Mit den Strokes auf dem Dach: Wie sich die deutsche Pop-Presse freiwillig gleicher schaltete, als sie eh schon ist
Zwei Tage im September war es eine Festung, der sicherste, am besten beobachtete Ort in ganz Amerika: das „gediegene Hotel in Soho“ („Visions“), genauer die „Dachterrasse des New Yorker ’60-Thompson‘-Hotels“ („WOM Journal“), „einem so hippen wie von außen untertriebenen Hotel irgendwo in Soho“ („Rolling Stone“, also wir). Auf dieser „Dachterrasse eines New Yorker Designer-Hotels“ („Intro“) mit „Blick über die Skyline“ („Spex“) durften deutsche Journalisten mit der Band The Strokes sprechen, woraus sie insgesamt fünf – teilweise unterschiedliche – Titelstorys machten. Wenn das nicht im Voraus zu erwarten gewesen wäre, hätte es mit Sicherheit noch mehr Titel gegeben, britische und amerikanische Magazine gar nicht mitgerechnet.
Wie die Pop-Zeitschriften sich selbst auf die Strokes gleichschalteten, das hatte auch etwas Entspanntes und stützte den beliebten Verdacht, dass alle Angeber, Pharisäer, Nerds und Fortschrittsfeinde heimlich doch dieselben Platten hören. Die Frage war nicht, ob und in welchem Umfang man schreibt, eher: ob man der erste sein könnte, ob man irgendwas kriegen kann, was die anderen nicht kriegen. Vielen Reportern war schon auf dem Hinflug das Herz randvoll mit Demut. Der deutsche Musikmarkt ist bekanntlich nicht mehr so relevant, und wenn amerikanische Stars die Deutschen ignorieren, damit sie mit mehr Japanern reden können, dann soll man das offenbar verstehen. Es muss ein großes Hallo gegeben haben auf dem „zur Bar ausgebauten Hoteldach“ („Musikexpress“), als plötzlich doch wieder alle Pop-Autoren beisammen waren, die sich sonst bei Polydor-Showcases Schnittchen teilen.
Und nachdem die Deadlines eingehalten wurden, Analysen und Liebesbriefe synchrongeschrieben und halbstündige Rein-raus-Interviews zu riesigen Text-Erdrutschen getreten waren, konnte man als Leser feststellen: Leider, leider hatten die Strokes uns nichts mitzuteilen. Die Tournee war anstrengend, sie haben an der neuen Platte lang herumgefeilt, sie wollen noch besser werden, sie lassen den Irrsinn nicht an sich heran, sie sind nur fünf gute Freunde, die zusammen Musik machen, sie mögen die Kings Of Leon und trinken manchmal mit ihnen „Bier“ („Stern“).
Weil die Plattenfirma eines der Interviews auf CD gebrannt und an all die verschickt hatte, für die auf der leidlich überfüllten Dachterrasse kein Platz mehr war, hatten „WOM“ und „Piranha“ zwar verschiedene Autoren, aber die gleichen Zitate. Albert Hammond jr.: „Wir stehen mit unseren Füßen auf dem Boden, um uns nicht allzu ernst zu nehmen.“ Eine der dramatischsten, zugleich unrealistischsten Szenen aus dem Film „Almost Famous“ kam einem in den Sinn, wo der Chefredakteur sinngemäß sagt: „Das könnnen wir nicht drucken, aber wir haben doch irgendwo noch eine The Who-Titelstory!“ Wer daraus ignorant ableitet, es gäbe halt keine so geilen Typen wie Lester Bangs und Nick Kent mehr, der soll sich den Alltag von so genannten Musikjournalisten in Deutschland genau anschauen. Hektische Königsaudienzen im Hotel geben für eine langweilige halbe Seite oft noch genug her. Wer mehr liefern soll, muss zusätzlich aufpassen, die Gnade des Stars nicht vor der Zeit zu verspielen. Die wachsende Blödsinnigkeit der Musikberichterstattung liegt entscheidend an ihren Produktionsbedingungen, und hinterher haben eh alle das Gleiche im Heft. Es gibt ja Schlauerles, die mühsam die Anzeigenschaltungen den Artikeln zuordnen und so beweisen wollen, dass die Medien Sklaven der Industrie sind. Eigentlich brauchten sie dazu nur jeden Monat die Inhaltsverzeichnisse zu vergleichen.
Im Fall der Strokes (von denen übers Jahr sowieso jeder Mist gemeldet wurde – weiß jemand, was Sting die ganze Zeit gemacht hat?) musste sogar das englische „Q“ trotz ausführlicher Einzelsitzungen die Hosen und T-Shirts beschreiben, um neun Seiten vollzukriegen. Und ausgerechnet in diesen Redundanzen und exakt reportierten Unwichtigkeiten, die von der Dachterrasse abwärts zu einem so massiven Schwall wurden, steckt die mögliche investigative Zukunft des Musikjournalismus: Warum hat Fab Moretti erst eine „Marlboro Light im Mundwinkel“ („Musikexpress“) und erzählt dann der „Spex“: „Wow, Marlboro Medium, my favourite cigarettes“? Warum ruft ständig Drew Barrymore an? Ist da was faul? Haben sie uns doch nicht alles erzählt?