Kritiker zwischen Ekel und Bewunderung hin- und hergerissen sind. Einerseits möchte niemand jubeln, wenn ausführlich Fellatio an einem toten Pitbull geschildert wird, auch wenn Self sagt: „Ich habe das nur geschrieben, um die Leute zu ärgern.“ Andererseits merkt inzwischen auch das Feuilleton, daß in England eine Kulturrevolution stattgefunden hat – und mit ihr eine verzerrte Rückkehr der Realität.
Denn darum geht es in der neuen englischen Literatur: Um das Leben, das wir alle kennen, die Vorlieben, die wir teilen, und den Irrsinn, der uns beschäftigt.