Mit der B-Side fängt das Zocken an – Xbox und Playstation von ROLLING STONE getestet
ROLLING STONE testet die beiden heiß erwarteten Konsolen – und legt dabei dieselben Maßstäbe an, als würden wir eine Vinyl-Schallplatte auf Plattenspielern testen.
Nach sieben Jahren tut sich mal wieder was am Video-Spiel-Markt: Die Playstation 5 und die Xbox Series X erscheinen. Der Rolling Stone testet die Konsolen – und legt Bewertungsmaßstäbe an, nach denen wir Musik testen würden.
Es ist eine grandiose Zeit für Zocker. Stündlich, minütlich, nein, fast schon sekündlich, wurden in den letzten Monaten Schlagzeilen herausgefeuert. Einige davon sagten ziemlich direkt „Ausverkauft!”. Andere versprachen die „Wahrheit” über die Zukunft des Spielens. Was fast alle gemeinsam haben: Es wird von „Terraflops”, „Frames per Second” oder „HDMI-Irgendwas” geschrieben. Was alle gemeinsam haben: es geht um eine tief-technische Analyse der neuesten Videospiel-Konsolen. Aber wie fühlt es sich an, mit solch großen Versprechungen einen Abend zu verbringen? Braucht es das? Und: Entspricht das zu investierende Geld auch dem guten Gefühl, das man dafür bekommen soll?
ROLLING STONE hat – so hoffen wir zumindest – von einigen Dingen Ahnung. Beim Thema technische Feinheiten einer Spielekonsole lernen wir natürlich gerne noch dazu. Wir mögen die Dinger: Dampf ablassen, vom nervigen Alltag ablenken, in fremde Welten eintauchen … Moment! Das sind ja alles Dinge, die wir auch aus dem Plattenladen kennen! Wie wäre es mit einem Test der neuen Konsolen, der den Kriterien entspricht, die wir auch auf lange ersehnte Vinyl-Schätze anwenden?
Das „Release-Gefühl”
Da steht sie also vor einem, die lange erwartete Evolution der Videospiele. Zwei große, in futuristischer Einfachheit bedruckte Päckchen. Die Klarsicht-Folie abknibbeln, über das frische und unberührte Cover streichen – ein aufregendes Gefühl. Und eine Frage, die man auch von Platten kennt: Was erwartet einen hinter dieser dünnen Schicht Karton?
Hier sind es zwei kleine Universen – (noch) eingesperrt in Käfige. Aber schon aus der Ferne möchte man sie erkunden. Alles rausholen. Alles wissen. Was sofort auffällt: Die Playstation 5 wirkt bereits im verpackten Zustand deutlich größer als die Xbox Series X. Geradezu wuchtig. Zum Aufreißen laden aber beide ein. Und das wird nun auch gemacht!
Das Cover
Von einer neuen Platte sieht man nur den schmalen Rücken, sobald sie im heimischen Regal steht. Schaut man auch nur aus einem Meter Entfernung auf die Sammlung, sticht höchstens noch die Lieblingsscheibe aus dem Wust heraus. Bei den neuen Konsolen ist das anders. Die stehen – in den meisten Wohnzimmern zumindest – präsent unter oder neben dem Fernseher. Da kann das reine Aussehen schon zum Kriterium werden. Käme uns bei Platten niemals in den Sinn. Niemals! Nie, nie, nie. Nie!
Bei den Konsolen ist die Entscheidung dann aber wohl doch ganz schnell ganz klar. Wer seine Leidenschaft für Sofa-Abenteuer nicht offen präsentieren will – der wird sich die neue Xbox auf den Fernsehsims knallen. Wer hingegen zeigen will was er hat, der kann das mit der Playstation 5 in voller Ekstase tun. Sie ist die prall gefüllte Springsteen-Jeans unter den Konsolen.
Kurz zusammengefasst: Die Xbox ist ein mittelgroßer schwarzer Kasten, der wie eine mäßig designte Soundbox aussieht. Die Playstation hingegen ist ein kleines weißes Raumschiff. Oder auch ein ziemlich großes, wenn man das auf die Dimensionen eines normalen Wohnzimmers bezieht.
Das Zubehör
Bei neueren Platten ist inzwischen fast immer was zum Rauschütteln dabei. Ein Download-Code, ein kleiner USB-Stick mit den passenden Songs, zumindest ein Booklet, dessen Rückseite als Poster dient. Wer das als Musikfan gewohnt ist, der wird bei den neuen Konsolen hart enttäuscht sein. Denn hier ist drin, was benötigt wird: Kabel. Müssten sich die Firmen dann nicht des Geizes bezichtigen lassen – sie hätten wohl auch das weggelassen. Echte Liebe zu Fans sieht anders aus. Ende. Weiter geht’s.
Das Auflegen
Jetzt knistert es ein wenig, denn die beiden Konsolen starten. Zum ersten Mal. Und der Reporter ist nervös erfreut. Denn, das darf man nicht vergessen: Dieses Knistern ist etwas Besonderes. Manche, so sagt man, freuen sich darauf schon seit vielen Jahren. Beide Konsolen geben beim Starten ein Geräusch von sich, das sich wie der Klingelton des Himmels anhört – ein geschmeidiger elektronischer Engels-Chor. Ein Kribbeln im Bauch stellt sich ein, wie man es auch vom sanften Kratzen der Plattennadel kennt.
