Mit dem fabelhaften Soundtrack zu „„Amelie“ lieferte YANN TIERSEN praktisch eine Werkschau ab
Barrett, Schnauzbart, Baguette unter dem Arm, Gauloise im Mundwinkel – nein, all das bedient er nicht, der Franzose Yann Tiersen. Einen rot geringelten Pulli allerdings soll er tatsächlich gelegentlich tragen, wie man hört, und auf seinen Platten fallt wohl jedem Nicht-Franzosen das Akkordeon als das französischste Instrument überhaupt ins Mittelohr. In seiner Heimat schon seit Jahren der Klientel des Feuilletons bekannt wie ein bunter Hund, ist die Musik Tiersens im restlichen Europa zunächst dem Kinopublikum zu Ohren gekommen. Das aber gleich millionenfach. Denn Tiersen schrieb und spielte die Musik des Kassenknüllers „Die fabelhafte Welt der Amelie“, einer Geschichte um Glück und Alltag, Schicksal und Selbstbestimmung zwischen Fantasy und Realkulisse vom „Delicatessen“-Macher Jean-Pierre Jeunet Ein Film, der Harald Schmidt in seiner Sendung zwar minutenlang genüsslich abkotzen ließ, beim überwiegenden Teil der Zuschauer allerdings Glücksgefühle erzeugte – und in Frankreich sogar eine regelrechte Amelie-Manie auslöste. ROCK’n‘ ROLLFür uns hier draußen, außerhalb der französischen Grenzen, funktioniert der Soundtrack im übrigen wie eine Tiersen-Werkschau, denn er besteht etwa zur Hälfte aus Material älterer Alben, neu abgemischt, ansonsten 1:1 übernommen. Tiersens Instrumentierungen werden von der Art Band benutzt, die man Ensemble nennt Statt Loops und halber Elektronik auf Trommel, Gitarre und Bass, tragen Klavier, Geige, Melodica, Glockenspiel und, logisch, das Akkordeon die mal heiteren, meist aber melancholisch-romantischen Kompositionen und ausgereiften Arrangements. Mehr die Musik eines 40- bis 50-Jährigen also als die, die man in der Regel von einem 1970er Jahrgang erwartet, der sein persönliches teen age doch eigentlich mit der vor 15 Jahren zeitgenössischen Popmusik verbracht haben sollte. Was er auch tat, obwohl in seiner Musik nicht die Spur davon zu finden ist. „Ich hörte damals Bands wie Joy Division und 80er-Jahre-Bands“, erläutert der studierte Multiinstrumentalist Tiersen mit sanfter Raucherstimme. „Um 1990 herum begann ich, meine ersten eigenen Sachen zu machen, und weil ich allein arbeitete, benutzte ich oft einen Sampler. So habe ich dann ersten Kontakt zum traditionellen Instrumentarium bekommen – indem ich akustische Instrumente sampelte.“ Eine umgekehrte Chronologik, die der immer etwas anachronistisch wirkenden Musik Yann Tiersens zwischen leicht verklärtem Satie und minimalistischem Nino Rota sehr gut steht „LAbsente“, zu deutsch „Die Abwesende“, sein nächstes Album, ist alles andere als eine kleine Produktion. Neben Mitgliedern des Wiener Sinfonieorchesters wirkten in Frankreich klangvolle Namen wie Christian Quermalet von der Indie-Band The Married Monk und Komikerin Natacha Regnier mit Die uns vertrauteren Gast-Stimmen Lisa Germano und Neil Hannon (The Divine Comedy) berücken gerade in dieser ungewohnten Soundkulisse nachdrücklich. Dann doch Pop, irgendwie. Ein Konzeptalbum? Der Titel suggeriert es. Doch Yann Tiersen winkt ab: „Abwesenheit, das Vermissen sind schon lange zentrale Themen für mich. Ich glaube, dass im Laufe der Zeit jeder Albumtitel für die Musik dahinter steht, wie ein Code. Aber Konzeptalben – nein, so was mache ich auf keinen Fall.“ Abwarten. Rolf Jäger