Mit Green Day haben die Amerikaner den Punk entdeckt. So what the F.U.C.K.
Vor drei Jahren noch lebte Tim Armstrong in einer Obdachlosen-Unterkunft der Heilsarmee. Heute trifft sich der Gitarrist der Ami-Punk-Band Rancid mit Superstars wie Madonna zum Dinner. Um Rancid zu einem Plattenvertrag mit ihrem „Maverick“-Label zu animieren, hatte die Sextrice ihnen ein freizügiges Madonna-Polaroid geschickt und sie zum Essen eingeladen – eine charmante Art, einer Band ein Angebot zu machen. Der volle Körpereinsatz war jedoch umsonst: Die Punks widerstanden den Verlockungen der geschäftstüchtigen Edelschlampe und hielten dem Indie-Label Epitaph die Treue. Daß, vor allem in den USA, ein Punk-Revival grassiert, das sogar Madonna unruhig werden läßt, hat mit dem Erfolg von Green Day zu tun, deren Album „Dookie“ sich allein im Mutterland der Rockmusik mehr als fünf Millionen mal verkaufte. Green Day, die noch vor einem Jahr als Vorgruppe der Toten Hosen durch Deutschland tourten, „haben“, so Hosen-Sänger Campino, „Punk-Rock als Lebensgefühl in die amerikanischen Charts gebracht“. Die Leser des amerikanischen ROLLING STONE wählten das Trio zu den „Artists of the year“, und für den Grammy wurden sie gar gleich dreimal nominiert. Erklären kann sich das Punk-Revival und den kommerziellen Erfolg von Bands wie Green Day oder The Offspring, die im Herbst ’94 zeitgleich in den Top Five der US-Charts rangierten, keiner so recht. Lawrence Livermoore von Lookout! Records, Green Days erster Plattenfirma, kann den plötzlichen Hype nicht verstehen, weil die Musik alles andere als neu ist Für Brett Gurewitz von Epitaph Records ist es noch nicht mal ein RevivaL weil Punk ja nie tot war. Dexter Holland, Sänger und Gitarrist von The Offspring, stellt nur lakonisch fest: „Wir haben eine Platte gemacht, die sich prima verkauft, und Green Day ebenso. Aber das ist es dann auch schon. Punk wird sich immer gegen traditionelle Werte und das Establishment richten. In den Texten kriegen zu viele Leute ihr Fett weg, als daß diese Musik jemals zum ganz großen Kommerz werden könnte.“ Am ideologischsten gibt sich da noch Lars Frederikson von Rancid: „Wenn es je eine Zeit gab, in der diese Musik Sinn machte, dann jetzt In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit müssen die Leute wachgerüttelt werden. Die 90er sind ein Jahrzehnt, in dem es nicht möglich ist, Spaß zu haben.“ Mag ja sein, daß dem einen oder anderen Hörer die Anleihen bei der Camp-Punk-Band The Damned oder die Stranglers-, UK Subs- und Jam-Zitate allzu vertraut vorkommen. Doch wenn Du 17 bist, hast Du nicht alles schon mal erlebt Dann wirst Du vielleicht zum ersten Mal in Deinem Leben von diesem „1,23,4!“-Gefühl überwältigt, wenn Du die Bates auf VTVA siehst oder Musik von britischen New-Wave-of-New-Wave-Bands wie S*M*A*S*H und Elastica hörst. Wenn Du 17 bist, interessiert es Dich nicht, daß m einem Londoner Theater „The Great Rock’n’Roll Swindle“ aufgeführt wird – wer geht denn schon ins Theater? Mit 17 ärgerst Du Dich höchstens, daß es Johnny Rottens Memoiren nur in einer teuren Hardcover-Ausgabe gibt Oder daß man Dir zum Geburtstag ein Pearl-Jam-Album geschenkt hat, obwohl Du Dir doch eigentlich diesen obskuren Hannover-Punk-Sampler Jung kaputt spart Altersheime“ gewünscht hattest. Mit 17 hat man einfach noch Träume – und keinen Bock auf die uralten Geschichten, wie damals alles anfing, mit den PistoLs, Patti Smith und den Ramones, und wie dann alles den Bach runterging, mit Alfred Hilsberg, den Pistols und Sham 69. Die Biographien von Rancid, Green Day oder The Offspring scheinen Frederikson, der sich als Teenager fast zu Tode soff, jedenfalls recht zu geben. Sie lesen sich so authentisch, als hätte man sie gefälscht Green Day-Sänger Billie Joe Armstrong beispielsweise wuchs mit seinen fünf Geschwistern in ärmlichen Verhältnissen auf; der Vater, ein LKW-Fahrer und Jazz-Drummer, starb, als Billie Joe zehn war, zwei Jahre später hörte der notorische Bettnässer zum ersten Mal