Mission erfüllt: 9 Gründe, weshalb „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ eine würdige Fortsetzung ist
J.J. Abrams hat es geschafft - und einen gelungenen "Krieg der Sterne"-Film gedreht. Der erste gute seit 32 Jahren. ROLLING STONE erklärt, weshalb sich "Das Erwachen der Macht" lohnt
1. Unerwarteter Humor
„Star Wars: Episode VII“ ist der erste wirklich lustige Teil der Saga. Gag-Quote: Mindestens einer in drei Minuten. Für einen Sci-Fi-Film ist das ordentlich. Es wird oft vergessen, dass die bisherigen sechs Werke zwar von etlichen skurrilen Kreaturen bevölkert wurden, von Ewoks, Javas, Jabba, Sturmtruppen, großen, kleinen oder dicken Wesen, deren komisches Potential aber nie wirklich genutzt werden konnte. Puppen sind ja auch nicht immer witzig, nur weil sie Puppen sind. Regisseur J.J. Abrams und sein Autor Lawrence Kasdan beschreiten gleich den richtigen Weg: Dialoge zwischen den menschlichen Hauptfiguren – darauf kommt es an. Nie hatte Han Solo – unten dazu mehr – bessere Pointen. Seien sie selbstreferentiell, im zynischen Umgang mit der Klapperkiste Rasender Falke, beim Generationenstreit mit Finn oder im ewigen Altes-Ehepaar-Zoff mit Chewie. „Er sagt, ihm ist kalt!“ flucht Han im Schnee über den Wookie, und das im wichtigen Moment vor dem heimlichen Angriff; in einer anderen Szene zuckte Chewbacca nur mit den Schultern, als von seinem besten Freund als einem „Kriegshelden“ gesprochen wird.
2. Warten auf Luke
Luke Skywalker (Mark Hamill) erhält in seinem vierten „Krieg der Sterne“ seinen bislang dramatischsten Auftritt. In einer sehr klassisch inszenierten, über Minuten aufbauenden Szene nähert sich Rey (Daisy Ridley) am Ende des Films dem alten Jedi-Ritter; sie erklimmt einen hohen Berg, und er steht mit dem Rücken zu ihr an einer Klippe. Weil man als Zuschauer hundertprozentig weiß, was gleich passieren wird, muss man als Regisseur umso mehr Vertrauen in die Wirkung einer Szene haben, in der scheinbar nicht viel mehr geschieht als das: Ein Mensch dreht sich sehr langsam um, nimmt die Kapuze ab und bestätigt damit die vermutete Identität. Das ist also Luke Skywalker, kein Überraschungs-Monster oder sonstwer, mit dem man nicht gerechnet hätte. In diesem, dem besten Moment des Films, sagt der Meister kein einziges Wort. Hamill, dem nach „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ 1983 keine große Karriere mehr blieb, zeigt hier sein Können mit einem einzigen Blick: Wissen um die schrecklichen Ereignisse der vergangenen Stunden, sowie die Aufgabe, die ihm noch bevorstehen wird.
3. Die Neuen
Die neuen Schauspieler bilden eine Top-Besetzung, allesamt. Finn (John Boyega) erfüllt dabei diejenige Rolle, für die J.J. Abrams in seinen Filmen das größte Herz hat: die des impulsiven großen, manchmal auch peinlich aufmuckenden Jungen. So treffsicher und gehässig schon die Dialoge zwischen Captain Kirk und Spock in Abrams’ „Star Trek“-Reboots ausfielen, so toll anzusehen ist hier der desertierte, etwas ängstlich wirkende Sturmmtruppler Finn. „Jetzt hab ich hier das sagen! Jetzt hab ich hier das sagen!“ ruft er, als seine ihn sonst schikanierende Vorgesetzte, Captain Phasma, gefangen genommen wird. Der Kleine hat eben ein Elefantengedächtnis. „Krieg der Sterne“ mit Blick auf die Belastung in einer Arbeitswelt, die nur mit strengen Hierarchien funktioniert.
