Mit Familienanschluss – Wer beim Haldern Festival auftritt, hat seinen kleinen Nachruhm schon sicher
ALTER REITPLATZ, HALDERN. Man gerät nicht in Vergessenheit, wenn man mal in Haldern gespielt hat. Treue Seelen tragen auch Jahre später noch T-Shirts von Bands wie HAL, Ghinzu, Krezip oder der Mull Historical Society auf dem Festivalgelände spazieren. Schließlich gehören sie zur Familie. Am Niederrhein stehen die Freude am Entdecken und Wiedersehen des bereits Entdeckten im Vordergrund. Da sind auch schon mal völlig unbekannte Bands Headliner. So etwa Loney Dear, die am Samstagabend in der Prime Time ihr, wie Sänger Emil Svanängen sagt, „zweites Konzert in Haldern und erstes Konzert in Deutschland spielen“. Genauso war es. Erst stellten sie sich der ländlichen Jugend auf der Pressekonferenz in der Dorfkneipe vor, ein paar Wochen später stehen sie vor den aus nah und fern angereisten Festivalbesuchern. Die lassen sich von der Euphorie der Eingeweihten anstecken, singen am Ende gar mit – und kaufen fleißig T-Shirts. Eine typische Haldern-Karriere.
Die legten auch die Magic Numbers hin. Letztesjahr noch spielten sie nachmittags im ROLLING STONE-Spiegelzelt, während auf der Hauptbühne The Coral ihre Retromaschine anwarfen, nun sind sie der meist beklatschte Headliner am Freitag. Von „This Is A Song“ bis „The Beard“ wird mitgesungen, bis Jamie T hinter der Bühne etwas ungehalten wird und in seinen Wurstteller flucht. Dabei gab es bei seinem Auttritt zwei Stunden zuvor eigentlich nichts zu mäkeln. Aufmerksam lauschte man seinem mit der nötigen Schnoddrigkeit vorgetragenen Cockney-Pop, und am Ende sprang der Funke über. Kann man von Spiritualized nicht sagen. Während die Maccabees und Patrick Watson das rappelvolle Spiegelzelt zum Kochen bringen, singt Jason Pierce mit Gospelchor und Streichquartett die vor der Hauptbühne Verbliebenen in den Schlaf.
Bei den Watersboys wachen sie wieder auf. Vermutlich zunächst denkend, es wäre ein ganz normaler Fernsehabend. Sie wären vor dem Fernseher eingeschlafen und zu einer alten Ausgabe des WDR-Relikts „Rockpalast“ wieder aufgewacht. Wie aus einer Zeitmaschine entsprungen, stehen die Waterboys – ebenso wie ihre Songs in Früh-Seventies-Garderobe gewandet – auf der Bühne, Richard Naitt kippelt nach ELP-Art die Schweinorgel, und Mike Scott springt wie Ian Anderson auf einem Bein umher. Zeitgleich spielen Electric Soft Parade ihre süffigen Kiffer-Songs ohne große Gesten, geben einem aber auch nicht das Gefühl, wieder zurück in der Gegenwart zu sein. Schnell ins Bett und hoffen, dass man nicht mit Koteletten und Schlaghosen aufwacht. Voxtrot und Johnossi lassen die Nostalgie am nächsten Tag noch angenehm nachhallen. Malajupe verbreiteten mit ihren langen Instrumentalpassagen eindeutig 90er-Jahre-Lounge-Stimmung, Architecture In Helsinki klingen, als wären Cyndi Lauper und die Beastie Boys in einen schweren Unfall geraten und Men At Work hätten erste Hilfe geleistet. Die auf dem Haldern Pop-Label gesignten Shout Out Louds haben mit ihrem Cure-New-Wave-Gemisch natürlich ein Heimspiel. Im Gegensatz zur „neuen Indie-Rock-Hoffnung aus Norddeutschland“. So kündigte Jan Delay sich und seine Band Disco No. i mit leichtem Spott an und machte sich einen Spaß daraus, nach jedem Song erneut darauf aufmerksam zu machen, dass er nicht einer von den jungen Männern mit den komischen Frisuren und den Gitarren ist, die zuvor zwei Tage lang die Bühne bevölkerten.
Das Publikum nimmt’s mit der nötigen Selbstironie und ist schnell auf seiner Seite. Am Ende macht Delay ein Friedensangebot, die Band spielt das Riff von „Seven Nation Army“, und er schwenkt ein weißes Tuch dazu. Nun gehört auch er zur Familie.