Mississippi Delta
Vom Ende jeder Hysterie künden die Albumcharts. Da wird der amerikanische Traum revitalisiert und Indie-Skandinavier singen den Blues.
Die Wellenbewegungen der spätsommerlichen Charts bleiben weiterhin sanft. Die Neueinstiger schleichen sich eher an, als dass sie als bahnbrechende Sensationen von „null auf eins“ hereinplatzen. Der klassische Albummarkt rollt mittlerweile dahin wie der Ol‘ Man River. Popoder besser Albummusik 2014 ist der Mississippi und kein reißender Fluss mit Stromschnellen oder spektakulären Wasserfällen. Diese wohlige Trägheit schlägt sich auch musikalisch nieder, wenn in der gleichen Woche Eric Clapton & Friends, Tom Petty And The Heartbreakers und die vergleichsweise blutjungen multinationalen Bluesrocker Blues Pills die deutschen Top-Ten entern. Während der Eric und der Tom als alte Bekannte durchgehen, die sich mit guten Kumpels verbündet haben (Clapton) oder nach all den Jahren groß und süffig daherkommen (Petty), sind die Traurigen Pillen neu im Oberhaus. Mit einer langhaarblonden Sängerin aus Schweden und drei stirnbandgelockten Kerls wirken die Pills, wie Freunde sie nennen dürfen, wie aus dem Freiluftmuseum des Rock’n’Roll. Ein Reinhören in ihr aktuelles Album „Blues Pills“ ergibt gewisse Parallelen zu den Bass-Schnalzern von Mother’s Finest, jenem Siebziger-Crossover aus Schwarz und Weiß, Funk und Rock, Mann und Frau. Die Kollegen vom „Metal Hammer“ bescheinigen Sängerin Elin Larsson immerhin eine „einzigartige Gesangsleistung“; ist die Scheibe doch bemerkenswerterweise bei den Hart- und-Heavy-Spezialisten von Nuclear Blast erschienen. Hier glaubte man früh an die virtuose Fingerkünste des französischen Pills-Gitarrero Dorian Sorriaux, der „Spiegel Online“ an den 2008 früh verstorbenen Blues-Gitarristen Jeff Healey erinnert. Ein Dampfen und Stampfen im Strom der Verweise. Das Streben nach handgemachter Ehrlichkeit hat diesmal den bösen Rap (Baba Saad mit „Saad Core“) und die schaumige Gefühlsduseligkeit (Klangkarussell mit „Netzwerk“) auf die Plätze verwiesen. Und der Schaufelraddampfer zieht stoisch tutend seine Bahn.