Mit „Drop City“ verabschiedet T. C. Boyle die Utopien der 60er Jahre. Sein Roman vom Scheitern einer Hippie-Kommune ist dabei gelegentlich satirisch, vor allem aber erstaunlich mitfühlend
T.C. Boyles neuer und, wie man’s bei ihm inzwischen gewohnt ist, foliantendicker Roman „Drop City“ (Hanser) ist ein gelegentlich satirischer, aber nie hämischer, vielmehr mitfühlender und trauriger Abgesang auf die 60er Jahre. So ähnlich wird das wohl wirklich gewesen sein, als ausgerechnet mit dem Dekadenwechsel die große Desillusionierung einsetzte, die Flower-Power-Träume von Brüderlichkeit, Friede, freier Liebe, von drogistischer Mutation à la Leary, vom großen Einklang mit der Natur etc. sich als das erwiesen, was sie waren: hübsche, manchmal sogar grandiose Ideen, die an der schroffen Wirklichkeit zuschanden gingen, eben weil sie nur Ideen waren.
Es waren nicht allein der Law & Order-Staat, Big Brother, die Rednecks und Kontroll-Faschisten, auch wenn sie den Dropout-Gemeinden bürokratische oder was auch sonst noch für Fußangeln auslegten, es waren wohl doch vor allem die gruppeninternen Konflikte und Widersprüche, die so manche Landkommune zu Fall brachten.
Boyle, der hier das Scheitern einer solchen Hippie-Sozietät – passenderweise in den Jahren 1970/71 – imaginiert und dabei leicht spöttisch, aber auch liebevoll detailbesessen ihre Alltags-Usancen, Sprachregelungen, Verhaltensmuster beschreibt, lässt von Anfang an keinen Zweifel daran, dass ein derartiges Experiment stets von innen heraus bedroht ist. Schon im Willkommenslächeln, mit dem die eingesessenen Brüder und Schwestern den Neuling bedenken, zeigt sich das Prekäre der Lage: „Sie lächelten, ja, aber er kannte dieses Lächeln schon…, dieses schmallippige Geschwisterlächeln, in dem auch die Sorge um angebrannten Haferbrei mitzuschwingen schien, denn wie viele hatten sie schon willkommen geheif Jen? Er war neu. Ein neuer Freak. Ein weiteres Maul zu stop fen, und würde er mitarbeiten, würde er bleiben und den Garten jäten, das Dach reparieren, eine neue Abwasserleitung legen von den ständig verstopften Klos bis zu dem erst halbfertigen Rieselfeld, kurz gesagt: Würde er die Investition von Zeit und Atemluft wert sein, oder würde er sich nur durchvögeln, den ganzen Tag lang kiiffen, billigen Wein saufen und zwischendurch mit einem Teller in der Hand zum Essen antreten?“ Auch hier, wie in jedem anderen Schweinesystem, unterscheidet man also schon zwischen nützlichen und weniger nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft – na wenn das kein Verrat am uneingeschränkten Hippie-Liberalismus ist!
Noch ein Problem kommt hinzu. Selbst im milden, sonnigen Kalifornien scheint die Assimilation an die Natur nicht recht gelingen zu wollen, ist die beanspruchte Autarkie nichts weiter als eine Illusion. Ohne staatliche Sozialhilfe in Form von Essenmarken und ohne den gut gefüllten Supermarkt in der nächsten Stadt, hätte „Drop City“ nie existieren können. Dann überschlagen sich die Ereignisse. Bagger rücken an, der Staat Kalifornien enteignet Norm Sender, den Besitzer der Farm und Kommunen-Guru, weil dieser jahrelang alle Zahlungsaufforderungen ignoriert hat, aber der hat wie immer die rettende Idee: Alaska. Da nämlich, fernab der Zivilisation, könne man endlich ernst machen mit dem Leben in und von der Natur.
Nun hat Boyle, dieser ausgefuchste Erzähler, in einem zweiten parallel geführten Handlungsstrang Alaska längst eingeführt und am Beispiel von Sess Härder (die Namen sind übrigens alle sprechend in diesem Buch!) in schöner Deutlichkeit gezeigt, wie einer sein muss, der es aufnehmen will mit der lebensfeindlichen Natur dort oben: pragmatisch, handwerklich geschickt, zäh, nüchtern und vor allem kaltblütig bis zur Brutalität. Alles Tugenden, die unsere Schar Blumenkinder eigentlich nicht besitzt – oder doch zumindest nicht schätzt. Und so bekommt Norms landeskundlicher Exkurs über die schiefen Bäume Alaskas, den sogenannten „besoffenen Wald“, als die Gruppe die letzte Außenstelle der Zivilisation, Fairbanks, hinter sich lässt, um in die Wildnis aufzubrechen, etwas von einem düsteren Menetekel: „Also, die Sache mit diesen Bäumen ist eben, dass sie ihre Wurzeln nicht tiefer als sechzig Zentimeter ins Erdreich reinkriegen, und dann kommt ein Windstoß daher und schmeißt sie halb um.“
Und so ähnlich kommt es dann auch. Nach und nach gehen alle Hippie-Schwärmereien von Solidarität, Altruismus und Erleuchtung den Yukon runter. Sogar die freie Liebe wird zum Problem, wenn die Antibaby-Pille alle ist und man sich Filzläuse einfängt. Notgedrungen verliert sich schließlich auch der edle Natur-Romantizismus. Das Tier ist nicht mehr länger Mitgeschöpf, sondern bloßer Nahrungsspender: Von Sess Harder lernen, heißt überleben lernen. Ein paar versuchen das tatsächlich, die meisten jedoch suchen das Weite. Und als selbst das Motivationstalent, ihr Leitstern Norm „Drop City Nord“ verlässt – angeblich nur, um die juristischen Streitigkeiten in der alten Heimat aus der Welt zu schaffen -, da sieht es doch eher aus, „als wenn das Ganze total auseinanderkracht“. Aber der Roman endet offen. Boyle jedenfalls, der hier eine hübsche Melange aus Jack London und Thomas Pynchons „Vineland“ zusammengerührt hat, würde ihnen den Erfolg gönnen.