Mit ihrem Debüt konnte Beth Orton die gesamte Kritik im Handstreich gewinnen
Man sollte seine Idole lieber doch nicht persönlich treffen. Selbst wenn die Gelegenheit dazu unwiderstehlich ist. Beth Orton sagt zwar, sie habe „keine Idole“. Dennoch war sie nach ihrem gemeinsamen Auftritt in der Londoner Royal Festival Hall mit drei Flaschen Schampus in die Garderobe des von ihr hochverehrten John Martyn gestürmt. Allein: Der Meister hatte ein striktes Alkoholverbot erlassen, und er wollte auch lieber fiir sich bleiben. Dabei hatte sie doch einst ihren ersten Spliff zu Martyns 73er-Album „Solid Air“ genossen! Später, sagt sie, habe er dann doch noch ganz nett „Hallo“ gesagt. Aber eine „kleine Enttäuschung“ sei das alles in allem ja schon für sie gewesen.
Der britische Folk-Songwriter war nicht der einzige, der Ofton Trost und Halt in einer eher trost- und freudlosen Jugend in der mittelostenglischen Provinzstadt Norwich gab. Auch Neil Young, Rickie Lee Jones, Nick Drake, Primal Scream und die Stone Roses hielten Händchen. Ermuntert von Musiklehrern lernte Beth Orton zwar ein bißchen Gitarre, doch gegen ihre vorlauten Brüder konnte sich das schüchterne, dünne Mädchen, das im stillen Kämmerlein erste Text-Fragmente zu Papier brachte, nicht durchsetzen. Sie sei „immer außen vor“ geblieben und „mußte auch außen vor bleiben“. Andererseits: „Es provozierte eine Energie, die mich meinen eigenen Weg gehen ließ.“ Erst in London, wo sie zunächst improvisiertes Pub-Theater spielte, konnte sich Beth Orton kreativ freischwimmen. Zumal nachdem Dance-Guru William Orbit sie zum Singen überreden konnte. Ihre erste Übung: das Martyn-Cover „Don’t Wanna Know About Evil“! Weitere Song-Beiträge für Dance- und Techno-Acts (Strange Cargo, Red Snapper, Chemical Brothers) und Sessions mit Primal Scream-Musikern ebneten den Weg zu Ortons eigenem Debüt „Trailer Park“. Das Album sollte eigentlich komplett mit Samples bearbeitet werden. Dann jedoch entwickelte der Aufnahmeprozess „ein Eigenleben“ und etliche Akustik-Songs „funktionierten einfach so hervorragend, daß ich sie in dieser Form beließ. Das erschien mir einfach aufrichtiger.“ Was eher als „mein Versuchsballon“ gedacht war, machte Beth Orton gleich zur großen Hoffungsträgerin. Aber hatte sie wirklich geglaubt, ein Album mit Produzentennamen wie Victor Van Vugt und Andrew Weatherall würde „ignoriert“ werden? Orton: „Okay, Victor ist bekannt, aber doch kein großer Star! Gut, bei Andrew war mir klar, daß die Leute darauf stehen könnten. Und ich fürchtete sogar, sie würden die anderen Tracks nicht mögen. Aber es ist schön, daß sie sich auch für den Rest interessieren.“ Die britische (Musik-)Presse hofiert die erst 26jährige Sängerin und Songschreiberin als „’90s Joni Mitchell“ und „modern minstrel“. Und bringt sie natürlich gleich in Stellung: als zeitgemäße Antwort des Insel-Pop auf den Retro-Rock der Ami-Frauen Morrisette, Crow etc. Orton findet die Frauendebatte langweilig. „Als ob mich nur mein Geschlecht zu etwas Besonderem machen würde. Gähn!“ Und was die US-Kolleginnen betrifft: Stimme gut, Texte gut, aber „sie vergessen dabei zu oft die Musik! Als ob die nicht zählen würde. Für mich ist die Musik sehr wichtig, wohl weil ich bisher vor allem mit Leuten aus der Dance-Szene gearbeitet habe, die glauben, man könne genausoviel mit einem Instrumental sagen. Deshalb ist mir alles gleich wichtig: Melodie, Text, Gesang.“