Mit dem Rückzug aufs Land und seinem zweiten Solo-Album distanziert sich RICHARD ASHCROFT von Trubel und drogeninduzierter Vergangenheit
Richard Ashcroft mag es ein bisschen abgelegen. Das großzügige Gehöft, in dem der Britpop-Sonderling seit 1998 wohnt, liegt in einem kleinen Wäldchen außerhalb eines kleines Dorfes, das außerhalb von Gloucester liegt, einer Kleinstadt, zu der es von Birmingham und Bristol je ungefähr eine Autostunde braucht. London? Ist weit weg. Die Abkehr der Popstars vom Trubel der Metropolen ist eine so bekannte wie natürliche Reaktion auf die Hektik des erfolgreichen Musikberufs, doch hat Ashcrofts Abschied in die Wälder noch eine andere, mehr persönliche Konnotation: Nach dem Ende von The Verve wollte der Sänger und Songschreiber nichts mehr wissen vom Hype der ersten Tage, von all den urbanen Hymnen und bittersüßen Symphonien, die ihm neben viel verkauften Platten auch eine Menge wenig angenehmer Nebenwirkungen einbrachten.
Zumindest im Privaten hat die Abkehr funktioniert. Nein, in Gloucester wisse man nichts von der Prominenz vor den Toren der Stadt, so der Shuttle-Fahrer, ein gesprächiger Bierbär mit bodenständigem Humor. Seine Kumpels hätten noch nicht mal den Namen je gehört, und er selbst hätte auch nicht so recht gewusst, zu wem er da eigentlich chauffiere. Bis ihm jemand die geklauten Geigen besagter Verve-Symphonie gepfiffen hatte.
Einmal angekommen am Ashcroft-Anwesen, entpuppt sich der vermeintliche Hausbesuch dann als ein etwas arg vollmundiges Versprechen. Gewartet wird in einem absurd großen, direkt vor der Zufahrt geparkten Wohnmobil, und in dem letzten freien Spalt des Torbogens steht ein Stuhl mit einer Promoterin drauf. Nein, auf den Hof könne man nicht, die Frau, das Kind, die Privatsphäre, Sie wissen schon. Okay.
Einmal vorgelassen zum Gespräch, ist man dann versöhnt: Ashcroft empfangt in einem alten, durch hundert kleine Luftscharten wunderschön durchleuchteten Speicher, der für seine neue Nutzung hübsch herausgeputzt wurde. In beiden Enden des rechteckigen Backsteinbaus wird offensichtlich meist Musik geprobt, es steht kistenweise Equipment herum, und riesige orientalische Teppiche besorgen das rechte Ambiente. In der Mitte erhebt sich eine Art kleine, mit dunklem Parkett verschönte Empore, auf der ein paar Ledersofas und zwei gigantische Designeröfen ein Wohnzimmer suggerieren. „Dieses Anwesen ist ein Statement der Unabhängigkeit“, erklärt Ashcroft, „es war dringend nötig, dass ich meine zurückgewonnene Freiheit auch mit meinem Heim sichtbar mache. Ich war schon als Kind immer sehr tief bewegt von Ästhetik im Allgemeinen und Architektur im Besonderen. Ich muss mich mit den richtigen Dingen umgeben.“ Man ist beruhigt: Ashcroft erweist sich im Zwiegespräch als ungemein redselig, freundlich gar, und von der oft vorgeworfenen Arroganz oder Wunderüchen Versperrung ist nichts zu spüren. Freilich ist Mad Richard, wie ihn die britische Presse nicht immer liebevoll nennt, ein Mann der tausend Halbsätze, einer, der sich in Assoziationen verliert und nicht immer auf den Punkt kommt, doch in anderen Momenten sind seine Aussagen dann wieder klar und präzise, und obendrein ist sich Ashcroft nicht zu schade für Rückfragen und ein echtes Interesse an seinem jeweiligen Gegenüber. „Ich habe für mein erstes Album im UK ziemlich auf die Nase gekriegt“, erinnert er sich, „aber das war bei The Verve nicht anders: Hier brauchen die Leute drei Platten, bis sie verstehen, was ich meine.“ Bevor Großbritannien also erleuchtet werden wird, gibt es erst mal Solowerk Nr. 2. Ashcroft verzichtete bei der Arbeit an „Human Conditions“ auf all die gemieteten Flöten, Pedal Steels und Harfen des solistischen Erstlings „Alone With Everybody“ und spielte stattdessen alle Gitarren selbst. „Ich musste die Vision rein halten“, erklärt er. „Die Platte ist der nächste Schritt, der Versuch, allen bullshit zu subtrahieren und deutlicher zu formulieren, was ich zu sagen habe. Und auch, wenn mich natürlich kein Gitarrenmagazin für mein Spiel loben wird: Meine Songs kann ich besser verkörpern als irgendwelche gemieteten Superklampfer.“ Die Konzentration aufs eigene Vermögen führt Richard Ashcroft einen Schritt zurück zu den eigenen Wurzeln. „Alone With Everybody“ war ein Grenzpfahl, ein Manifest des Neubeginns, dessen seltsam keimfreie Attitüde ein bisschen befremdlich wirkte. Musik im Wattebausch.
Auch „Human Conditions“ hat dieses seltsam Muskellose, Distanzierte, das seine Entsprechung in Ashcrofts betont langsamer Körpersprache und zeitlupenhafter Gestik findet. Mit dabei: Brian Wilson, der für den Song „Nature Is The Law“ chorale Orchestrierungen beisteuerte. „Ich hatte ihm die Aufnahmen über einen gemeinsamen Freund zukommen lassen“, erzählt Ashcroft. „Als er schließlich anrief und zusagte, habe ich’s natürlich kaum glauben können. Er hat fantastische Arbeit geleistet.“