Man will unbedingt sehen, wie es in den nächsten Filmen mit Finn weitergehen wird. Während Lucas mit „The Phantom Menace“ das Kinderpublikum im Blick hatte, schielen Abrams, Kasadan und Produzentin Kathleen Kennedy hier auf die seit einigen Jahren florierende „Young Adult“-Zielgruppe. Alles richtig gemacht: Genauso, wie Harry Potter und Katniss Everdeen als Jugendliche die Anforderungen meistern müssen, die sonst nur Erwachsenen gestellt werden, zeigen sich die Guten wie die Bösen hier in Verantwortlichkeiten, die eigentlich noch zu groß für sie sind.
Die zweite, weibliche Hauptfigur, Rey (Daisy Ridley), begibt sich in einen Laserschwertkampf. Und wie sie kämpft. Vorbei sind die athletischen, geradezu choreografierten Übungen der Super-Jedis Liam Neeson und Ewan McGregor – hier gibt’s nur brutales, geradezu verzweifeltes Kloppen und Stechen. Eben so, wie man sich wirklich in einem Gefecht schlagen würde, in dem Angst eine Rolle spielt.
Mit Prinzessin Leia hatte die Ur-Saga bereits eine für die Zeit (1977-1983) untypische weibliche Anführerin, Rey führt diese Linie fort: Sie ist die einzige Erwachsene, umgeben von großen Jungen. Kampfpilot Poe Dameron (Oscar Isaac) wiederum hat noch eine verhältnismäßig kleine Rolle, die in den folgenden Filmen ausgebaut werden dürfte. Poe wird in Han Solos Fußstapfen treten, er ist genauso waghalsig – und traut sich als erste Figur der „Krieg der Sterne“-Reihe, einen Witz über die Atemmaske eines Bösewichts zu reißen.
Die Helden müssen halt frech sein. Hier fühlen sich alle Darsteller, vielleicht vom ehrwürdigen und etwas zweifelnd agierenden Max von Sydow abgesehen, vor der Green Screen so wohl wie in einer natürlichen Umgebung. In den Prequels dagegen traten alle auf wie Oberkellner. Man konnte ja geradezu Mitleid haben mit Liam, Ewan und Natalie.
4. Die Schurken sind auch nur Menschen
Momente des Zweifelns und der Zerrissenheit waren in „Star Wars“ immer die größten, und der junge Kylo Ren – in den wenigen Szenen ohne seine Kühlergrill-Maske spielt Adam Driver ihn herzergreifend – hat davon einige. Man weiß gar nicht, ob man ihn drücken oder töten will – ein perfekter Pubertierender. Mitgefühl zu wecken, hatte der junge Anakin Skywalker in seinen drei Filmen (1999-2005) nicht ein einziges Mal geschafft. Dass mit Ren und General Hux (Domhnall Gleeson) gleich zwei Schurken so wirken, als seien sie eben erst den Kinderschuhen entwachsen, verleiht ihrem wütenden Streben eine besondere Gefährlichkeit. Wie sich beide gegenseitig schwächen und vor dem Diktator Snoke (Andy Serkis) wie Schüler profilieren wollen, führt zu besonders kuriosen Szenen. Der eine ein cholerischer Möchtegern-Vader, mehr Fanboy als Nachfolger, der andere ein passiv-aggressiver Bub in Faschisten-Uniform.
Und dazu ein Sturmtruppler, der einen sterbenden Kameraden im Arm hält, wo gab es das schon mal?
