Mit fulminanten Piano-Gassenhauern und delikatem Sarkasmus haben sich Ben Folds Five eine Gemeinde erspielt. Was hat das mit Reinhold Messner zu tun?
von Birgit Fuss Ein Held und ein guter Kerl“ ist der Reinhold Messner. Das denken zumindest Ben Folds Five, die ihn natürlich nicht kennen, ihm aber im Booklet zum neuen Album danken. Der Titel lautet schließlich „The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner“ und hat gar nichts mit dem Mann zu tun, der als erster den Mount Everest ohne Sauerstofflasche bestieg. Da besteht natürlich Erklärungszwang. Sänger, Pianist und unfreiwilliger Bandsprecher Ben Folds starrt seinen Kollegen Darren Jessee an, aber der Bassist macht keine Anstalten, irgendetwas zu erzählen. Also erbarmt sich Folds: „Darren und seine Kumpels haben den Namen in der Highschool für ihre gefälschten Ausweise benutzt, damit sie Alkohol kaufen konnten. Reinhold Messner muß damals häufiger in den Nachrichten vorgekommen sein. Wir wußten allerdings gar nicht, ob er noch lebt oder ob er überhaupt eine reale Person ist.“ Womit die Gelegenheit, sich eine wirklich gute Begründung für einen wirklich großartigen Albumtitel auszudenken, vergeben ist. Und alle Vorurteile über amerikanisches Allgemeinwissen bestätigt. Mit Alpinismus hat das Trio aus North Carolina aber auch gar nichts am Hut, obwohl sich Drummer Robert Sledge erinnert, „mal auf einen echt hohen Berg in Virginia geklettert“ zu sein. So simpel die Statements der drei sind, so formvollendet klingt ihr Album. Mit fast dreister Leichtigkeit erschaffen Ben Folds Five Songs, die perfekter nicht sein könnten und doch nie überfrachtet klingen. Manchmal schmachtet Folds fast wie Barry Manilow, trotzdem spricht er von einem „düsteren kleinen Album“. Dabei muß er wissen, daß die Melodien überhaupt nicht dunkel sind, höchstens traumhaft dämmernd, und schon gar kein Mini-Format haben. Burt Bacharach hätte bestimmt seine helle Freude an manchen dieser Lieder, so zeitlos sind sie geworden. In Zeiten, da täglich gute Bands ohnehin schon schlechte Plattenverträge verlieren, freut sich Folds über seine kleine Nische. „Das Grausame am Musikgeschäft ist doch, daß die meisten unserer Mitstreiter irgendwann – eher früher als später – karrieremäßig im Straßengraben landen. Shit habpens. Und die, die dabeibleiben, sind immer diejenigen, die nicht nur in die Gegenwart passen, sondern auch außerhalb des momentanen Kontexts Bestand haben. Wer weiß, ob Elliott Smith demnächst noch zählen wird? Jetzt finde ich, daß er ein toller Songwriter ist, aber in ein paar Jahren? Da kann er schon komplett abgemeldet sein.“ Für seine eigene Band hegt er solche Befürchtungen nicht: „Ich bin ziemlich sicher, daß ich auch in 15 oder 20 Jahren noch stolz bin auf das, was wir gemacht haben. Egal, ob uns dann noch irgendwer hören wilL“ Seine Selbstsicherheit hat sich Folds hart erarbeitet. Zu Beginn wollten selbst seine besten Freunde nicht darauf wetten, daß das Konzept funktioniert. Bei Ben Folds Five erhöht schließlieh gerade ein Vakuum den Wiedererkennungswert: Auf Gitarren wird immer noch verzichtet. Nicht etwa, weil das Trio stur wäre. Man kann ja über alles reden. „Wir haben darüber nachgedacht – das ist doch kein Dogma. Aber wir brauchen einfach keine Gitarren. Die würden nur stören.