Mit Linkin Park in der Kathedrale des Hyperpop
Was „League of Legends”, Alternative Rock und E-Limousinen mit Hyperscreens verbindet. Ein Roadtrip nach London.
Linkin Park haben ihren Spaß beim Ausflug ins Paralleluniversum der Gaming-Szene. Über 20.000 euphorisierte Zuschauer jubeln ihnen zu. Viele davon sind aus Asien eingeflogen, manche verkleidet im Fantasy-Look der Cosplayer. Sängerin Emily Armstrong tobt zur neuen Hymne „Heavy Is The Crown“ über die Bühne der Londoner O2-Area, die mit ihrer futuristischen Zeltkonstruktion einst als Millennium Dome errichtet wurde. Ein furioser Energieschub, verpackt in eine Art Showcase mit viel Pyro und Geböller.
Die Headliner an diesem Abend heißen aber T1 und BiliBili Gaming, kurz BLG. Zwei jugendlich wirkende Fünferteams aus Südkorea und China, die in weißen Trainingsanzügen die Weltmeisterschaften des Strategie-Baller-Spiels „League Of Legends“ (LoL) ausfechten. Unter dem Kuppeldach hängen monströse Videowürfel, die für die nächsten Stunden angefeuert werden wie sonst im analogen Leben Taylor Swift oder der FC St. Pauli.
Sonorer Klang im „rollenden Wohnzimmer“
Wir haben uns auf Spurensuche begeben. In eine Welt, in der Pop mal wieder neu definiert wird. Im Zentrum stehen technologische Entwicklungen, die als mobile Alltagsbegleiter der Zukunft über digitale Konzepte wie die Abbatare aus der „Voyage“-Show hinausgehen. Die Konzepte erinnern eher an die TV-Comicserie „The Jetsons“, die bereits in den 1960er-Jahren auf allerlei Bespaßung in ihren fliegenden Untertassen zurückgreifen konnten.
Mercedes hat uns dazu als Sponsor der „League of Legends“ auf einen Roadtrip von Paris nach London eingeladen. Mit Elektromodellen der EQE/EQS-Klasse, in denen schon heute „Hyperscreens“ verbaut sind, die wie längliche Riesenbildschirme das traditionelle Armaturenbrett ersetzen. Lautsprecher der Berliner Edelmarke Burmester sorgen für sonoren Klang im „rollenden Wohnzimmer“.
Mit rund 500 Kilometern Reichweite ist ein entspanntes Dahindriften möglich, mit gelegentlichen Lenkrad-Korrekturen wie von Geisterhand. Selbst wenn es noch eine Weile bis zum komplett autonomen Autofahren, dem so genannten „Level 5“, dauern wird, bestimmt es bereits heute Image und Diskurs bei den Technologieführern. 2025 sollen als erster Schritt über eine App hunderte Cloud-Spiele in aktuellen Mercedes-E-Modellen verfügbar sein – vorerst nur im Parkmodus.
Ein weltweites Mega-Business
Die Helden an der Gaming-Maus in der Arena, darunter „LoL“-Superstar Lee Sang-Hyeok alias Faker von T1, sitzen derweilen an langstreckten Tischen auf einem Schwarzen Podest und hecken an ihren Bildschirmen Angriffszüge aus. Bei der trickeichen Zoneneroberung übernehmen Spiel-Figuren wie Ahri oder Jinx spezielle Aufgaben. Drachen werden getötet, Wehrtürme zerbröselt. Vom Grundprinzip ein Mix aus Schach und American Football. Nur viel, viel komplexer.
Heute längst ein weltweites Mega-Business, das der US-Spieleentwickler Riot Games seit 2009 aus diesem digitalen Fantasy-Szenario gemacht hat. Mit weit über 100 Millionen Spielern und Spielerinnen, deren Profi-Teams in regionalen Qualifikationsrunden mit Halb- und Viertelfinals ihre Meister finden, die weltweit auch Online bis zum Londoner Finale verfolgt werden. Es sind längst Dimensionen, die den Tourzirkus der meisten Superstars im Rock und Pop in den Schatten stellen.