5. Mehr Sinn für Details
„Das Erwachen der Macht“ widmet sich den Details, die Nerds interessieren. „So ein Ding wollte ich schon immer mal fliegen!“, ruft Poe Dameron, als er erstmals im TIE-Fighter sitzt. Ja, das wollen wir Zuschauer auch. Deshalb erklärt Poe seinem Kopiloten auch, welcher Knopf für welche Schusswaffe zuständig ist. Ein toller Blick ins Innenleben der Maschinen. Abrams stellt sich jene Fragen, die sich nur Fanboys stellen können: Wie habe ich die Dinge in meiner Lieblingswelt noch nie gesehen? Wie kann ich Sachen herausstellen, die alle für selbstverständlich halten? In „Star Trek Into Darkness“ beschäftigte er sich mit dem dort allgegenwärtigen Warp – und zeigte das Feuergefecht zweier Raumschiffe innerhalb des Hochgeschwindigkeitsstrahls, und wie eines der Schiffe aus dem Warp herausgeschossen wird. Eine Idee, die nur dann entsteht, wenn man jung ist und mit Spielzeugen hantiert. Ein Sturmtruppler mit Flammenwerfer? Let’s do it. Hatte man als Kind beim Sturmtruppen-Nachspielen eh schon im Programm.
In „Das Erwachen der Macht“ gibt es zwei phänomenale Bilder von vertrauten Kisten, wie wir sie noch nie gesehen haben: einen im Sand gestrandeten Sternenzerstörer, sowie TIE-Fighter, die uns im Sonnenuntergang entgegenfliegen – ein Bild so mächtig wie das der Hubschrauber in Coppolas „Apocalypse Now“. Und all diese Aufnahmen ohne Abrams‘ Markenzeichen, das von Fans so spöttisch beurteilte „Lens Flare“.
Wie für Sekunden Altgeliebtes und Antiquiertes gezeigt wird, und wie verblüfft die jungen Helden auf sowas reagieren. Finns Blick auf das Hologramm-Schachspiel im „Falken“-Tisch, 1977 eine tolle Sache, heute eher niedlich, spricht Bände. Als würde man einem 13-Jährigen einen C64 andrehen.
6. Blick voraus
Keine übertriebenen Selbstreferenzen. Gut, manche Sätze wie „Die Macht ist stark in ihm“ oder der Klassiker „ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache“ müssen halt immer fallen. Aber die gefürchtete Schrottpresse aus Teil eins, hier von Han als Strafe für Captain Phasma gefordert, wird zum Glück nicht gezeigt. Und als Leia ihm sagt, dass sie ihn liebt, seufzt Han glücklich – anstatt den Dialog mit dem berühmten „Ich weiß“ aufzunehmen. Dafür nutzt Regisseur Abrams die Gelegenheit und bringt alle Landschaften der ersten drei Teile in nur einem Film unter: Die – unterschätzte – Eiswelt, einen Urwald sowie die Sandwüste. Die übrigens nie greifbarer, nie monumentaler aussah als hier, was schön zum Ausdruck kommt, als Rey auf einer riesigen Düne heruntersegelt.
Abrams ist zwar kein Regisseur guter Actionszenen, was immer wieder verblüffend ist, da fast alle seine Filme auf jene Genre-Elemente zurückgreifen. Diese Schwäche trifft auch auf „Das Erwachen der Macht“ zu: Die etlichen Flug- und Kampfeinlagen haben keine charakteristischen Merkmale, sie sind zu kurz und dafür zu schnell geschnitten, alles fliegt kreuz und quer durchs Bild und ist doch schon gleich wieder aus dem Sinn. James Cameron oder Steven Spielberg erzählen ihre Schlachten langsamer und damit spannender: Ziele werden schwerer erreicht, es kommt nicht auf Höchstgeschwindigkeit an, sondern im Gegenteil darauf, dass es Verschnaufpausen gibt – nur so kann man verstehen, welche Gefahr hier eigentlich droht (die legendäre LKW-Jagd aus „Jäger des verlorenen Schatzes“ spielte sich über zehn Minuten innerhalb nur eines Gefährts ab).
Die Rahmenhandlung erspart uns das Schlimmste: Da auch die magisch begabten Protagonisten im Film noch keine voll ausgebildeten Jedis, sondern Lehrlinge sind, bleiben wir von der sinnfreien George-Lucas-Akrobatik verschont, die die letzten drei Filme so schrecklich prägte – wie die Hundert-Meter-Salti von Anakin. In „Erwachen der Macht“ liegt der Jedi-Fokus noch, ganz altmodisch, auf dem Aufbauen von Kraftfeldern per erhobener Hand, sowie dem Ansaugen des Lichtschwerts. Und die Bodenkampf-Szenen mit Sturmtruppen bieten, auch das ist erholend, keine Panoramen mit riesigen Digital-Armeen, sondern Nah-Aufnahmen mit Stuntmen.