The Clash und die Sex Pistols. Sein Bassist Mike Dirnt, Sohn einer Fixerin, wurde gleich nach der Geburt weggegeben, mußte jedoch, als sich seine Adoptiveltern scheiden ließen, zu seiner Mutter zurück, die ihn aber schon bald mit seinem ungeliebten Stiefvater sitzen ließ. Nur Tre Cool alias Frank Edwin Wright IQ wuchs in „geordneten“ Verhältnissen auf – in den Mendocino Mountains, einem der Hauptanbaugebiete von Marihuana, eine halbe Meile entfernt vom nächsten Nachbarn. Der hieß Lawrence Livermoore und hatte gerade – was’n Zufall – das Lookoutl-Label gegründet Livermoore findet es großartig, daß Green Day heute für TV-Shows engagiert werden, fürchtet aber, daß sie ihre jugendliche Unschuld, ihren Enthusiasmus und ihre Energie im big business verlieren könnten. Vom Ausverkauf der Punk-Ideale ist mal wieder die Rede, und per Flugblatt wurden Green Day gar aufgefordert, sich zu verpissen, weil sie MTV „in unsere Szene gebracht haben“. Es blieb nicht nur bei verbalen Attacken. In San Francisco schlugen Punks Jello Biafra, einst Sänger der Dead Kennedys und heute mit Green Day befreundet, krankenhausreif, weil er die Bewegung verraten habe. Da hilft es dann auch nicht, wenn Billie Joe Armstrong erklärt, sie seien zu tief im Underground verwurzelt, als daß sie über Nacht „Rock-Stars, richtige Arschlöcher also“ werden könnten. Bei den echten Hardcore-Punks haben Green Day längst verschissen. Same old story. Erst baggern Punk-Bands wie blöde, damit sie ein paar Platten verkaufen, und wenn dann eine von ihnen Erfolg hat, gibt es Ärger. So benötigten The Offspring zweieinhalb Jahre, um 1000 Exemplare ihrer ersten Single loszuwerden. Als sie dann aber von „Smash“, dem bestverkauften Indie-Rock-Album aller Zeiten, drei Millionen Stück absetzten, warf man ihnen vor, daß sie bei der Verleihung der „Billboard Music Awards“ den Anheizer spielten – immerhin in T-Shirts, auf denen Nettigkeiten zu lesen waren wie „You stupid dumbshit goddam motherfucker“. Formiert wurden The Offspring bereits 1984, nachdem Dexter Holland und sein Cross-Country-Team-Gefahrte Greg Kiesel ein Konzert von Social Distottion verpaßt hatten. Obwohl sie anfangs weder Instrumente besaßen noch darauf spielen konnten, rekrutierten sie Kevin Wasserman als Gitarristen. Mit seinen stolzen 21 Jahren war der wenigstens schon alt genug zum Bierholen. Es dauerte fast zehn Jahre, bis sich all die Abende im Übungsraum, im Studio und auf Tournee rentierten. Heute lehnen The Offspring Fernsehauftritte kategorisch ab, weil sie sich nicht medial verheizen lassen wollen. Was unter anderem dazu fuhrt, daß Offspring-Fans mitunter ihrem Idol Dexter Holland Eintrittskarten für ein Offspring-Konzert verkaufen wollen, weil sie zwar die Musik, nicht aber sein Gesicht kennen. Da ergeht es Green Day schon anders, die spätestens seit Woodstock II weltweit bekannt sind. Bassist Mike Dirnt wurde beim Festival in Saugerties zwar von einem Ordner ein Zahn ausgeschlagen, doch ihr Auftritt war ein wunderbares Happening, das an selige alte Zeiten erinnerte. Ohne mit den Wimpern zu zucken, schrubbten Green Day ihren Drei-AkkordPunk runter, während sie von ihren Fans mit schlammigen Grasfladen beworfen wurden, so daß sie bald aussahen, als seien sie gerade einem Moorbad entstiegen. Armstrong, Dirnt und Tre Cool, der seine Tochter in einem Anfall von Heldenverehrung Ramona getauft hat, avancierten daraufhin zu populären Cartoon-Charakteren. Die Punk-Rock-Flagge möchten sie nun aber nicht mehr schwenken. Armstrong: „Du kannst nicht im ROLLING STONE und auf MTV erscheinen und gleichzeitig noch eine Punk-Band sein.“ Wirklich nicht? Hat sich nicht alles verändert seit jener großen Punk-Explosion Ende der 70er Jahre? Damals hieß der erklärte Feind aller Punks noch John Travolta und tanzte im weißen Kellneranzug durch den Bee-Gees-verseuchten Disco-Film „Nur Samstag Nacht“. Heute indes gilt Travolta in Punk-Kreisen schon wieder als Kultfigur, weil er in „Pulp Fiction“ einen koksenden Killer spielt.