Mit der „Anthology“-Reihe ist der Beatles-Reigen nicht abgeschlossen: Die Archive bergen noch Überraschungen
Für immer, hatten sie hoch und heilig versurachen – kursiv, mit einem Ausrufezeichen hinter jedem Buchstaben: Nichts aus den ja angeblich noch bis unter die Decke vollgestopften Beatles-Archiven sollte nach den angekündigten bzw. bereits abgeleisteten „Anthology“-Veröffentlichungen je das Licht der Pop-Welt erblicken, und angesichts von „Free As A Bird“, der schlechtesten Beatles-Single aller Zeiten, war man darüber eher erleichtert als traurig.
Aber das war noch vor den ersten Soundscan-Auswertungen, und ein paar Wochen später will man im Beatles-Camp von all den heilig‘ Eiden nichts mehr wissen. „Das ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang“, wird Apple-Chef und Gruft-Verwalter Neil Aspinall auf einmal überall zitiert (und wer genau nachschaut, findet eine ähnliche Andeutung auch schon auf der „Anthology“-CD-ROM), „alles mögliche“ ist auf einmal „vorstellbar“, und angesichts dieser Drohung mögen sich selbst Hardcore-Pilzköpfe mit Grausen respektive Brechreiz abwenden.
Im Klartext: Die drei, „Anthology“-Doppelpacks, deren dritter Teil im September nebst acht Video-Cassetten mit der ungeschnittenen TV-Dokumentation erscheinen wird, sind aller Voraussicht nach erst der Startschuß zu einer Flut von neuen/alten Beatles-Produkten. „Bis zu fünf weitere Veröffentlichungen“ könne er sich für 1996 vorstellen, hat Capkol-Chef Gary Gersh verkündet, „really
,Antbology 2″ erscheint nun am 18. März, Teil 3 im September. Und dann?
Nachlaß ohne Ende: Nicht nur als Karikaturist wird John Lennon wiederentdeckt – sogar eine Akustik- Version des „White Album“ ist nun im Gespräch high-quality, interesting, unreleased stuff“ natürlich. Als „künstlerischer Höhepunkt“ der „zweiten Welle“ wird eine Unplugged-Version des „Weißen Albums“ genannt, die laut Gersh theoretisch noch im Laufe des Jahres in die Läden kommen könnte. Den krönenden Abschluß des Jahres soll in jedem Fall zu Weih
nachten än,“Deluxe Anthology Box-Set“ bMen
was immer man darunter verstehen mag.
Geschäftlich gesehen indes erscheinen solche Visionen sogar vernünftig: In den USA ist >“Anthology 1″ die schnellst-verkaufte Doppel-CD aller Zeiten gewesen (mit 855 000 Einheiten in der ersten Woche) und hat, Live At The BBC, seit November 1994 ab Teaser auf dem Markt, zurück in die Billboard-Charts geschleppt. Ebenfalls vom PR-Wirbel um ,“Anthology“ haben das rote und das blaue Doppel-Album profitiert, und auch die Rückkehr von zwölf Beatles-Titeln in die „Top Pop Catalog Album Charts“ (davon drei unter den ersten zehn) kommt in diesem Zusammenhang nicht von ungefähr.
Statements der Fab Three oder Yoko Onos stehen noch aus, und auf einmal ist man sich gar nicht mehr so sicher, ob sie das mit dem „endgültig“ auch wirklich so gesagt haben. Der Produzent George Martin jedenfalls, mit seinem „Jetzt-schalten-wir-das-Licht-aus-und-sagen-Gute-Nacht“-Zitat noch vor ein paar Wochen ab bemerkenswert talentierter Metaphernschmied entdeckt, hält sich seither ebenfalls bedeckt Statt dessen hat die „New York Times“, sonst nicht gerade als Heimstatt ätzender Kritik bekannt, das Ganze auf den Punkt gebracht: „Vor allem erinnern uns die Veröffentlichungen an einen oft übersehenen Zug dieser einzigartigen Band: Sie wußten, wann sie aufzuhören hatten.“ Hoffentlich wissen auch Paul, Ringo und George das jetzt noch.
John Lennon jedenfalls kann sich nicht mehr wehren: Im Econ-Verlag ist gerade der Band „Zwei Jungfrauen oder Wahnsinnig in Dänemark“ als Taschenbuch erschienen – „Werke aus dem Nachlaß“ mit satirischem Unfug, wüst gekrakelten Karikaturen und dem frappierenden Wortwitz, den Lennon in seinen Songtexten eher selten leuchten ließ. Die absurden Texte, von keinem Formwillen strukturiert, qualifizieren den Spötter als Surrealisten und Galgenhumoristen von höchstem Rang: obszön, blasphemisch, zynisch, infantil. Entstanden sind die Arbeiten Mitte der 70er Jahre, als Lennon sich ins Privatleben zurückgezogen hatte und primär zum eigenen (und naturgemäß zu Yokos) Amüsement schrieb. Ein beißender autobiographischer Teil beweist indes, daß die Texte nicht nur für die Schublade gedacht waren.
„I always wanted to write ,Alice In Wonderland“ 4 , sagte Lennon am Ende seines Lebens. „Wenn du tot bist, ist alles lustig.“