Die erste Einrichtung läuft wenig spektakulär und erfreulich einfach: Die meisten Daten kann man via App eingeben, hatte man bereits die Vorgänger-Konsole wird fast alles ganz automatisch übertragen. Die Playstation erinnert sogar daran Medien-Apps wie Netflix oder Spotify zu installieren. Praktisch!
Sieht man schließlich das Hauptmenü, zeigt sich allerdings wieder ein großer Unterschied: Während das Menü der Playstation übersichtlicher und moderner wurde, mutet das der Xbox extrem unübersichtlich an. Wie eben beim Vorgänger auch. Kann es sein, dass sich eigentlich gar nichts verändert hat – außer der superschnellen Start?
Die Songs
Ohne Spiele ist alles Nichts. Zumindest wenn es um Spiele-Konsolen geht. Die Playstations sind seit vielen Jahren eher für große und exklusive Spiele bekannt. Spiele, die es nur auf den Sony-Kästen gibt und sonst nirgendwo. Die Xbox hingegen setzt auf ein prall gefülltes Angebot, das man recht günstig mit einem mächtigen Netflix-für-Spiele, dem „Ultimate Pass”, nutzen kann.
Für den Test haben wir von beiden Herstellern nicht nur die Konsole, sondern auch ein paar Spiele bereitgestellt bekommen. Bei Microsoft waren das zahlreiche. Die Sammlung eines Gelegenheits-Gamers würde damit wohl direkt verdoppelt. Sony hingegen legte zur Konsolen-Erkundung lediglich ein paar wenige Exklusiv-Titel bei – beides spiegelt die generelle Ausrichtung von Sony und Microsoft wider.
Die Auswahl der Spiele kann also durchaus ein Kaufgrund sein: Wer auf epochale und perfekt zugeschnittene Meisterwerke steht, der wird wohl weiterhin zur Playstation greifen. Wer viel spielt und am liebsten jeden Tag ein ganz anderes Abenteuer erleben will, der greift eher zur Xbox mit ihrem gigantischen Flatrate-Angebot.
Doch ein Schmankerl hat die Playstation 5 auch in dieser Hinsicht noch zu bieten. Wer Premiumkunde (8,99 Euro im Monat) ist, der bekommt zur neuen Raumschiff-Playstation die großen Blockbuster der letzten Jahre. Schön nostalgisch. Allerdings auch ein wenig komisch. Als gäbe es zum neuen Album kostenlos das Best-Of. Will man das dann wirklich hören?
Der Klang
Aber wie fühlt sich denn die Zukunft der Videospiele nun an? Vorbemerkung dazu: Getestet wurde weder auf einem Hyper-Bildschirm mit 83 Zoll und 18K Mega-HD, noch mit einer 32-teiligen Heimkinoanlage. Die beiden neuen Konsolen kosten sowieso schon jeweils 500 Euro – zumindest in den getesteten Versionen. Ein neuer Fernseher muss da erstmal warten.
Wir starten mit der Xbox und bemerken schnell, wie schnell sie ist. Ein Spiel zu starten war bisher noch eine großartige Gelegenheit schnell die Hose zu wechseln oder ein faule Ausrede für physische soziale Pflicht-Aktivitäten zu erfinden.
Jetzt kann man losspielen, noch bevor einem das Wort „Magen-Darm” einfällt. Und dann startet das eigentliche Spiele-Erlebnis! Ein Trommelwirbel, Spannung, wir erinnern uns an den Engels-Chor vom Start. Und wir stellen fest: Es ist eigentlich alles wie vorher. Nun, doch, alles ist etwas schärfer, detailreicher, flüssiger. Aber… So ein richtiges Wow-Gefühl, ein Schock-Moment? Eher nein.
Konsolen-Wechsel: Hier kommt die Playstation. Und theoretisch könnte man hier einfach die Zeilen zum „Klang” der Xbox nachlesen. Nicht-Mega-Laien wie wir selbst dürfte hier kaum ein Unterschied auffallen.
Wer jetzt enttäuscht ist, dem sei gesagt: Eine Platte ist immer nur so gut wie ihre B-Side. Dem eigentlichen Beiwerk, das nicht selten zum Highlight wird. Also: auf geht’s zur B-Side of the Game!
Die B-Side
Sowohl die Playstation 5, als auch die Xbox Series X bringen einen ganz besonderen Vorteil mit auf den Plattenteller. Denn bessere Grafik und schnellere Ladezeiten – das überrascht wohl niemanden besonders. Was macht die beiden Kästen also wirklich neu und spannend und wert, sie zu besitzen?