Aber selbst die noch unbeeindruckendste Abrams-Action führt dazu, dass andere Aspekte ins Bild rücken: Der Kameraschwenk zum lange vermissten Rasenden Falken, alt, verrostet, aber natürlich immer einsatzbereit, kommt inmitten des Getümmels so plötzlich, dass man vor Freude die Luft anhält.
7. Han Solo
„Das Erwachen der Macht“ ist Han Solos Film. Nie war er besser als hier. Das ist umso erstaunlicher, da seine Figur unter allen Hauptfiguren der Saga noch diejenige mit dem geringsten Tiefgang gewesen war. Im Gegensatz zu Luke, Leia und Anakin fehlte ihm eine Backstory. Hier erleben wir ihn als Vater, der seinen Sohn zurückhaben will; und als einen gealterten Schmuggler, der sich gegenüber Käufern mit schlechten Witzen herausreden möchte. Eigentlich ein echter Loser, der sich nur noch mit seinem Wookie versteht – falls Han denn wirklich versteht, was der ihm entgegen bellt. Vielleicht antwortet er auch einfach nur irgendwas, wie ein alter Ehemann.
Lawrence Kasdans Script liefert Harrison Ford die besten One-Liner und Dialoge. Nie hätte man gedacht, dass Han Solo gar interessanter werden könnte als etwa die zweite ikonische Figur Fords, Indiana Jones. Im vierten „Indy“-Film war der Mann auch schon 66, aber mit 73 und in „Star Wars“ zeigt er mehr Schlagfertigkeit, Vitalität und ein differenzierteres Mienenspiel als der Archäologe. Was auch nur demonstriert, wie unfertig doch das Drehbuch vom „Kristallschädel“ gewesen war.
8. Die Bösen waren sofort da
Die drei Prequels (1999-2005) haben all ihre Laufzeit benötigt, um den Aufschwung des Imperiums zu erzählen. Es ging da irgendwie um Steuererhöhungen, Steuerkriege und ein entmachtetes Parlament. Wahnsinnig langweilig. Zu Beginn von „Erwachen der Macht“ könnte man sich zwar fragen, wie überhaupt nach dem Tode Vaders und dem Zerfall des Imperiums eine derart schlagkräftige neue Sturmtruppen-Armee entstehen konnte – aber will man das wirklich ausführlich wissen? Daher ist es richtig, beide Fronten sofort, von der ersten Minute an, erstärkt gegeneinander antreten zu lassen.
Hätte man vor 30 Jahren Fans gefragt, wo Leia, Han und Luke heute stünden, die einhellige Antwort wäre wohl gewesen: Na, auf dem Thron natürlich! Sie hatten doch gewonnen! Umso toller die Idee, dass alle drei heute wie Verlierer dastehen. Han tuckert durchs All; Leia ist zwar General, aber mit kleiner Armee; Luke ist seinen eigenen Ansprüchen als Jedi nicht gerecht geworden und lebt als Eremit.
Spoiler-Bereich
9. Tabubruch
Dass Familienmitglieder sich im „Krieg der Sterne“ bekämpfen, ist nicht neu. Dass innerhalb der Familie gemordet wird, schon. Abrams wagt diesen Tabubruch, auf den es zwar hinauslaufen musste, den man aber doch gerne verhindert gesehen hätte. Kylo Ren wird so zum ersten verhassten Bösewicht der Reihe – hatte man Darth Vader denn jemals nicht mögen können? Auf jeden Fall wird die Ur-Saga (1977-1983) fortan mit anderen Augen zu sehen sein, schon beim ersten „Star Wars“ heißt es dann innerlich Abschied nehmen von einer geliebten Figur. Zumindest hat sich Ford nun, 32 Jahre später, endlich durchsetzen können, was das Schicksal seines Helden angeht.