So ist kein Wunder, dass Linkin Park bei der „LoL“-Pressekonferenz brav bis belustigt ihre Verbindung zur Gaming-Szene herausstellen. Sänger Mike Shinoda erkennt gar „Synergien in den Fanlagern“ und verweist auf den zockenden Nu-Rocker von nebenan. In den Gründungsjahren Ende der 1990er sei er als gelernter Grafikdesigner selbst fasziniert von dieser damaligen Nerd-Underground-Kultur gewesen. Heute sieht er als Endvierziger durchaus eine Chance, über ihre Gaming-Hymne „Heavy Is The Crown“ neue, jüngere Generation für das Linkin-Park-Comeback-Album „From Zero“ begeistern zu können.
Beim Herumstreifen durch die Gänge der Area in den Pausen zwischen den fünf Spielrunden stellt sich angesichts des wuseligen Durcheinanders all der Fans in „LoL“-Merchandising das Gefühl ein, in eine fernöstlich geprägte Popkultur einzutauchen, bei der alle Grenzen zwischen Musik, Film, Gaming und Technologie längst aufgelöst sind.
Rapperin Ashnikko („Paint The Town Blue“) als weiterer Show-Act des Abends bezieht sich auf die Netflix-Serie „Arcane“, deren Hauptfiguren Vi und Jinx wiederum aus dem „League of Legends“-Universum stammen. Welche Dimensionen diese Faszination mittlerweile angenommen hat, war bei einer Ausstellung in der Art-Deco-Dependance des Nobel-Kaufhauses Galleries Lafayette auf der Champs D’Elysee in der „LoL“-Halbfinals-Stadt Paris zu besichtigen. Rund um eine fette Foyer-Installation in Steampunk-Optik kann man Clips schauen, Fan-Fotos machen und allerlei Sammler-Gadgets erstehen. Die Las-Vegas-Band Imagine Dragons schrieb einst den ersten Soundtrack dazu.
Globale Ansprache einer jüngeren Zielgruppe unter 30
Durch ihre Spin-Offs wabern Computerspiele wie „LoL“ ins wahre Leben. Sie ziehen Kreise bis hinein in die Autoindustrie, für die der asiatische Markt oft gleichbedeutend für Innovation ist. Die dortige Kundschaft verbindet modernes Autofahren bereits heute mit digitalem Entertainment, so dass die Verbindung zur Gaming-Kultur weit über altvordere Auto-Marketing-Konzepte a la „Golf Genesis“ oder „Golf Bon Jovi“ hinausgeht. Daraus ist längst eine globale Ansprache einer jüngeren Zielgruppe unter 30 geworden, mit der die Strategen Buzzwords wie Zukunftsfähigkeit, Nachhaltigkeit, E-Mobilität und Sharing-Economy verbinden.
Vor der O2-Arena, wo die „LoL“-Trophäe in einer elektrischen G-Klasse zur Fotosession für die Fans wartet, steht eine Hi-Tech-Hüpfburg, mit der man springend Strom genieren kann. Nebenan im gläsernen Pavillon die feuerrote Mercedes-Studie namens Concept CLA Class, mit minimalistischem Innenraum und länglichem Bildschirm. Ein interaktiver Messestand für die Kundschaft der Zukunft?
„League of Legends“-Fernturniere also demnächst von der Autobahnraststätte
Mercedes-Pressechef Rob Halloway, der als Londoner einiges von Popkultur versteht und zudem ein Bekannter von Grime-MC Tinie Tempah ist, zieht einen erweiterten Rahmen auf. Es ginge weiterhin um hochwertige Autos im gehobenen Preissegment, die in erster Linie mit Verarbeitung und Qualität punkten müssten. Die imagebildende Gaming-Kultur würde aber nun in die technische Ausstattung selbst Einzug halten, wie eine erweiterte Funktion des Automobils – „League of Legends“-Fernturniere also demnächst von der Autobahnraststätte.
Er erzählt von einem befreundeten Musikproduzent, der seine neuen Studioaufnahmen in einem Mercedes-Innenraum testet, weil dort der Klang so gut wäre. Der Charakter des Autofahrens wird sich mit diesen Entertainment-Tools langfristig ändern, auch wenn es in der Strom-Auto-Generation weiterhin viele Fahrer und Fahrerinnen geben wird, die einfach nur solide und sicher von A nach B kommen wollen.
Zum Abschluss verweist Halloway auf den britischen Formel-Eins-Fahrer Lewis Hamilton, der vom Herzen her ein Rapper sei. Sehr gut für ein modernes Markenbild – am Ende würde dieser Transfer aber nur mit seiner Leistung auf der Rennstrecke funktionieren.