Die Xbox fährt mit einer Funktion auf, die ihrer Spiele-Politik gleichkommt: Mehr, mehr, mehr. Denn bei optimierten Spielen kann man inmitten des virtuellen Abenteuers stoppen und jederzeit an exakt der aufgehörten Stelle wieder einsteigen. Auch Monate später. Man stelle sich das mal bei Vinyl vor: Beim wilden Knutschen hat man den Plattenspieler angestoßen, die Nadel rutscht ab. Ein paar Wochen später drückt man wieder auf Play und kann, endlich, genau an der richtigen Stelle seine Beatles-Scheibe zu Ende hören.
So richtig geklappt hat das im Test noch nicht immer und nur mit wenigen ausgewählten Spielen. Aber es ist ja erst der Anfang. Wir vertrauen Microsoft da.
Und noch eine nette Annehmlichkeit bringt Microsoft mit zum Listening: Altes Equipment funktioniert auch bei dem Neuerwerb. Die neuen Controller unterscheiden sich nämlich im Prinzip überhaupt nicht von den alten. So kam es beim Testing zu einem WG-Multiplayer-Fußball-Match, auch wenn Microsoft nur einen der „neuen” Controller mitlieferte. ROLLING STONE gewann natürlich.
Die Playstation hingegen fährt ein besonderes Geschütz auf: Ihren neuen Controller. Der sieht erstmal, passend zur Konsole, wie ein Alien-Bumerang aus. Wahrscheinlich kommt er nach einem Wurf nicht zu einem selbst zurück – wir probieren das nicht aus, denn die Konsole senden wir natürlich wieder zurück – aber, er ist dennoch nicht von dieser Welt. Zumindest im Vergleich zu seinem Vorgänger.
Denn der neue Controller hat nicht nur ein integriertes Mikrofon – was alleine schon ziemlich cool wäre. Der neue Controller der Playstation hat ein unglaublich starkes Feedback – das man nun nicht mehr einfach nur als „Vibration” wahrnimmt. Durch Schlamm waten ist jetzt fühlbar, ein Sturm ist nun wirklich anstrengend in der Hand. Man wähnt 1000 kleine Vibrations-Quellen in seinen Fingerspitzen. Und die machen alles spürbar, was man bisher nur sehen konnte. Man stelle sich eine harte Grätsche beim virtuellen Fußball vor. Eine Schotterpiste beim Autorennen, herumsausende Luft bei einem Fallschirmsprung. Mit dieser Art von Feedback ein völlig neues Erlebnis.
Und dann sind da noch die Schultertasten, hinten, auf der Rückseite des Controllers. Wie oft haben wir sie bei Autorennen oder Schießereien traktiert. Nun können sie zurückschlagen, sich sperren, wenn ihnen etwas nicht passt. Konkret gesagt, sie können sich weigern, gedrückt zu werden. Man stelle sich hier zum Beispiel ein Feuergefecht vor. Anspannung, Adrenalin, drei Gegner noch, viel zu wenig Deckung. Und auf einmal klemmt die Waffe. Es lässt sich nichts mehr drücken. Nachladen, Schießen? Fehlanzeige. Die Gegner kommen immer näher. Schockstarre.
Zugegeben, das alles ist gerade eher Zukunftsmusik – spürbar aktuell nur beim kostenlos beigelegten „Astro’s Playroom”, eine Art Technik-Demo für die neue Playstation. Aber wenn diese Features von den Spiele-Entwicklern angenommen werden: Wow, was stehen uns für coole Momente bevor.
Das Rauschen nach dem letzten Track
Schreibt man eine Plattenkritik, dann hört man das neue Werk natürlich ein paar Mal durch. Man informiert sich außerdem über die Biografie der Band. Versucht, über die eigenen Vorlieben hinwegzusehen. Und dann lässt man das alles sacken – und wartet. Wartet auf den Nachklang, und ob das Werk über das Hören hinaus wirkt. Hier soll dieser Nachklang als Fazit dienen.
Beide Konsolen sind besser als ihre Vorgänger – keine Überraschung. Doch bei der Xbox bleibt ein wenig das Gefühl einer neuen Nadel am Plattenspieler. Ja, endlich läuft wieder alles flüssig. Alles klingt ein wenig klarer. Aber so richtig gerne hat man das Geld am Ende dann doch nicht ausgegeben. Oder, um das Musik-Bild zu verlassen: Die neue Xbox ist wie ein neuer Drucker. Kann ein bisschen mehr, ist ein wenig schicker, war nötig. Aber: Man hat zu keinem Zeitpunkt das Gefühl etwas wirklich „Neues” vor sich zu haben.
Bei der Playstation wäre das ähnlich. Doch Sony hat dem physischen Hauptberührungspunkt zur Konsole ein neues Gesicht gegeben: dem Controller. Die zugespitzte Vibration, die Widerstände: Das Geschehen schwappt aus dem Bildschirms heraus und kommt uns – über dieses kurvige Ding in der Hand – näher.
Übersetzt auf Vinylisch: Die neue Playstation ist eine Platte, die uns das Drum-Solo an der richtigen Stelle, in der richtigen Sekunde, wirklich körperlich spüren lässt. Und uns die gerissene Gitarrenseite ins Gesicht klatscht.
Und das fühlt sich schon ziemlich nach Rock’n’Roll an.