Mit dem Album „4:99“ erweisen sich die Die Fantastischen Vier als souveräne Stilisten und wichtigste deutsche Band der 9Oer Jahre. Und niemand widerspricht
Mm Oliver Hüttmann Buenas dias, Messias. Mich! Beck alias DJ Hausmarke fläzt auf einem Sofa, kratzt sich den Bauch und starrt an die Zimmerdecke, als träufelten von dort oben die Gedanken auf seine Zunge. Thomas D lümmelt, mit den Füßen auf dem Tisch, in einem SesseL Smudo stromert herum, verläßt öfter den Raum, schließt dann einen Laptop an und reißt versehntlich die Verkleidung der Türrahmens heraus. Rock’n’Roll! Lautes Lachen, man überbietet sich mit Witzen, als werde gerappt und Andy, tja, der fehlt mal wieder bei diesem Pressetermin. Mit einer Attitüde zwischen Medien-Professionalität und Jugendzimmer-Chaos (was beinahe wieder zu gut paßt und doch nicht aufgesetzt scheint), aufgekratzt und gelangweilt zugleich erledigen die drei Stuttgarter der Fantastischen Vier im Hamburger Hotel Park Hyatt ihren Job als erfolgreichste Hip-Hop-Band Deutschlands. Seit vier lägen erst haben sie die Aufnahmen zu „4:99“ abgeschlossen, ihrem ersten Studio-Album „Lauschgift“ vor bereits vier Jahren; und begannen am Schlußtag noch mit dem Schaulaufen für die Preisrichter der Musikrepublik, die mit dem Redaktionsschluß im Nacken um ihre Stories bangen mußten. Alle Interviews waren um mehr als eine Woche verschoben worden, die Band hatte sich in Klausur begeben und „ein Kommunikationsverbot verhängt“, vertröstete die Pressechefin Silke Janle vom Fanta-Label Four Music verzweifelt, „weil das verflixte Ding nicht fertig wird.“ „Die Platte hätte niemals fertig werden können“, meint Thomas. „Kreativität kennt kein Ende, weil ich immer schon die nächste Idee habe. Also gibt es einen Abgabetermin, um zu wissen, dies ist der Tag, jetzt muß die Scheiße raus. Diesmal fehlten uns sechs Songs. Aber wir brauchen den Druck und auch den Freiraum am Anfang, um aus dem alten Film rauszukommen, sich locker zu machen. So läuft das Spiel zwischen der Kreativität und der geschäftlichen Seite. Dann klappt es auch…“ „.. mit dem Nachbarn“, wirft Smudo spitzbübisch ein. Und das seit schon sieben Jahren, wenn man ihre Übungsjahre als The Terminal Team mal unterschlägt und den Erfolg mit ihrer Single „Die da“ als Zäsur datiert nicht nur für sie selbst. Die Geschichten sind Legion und derzeit überall nachzulesen, und von den Grabenkämpfen der Pioniere mit „Propheten und Pappstars“, wie die Viererbande im Song „Buenas Dias, Messias“ feixt, wird nun sogar im Feuilleton der honorigen „Zeit“ erzählt, daneben eine ehrfurchtsgebietende Serie über die Bergpredigt. So wird eine Phrase doch evident: Die glorreichen Vier aus dem Schwabenland sind die einzigen und noch lebenden Legenden unter deutschen U-Musikern. Na, nach Kraftwerk. Aber allemal die wichtigste deutsche Band dieses Jahrzehnts. „Das ist etwas komisch“, fängt Smudo an zu dozieren. „Ich will nicht denken, daß wir seit vier Jahren kerne gemeinsame Platte mehr gemacht haben. Ich will nicht denken, daß wir die ältesten deutschen HipHopper sind. Die Fetten Brote haben mir zu meinem 30. Geburtstag einen Pokal überreicht – als dem ältesten Rapper Deutschlands…“ „Das stimmt nicht!“, nölt Michi. Smudo: „Ich darf mich als ältesten Rapper einschätzen. Du bist der älteste DJ – außer Andy fängt auch noch damit an. Jedenfalls, die Symbolik dahinter ist natürlich tragisch. Zudem ist soviel passiert. Es gibt Leute, wenn es auch nicht viele sind, die in manchen Disziplinen des HipHop durchaus besser sind als wir. Der schwierigste Gegner aber ist das eigene Ego. Das will befriedigt werden, und zwar richtig.“ Smudo atmet tief durch: „So! Und nachdem wir uns erstmals zusammen das komplette Album angehört hatten, waren all diese komischen Gedanken und Gefühle wie weggeblasen. Die Platte ist geiL Ich will immer wieder welche machen.