“ Den Begriff „Klavier-Rock“ mag Folds allerdings auch nicht mehr hören, er langweilt ihn. Und außerdem hat man diesmal nicht an Streichern und Bläsern gespart, „Klavier-Rock“ wäre also etwas zu kurz gegriffen. Veränderung ist für diese Band aber keine Strategie, sondern eine Notwendigkeit „Ich würde mich ganz gern mal wiederholen, aber ich kann mich leider kaum an unsere alten Songs erinnern. Heute haben wir mal versucht, ein Lied vom ersten Album zu spielen, und ich wußte gar nicht mehr, wie’s geht.“ Die Art, wie Ben Folds Geschichten erzählt von seltsamen Menschen und falschen Entscheidungen, von verkorksten Lebensläufen und unsinnigen Liebesleiden, erinnert bisweilen schon an southern storyteüingf auch wenn der Sänger von Faulkner, O’Connor oder Percy nicht viel gehört haben will. Immerhin gibt er zu: „Eigentlich können nur Südstaatler die Songs wirklich richtig verstehen. Wir drücken uns eben so aus, wie wir’s aus unserer Jugend kennen, und wir kommen ganz klar aus dem Süden. Die Umgebung dort paßt schon zu uns: die Erzähltradition, das geringe Interesse an Technologie und die langsame Art zu reden und zu denken. Äh, ja. Sehr southern. Sind wir. Oder?“ Ein Blick in die Runde bringt nicht viel. Der Rest der Band denkt noch etwas langsamer. Derweil hat Folds schon das nächste Thema gefunden. Ein kurzer Exkurs über Sklavenhaltung und die Last der Geschichte, den Bürgerkrieg und moderne Rednecks nimmt abrupt ein Ende, als Folds gähnen muß und leicht angewidert feststellt: „Zu viel über sich selbst reden ist ungesund.“ Also erzählt er lieber, daß der „Hospital Song“ zwar nur aus fünf Zeilen besteht, aber all seinen Horror vor Krankenhäusern ausdrückt – und vorÄrzten: „Die diagnostizieren irgendwas, und du mußt es einfach glauben. Und dann stirbst du – vielleicht nur, weil du einer Fehlinformation aufgesessen bist.“ Nicht gut. Auch „Army“ beschäftigt sich mit einer traurigen Lebensgeschichte: Da will ein Typ zum Militär, aber Papa sagt nein. Also steigt er in eine Band ein, die sich bald wieder auflöst („artistic differences“ natürlich). Die Reunion findet ohne ihn statt „I nuked another grandma’s apple pie/And hung my head in shame.“ Pech haben die Charaktere meistens bei Ben Folds. Ausgerechnet in einem Song namens „Magic“ heißt’s: „I knew you’d be gone as soon as you could/ And I hoped you would.“ Kann Liebe schön sein. Oder etwa nicht? „Doch, doch. Ich liebe Liebeslieder. Es gelingt mir nur nicht, welche ganz straight und blauäugig zu schreiben. Immer sind da diese Ecken.“ Doch selbst die fiesesten Passagen klingen kein bißchen gemein – das ist ja das Geheimnis. Und die Diskrepanz zwischen Aussage und Vortrag ergibt „hoffentlich interessante Stücke“. Nun wird der Mann auch noch bescheiden. Eins muß Folds dann aber doch noch in eigener Sache loswerden: Ben Folds Five sind eine „richtige“ Band, kein Kopf mit Begleitpersonal. Im Studio entsteht erst durch das Zusammenspiel der drei Musiker ihr typischer Sound. Diskussionen bleiben natürlich nicht aus, wenn Folds mal in eine andere Richtung prescht als seine Kollegen. „Ich will immer in die Singer/Songwriter-Ecke – zu Neil Sedaka und Sarah McLachlan“, so Folds mit Schalk. „Aber Richard möchte nur Rock machen, und Darren sucht immer den Jazz. Irgendwo in der Mitte treffen wir uns dann. Und kurz bevor alles auseinanderbricht, vertragen wir uns wieder. Ich für mich allein wäre jedenfalls nur ein armer Winsler, der andauernd von sich selbst singt.“