Mit LULLABY FOR THE WORKING CLASS meldet sich die milde Melancholie der Provinz
Ein Loch in der Wand irgendwo an einer Ausfallstraße von Austin. Lullaby For The Working Class spielen in einer Bar, die sich genauso nennt, nämlich „Hole In The Wall“, und immer, wenn sie jemand verläßt, um einem aus der halben Hundertschaft Wartender vor der Tür seinen Platz zu überlassen, kriegt Bassist AJ. Mogis die Tür in den Rücken. Denn eine richtige Bühne gibt es hier nicht, und das Kammer-Rock-Orchester spielt vornehmlich auf Hockern, vereinnahmt den ganzen Raum neben dem Eingang. Vorn sitzt Ted Stevens, der so aussieht wie er heißt, aber ganz sanft singt, sowie Mike Mogis. Der zupft das Banjo und trägt eine Fliege sowie einen keck gezwirbelten Mittelscheitel.
Am nächsten Tag fläzt das halbe Dutzend Musiker von Lullaby For The Working Class auf den zwei kleinen Betten eines Hotelzimmers und findet es irgendwie lustig, daß der Kritiker der „New York Times“ am Abend zuvor vor der Tür bleiben mußte. Obwohl: Die Leute in Lincoln/Nebraska, also Eltern und Lehrer und so, hätte eine Kritik in der wichtigsten Zeitung des Landes bestimmt beeindruckt. Egal, jetzt liegen sie auf den Betten, schauen so zersaust aus wie die Person auf dem Coverfoto ihres Albums „Blanket Warm“. Eine verhangene Gemütlichkeit liegt im Raum, Limo aus großen Plastikflaschen wird mit Schnäpsen gemischt, geraucht wird Gras. Irgendwie schneien immer mehr junge Menschen in den Verschlag, alles Freunde aus Lincoln, alle spielen in irgendwelchen Bands, und alle haben ganz zufällig ein Tape dabei, das sie gerne mal in den Kassettenrecorder stecken.
„Das weiß niemand, aber in Nebraska gibt’s phantastische Bands“, erklärt Mike, der den liebgewonnenen Landstrich allenfalls zum Touren verläßt. „Wenn du in einen kleinen Club in Lincoln gehst, siehst du weit bessere als in Los Angeles. Da wird eben nicht alles gleich von den Plattenfirmen weggekauft.“
Deshalb war auch die eigene Formation lange ohne Vertrag. Doch dann hörten die Betreiber des „Bar-None“-Labels mal in das lustig bemalte Tape rein, das ihnen von Lullaby zugeschickt worden war.
Erstaunlich, mit welcher Gravität die Musiker zu Werke gehen, die schon mal in Anzügen auf die Bühne staksen, um ihrer Ernsthaftigkeit Nachdruck zu verleihen. Die alterslose, feierliche Musik auf „Blanket Warm“ verbreitet milde Melancholie. Es bimmelt an allen Ecken; Glockenspiel, Banjo und Streicher lullen ein, am Ende wünscht Ted „Good Night“, und dann zirpen noch fünf Minuten die Grillen. Eine Schwermut ist das wie in den Country-Symphonien von Lambchop.
Bei Lullaby For The Working Class dreht es sich so oder so immer um diesen schönen Zustand der Horizontalen. Daß sie in ihren Schlafliedern auch den einen oder anderen dramatischen Moment eines ansonsten undramatischen Lebens beschreiben, geht da schon mal unter. „Honey, drop the knife“ flötet Ted – und es klingt wie: Süße, laß doch noch ein bißchen das Radio an!