Mit „Hits And Misses“ wird der Musikalität von Muhammad AliTribut gezollt
Er hatte es ja schon immer gesagt:, Jch bin der Größte!“ Das Problem war nun Anfangs glaubte ihm das noch niemand. Man hielt Muhammad Ali einfach für ein Großmaul. Sonny Liston gab ihm deshalb noch vor dem ersten Kampf ein paar Ohrfeigen – im Nachhinein der erste Schritt zu Alis Unantastbarkeit. Ali hatte nämlich solche Panik vor Listen, dass er sich aufführte wie ein Verrückter. Bis der einfach gestrickte Liston seinerseits Angst bekam. Denn bei einem Verrückten weiß man nie. Liston verlor beide Kämpfe – und war ein gebrochener Mann. Weil er gegen etwas verloren hatte, was er nicht einschätzen konnte: Verstand.
Fähigkeit zur Selbstreflexion hat oft viel mit Herkunft zu tun.
Ali hatte mit behütet aufgewachsenen, weißen Arbeiterkindern wie Elvis viel mehr gemeinsam als mit dem aus Sklavenähnlichen Verhältnissen stammenden Liston, der dann prompt in den Händen der Mafia gelandet war. Ali war einer der wenigen Weltmeister, die nicht der Mafia gehörten. Er wurde von einem weißen Investoren-Pool gemanagt. Und später von der separatistischen Sekte Nation Of Islam (NOI). Was von der „New York Herald Tribüne“ mit dem Schmeling/Hitler-Pakt verglichen wurde. Aber immerhin hatte NOI-Führer Elijah Muhammad Kontakt zum Ku-Klux-Klan, um gemeinsam an der Rassentrennung zu arbeiten. Die NOI war weniger eine politische Gruppierung als vielmehr, wie James Baldwin in „The Fire Next Time“, einem Klassiker der Bürgerrechtsbewegung, sinngemäß sagt, ein Krankheitssymptom der Gesellschaft.
Ali konnte nur so bedeutend werden, weil etwa Baldwin, Martin Ludier King oder der späte Malcolm X ein solides „Black & Proud“-Fundament für seine große Klappe geschaffen hatten und andererseits Verhältnisse herrschten, die sich seit Sklavenzeiten kaum verändert hatten. Bezeichnend dafür war die ständige Suche nach einer „Weißen Hoffnung“ im Boxen. So etwas wurde die 60er Jahre hindurch ganz offen diskutiert. Weil es an der Vorstellung von der Überlegenheit der weißen Rasse kratzte, dass es keine weißen Boxer mehr zu geben schien.
Ali kämpfte hauptsächlich gegen schwarze Kollegen. Das war unvermeidlich. Und es ist auch verständlich, dass er Tommi Smith und Juan Carlos mit ihren gereckten Fäusten bei den Olympischen Spielen in Mexiko besser fand als George Foreman, der, politisch eher unreflektiert, die US-Flagge schwang. Aber Ali teilte die Welt genauso in Gut und Böse, Überlesen und Minderwertig ein wie die NOI oder der KKK. Er ließ sich auf Rollen ein – die ihm aber auch entsprachen. Er behandelte Frauen, wie man das als Macho, welcher Hautfarbe auch immer, eben tat. Und er glaubte zu sein, wozu er sich selbst stilisiert hatte: The People’s Choice. Er zimmerte sich nach klassischen Pop-Fantasien: „Nixon regiert nur ein Land“, sagte er einmal. Er selber wolle eher wie der König der Welt wirken.
Allerdings reflektierte er nicht, warum er so etwas nötig hatte. Musste er auch nicht. Durch seine Weigerung, in den Vietnam-Krieg zu ziehen, entzog er sich endgültig allen Maßstäben. Auf Ali konnte man alles projizieren. Nicht nur eigene Fantasien von Stärke. Es ging um Größeres: Das Gute. Echtheit. Unbezwingbarkeit. Ali wurde zum Supermann der Entrechteten. In ungerechten Zeiten ein verständliches Konzept. Eine Zeit lang war jeder Kampf ein Ereignis wie die erste Mondlandung. Nur einer hatte es vorher so weit gebracht: Joe Louis, dessen legendärste Geschichte gar nicht von ihm handelt, sondern von einem Schwarzen in der Gaskammer, dessen letzte Worte waren: „Rette mich, Joe Louis.“
Und Louis hielt in politischen Dingen hübsch den Mund. Dagegen hätte es eine Zeit lang niemanden gewundert, wenn Ali wirklich die Welt gerettet hätte. Sein Motto war bereits übermenschlich: „Float like a butterfly, sting like a bee.“ Ali konnte fliegen. Und zwar richtig. Nicht wie später Michael „Air“ Jordan, der nur durch Nike-Werbung zu Superkräften kam.
Und damit sind wir auf der anderen Seite. Jenseits der begrifflichen Aufarbeitung. Bei der Begeisterung, die Ali auslöste. Rund um die Welt Wie „Hits And Misses -Muhammad Ali And The Ultimate Sound Of Fistfighting“
(Trikont) sehr schön zeigt, gingen nach jedem Kampf die Leute in die Tonstudios, um das Unglaubliche auszudrücken, das sie gesehen, gefühlt und gedacht hatten.
Vor allem vom legendären „Rumble in the Jungle“ gegen Foreman scheint kein Moment unbesungen. Boxen war durch Ali so weltbewegend geworden, dass sogar seine Gegner zum Objekt der Heldengesänge wurden. Wobei alte Soul-Heroen wie Don Covay eher für Ali waren, während die erste Reggae-DJ-Liga, wie Dennis Alcapone oder Big Ybuth, auch den kleinen Joe Frazier gut fand. Nicht nur als unglaublich rhythmischen Boxer, sondern auch wegen der zwei, drei Soul-Platten, die Frazier aufnahm – ein guter Sänger in der Tradition von Otis Redding. Alis musikalische Versuche sind dagegen nicht mal Xavier Naidoo. Sogar Foreman ist noch besser. Vor allem in seinem zweiten Leben als Prediger. „Gott schickte mir eine Rechte“, singt er, offenbar immer noch verwirrt von Alis Faust, die ihn im Dschungel ausknockte. „Und ich widmete ihm mein Leben.“
Gott wohlgemerkt. Nicht Ali. Und es ist Gott, dem er bis heute dient. Obwohl die Zeiten eher wieder nach Supermann schreien. Nur sind sie eben nicht nur ungerecht, sondern auch noch gottlos. Weshalb wir uns wohl mit lauter kleinen Superstars abfinden müssen. „Rette mich, Daniel Küblböck!“ Was für ein Witz!