“ Michi und Thomas stimmen ihm grölend zu, der feierlich nachlegt: „Welch göttlicher Moment. Der absolute Hammer.“ „4:99“ stieg auf Platz eins der Charts ein, und ist es auch schnöde Statistik, belegt dies bereits: Die Fantastischen Vier sind die Platzhirsche auf weiter Flur. All eyes on me! Für die Medien galt es, das deutsche Musik-Ereignis und „Comeback“ des Jahres abzuschöpfen. Die Fantastischen Vier wissen um ihren kommerziellen Stellenwert, haben sich aber auch genügend künstlerisches Selbstbewußsein angeeignet und „über Jahrhunderte den Respekt erkämpft“, posaunt Thomas, betrachten daher einen solchen Auftrieb längst nicht mehr als Genugtuung, sondern mit distanziertem Geschäftssinn. „Marketing hat nichts mit Musik zu tun“, sagt Smudo. „Manche müssen über uns berichten wegen des hohen Chart-Einstiegs. Für andere erfüllen wir Begriffe wie „cool“ oder „hip“. Wir ziehen mediales Interesse an, weil uns – grob gesagt – alle irgendwie okay finden. Und es gibt viel über uns zu schreiben!“ Ihre Karriere ist so voller Irrtümer und Krisen, Glück und Großtaten, Pannen und Peinlichkeiten, daß sie mit „Die letzte Besatzermusik“ jetzt eine Autobiographie veröffentlicht haben – wohl auch, um die lästigen Mißverständnisse und das lästerliche Gerede über ihre Glaubwürdigkeit abzuwürgen. Denn von ihrer Unbedarftheit in der schwäbischen Provinz an dokumentieren sie unverstellt ihre Popstarwerdung als deutsches Sittengemälde und Panoptikum der Plattenindustrie und HipHop-Szene. „Credibility entsteht inzwischen nicht mehr dadurch, woher man kommt oder worüber man rappt, sondern durch Stilsicherheit, Konsequenz und Fachwissen“, erklärt Michi. „Der echte Underground passiert ganz woanders, bestimmt nicht bei einer der deutschen HipHop-Bands.“ Dabei hat sich, neben den Metropolen Hamburg und Frankfurt, gerade inder oft bespöttelten Heimat der Vier eine intakte Subkultur entwickelt. Im Radio-Barth-Haus, einer ehemaligen Hi-Fi-Filiale, ist das 0711-Büro der Kolchose Stuttgart um Freundeskreis und Massive Töne untergebracht, die Radio Bar und der wichtigste HipHop-Club Süddeutschlands – neben dem Medienhaus von Four Music der pulsierendste Kommunikationsknoten des deutschen Rap. Nur bei den Stadtvätern findet der Treff keinen Anklang, ein Investor will das Gebäude bald abreißen. Eine gewachsene Atmosphäre, die den Charakteren bei den Fantas ähnelt Smudo ist der hibbelige Koordinator und Kommunikator, den schon seine Mutter vergeblich ermahnte, er würde zuviel sabbern. Thomas gibt den Krieger und Poser, einen physischen Freudianer und Großstadtindianer, der sich aus Neugierde auf Abenteuer gerne verrennt „Sexadelic“ nennt das Michi, der Niedliche, der jedoch mißtrauisch quengelt und knödelt und von Smudo bei der ersten Begegnung beschrieben wird als „Rotzarsch mit einem blauen Opel, der dreckige Witze übers Wichsen riß, lustig und krass zugleich“. Und And.Y, tja, schweigt. Aber beim kartigen Techniker laufen die Fäden zusammen, er bringt die Ideen zum Klingen. Charlie Watts ohne Eleganz. In der Summe ist das charismatische Chemie. „Wir waren alle irgendwie Außenseiter, wollten Popstars werden-was sich geändert hat, seit es erreicht ist“, erklärt Thomas. „Daß wir gedisst wurden als Pop-Rapper und viele Fehler gemacht haben, hat uns als Band gestärkt Heute gehen wir mehr in die Tiefe, feilen an den Feinheiten unseres Stils. Wir müssen nichts mehr beweisen.“ Als Souveräne reflektieren sie mit spöttischer wie selbstironischer Präzision die Szenerie, die eigenen Schwächen und Stärken. F4 nennen sie sich nun lässig, weil sie ebenso ins popkulturelle Gedächtnis gerückt sind wie jene Kürzel, die sie in „MfG“ symbolisch skandieren. Die Anstrengungen, frühere Anwürfe widerlegen zu wollen, mündeten erschöpft in der Schaffenspause als Band. Auf dem komplexen, exellenten „4:99“ besiegeln sie mit „Gute Nacht“, ihrer Variante der „Waltons“-Schlußdialoge, nun süffisant den eigenen Mythos. Alles ist gut.