Midlake – Hamburg, Knust
Tim Smith ist keiner für alle, vermittelt jedoch Wärme trotz Distanz.
Tim Smith hat sich auf die laufende Tournee seiner Band Midlake gefreut. Die Lieder des neuen Albums „The Courage Of Others“ sind live offenbar leichter zu spielen als die des Vorgängers „The Trails Of Van Occupanther“. Mehr künstlerische Freiheit, weniger enges musikalisches Korsett – Smith wollte improvisieren, ausdehnen, den Moment genießen.
Im ausverkauften Hamburger Knust kommt es tatsächlich zu solch freien Momenten. Das programmatische „Acts Of Men“ macht die Bühne mit überlangem Intro zur Weidenkathedrale, Smith sehnt sich wie ein weltverdrossener Eremit in die Tiefen der Erde. Auch „Bring Down“ entfaltet seine pastorale Emphase, ist trotz der instrumentalen Fülle enorm aufgeräumt. In den Wald, in den Wald! Das Heil liegt im grünen Schoß.
Sieben größtenteils bärtige Männer stehen auf der kleinen Bühne eng beieinander, meist spielen vier (!) Gitarren gleichzeitig, manchmal improvisieren Smith und Sidekick Jesse Chandler gemeinsam auf Querflöten.
Auch auf die hat Smith sich gefreut, weil er sie lange nicht spielen durfte. Nun haben Midlake ein Album im Stil von America, Jethro Tull oder Fairport Convention gemacht, es darf geblasen werden. Die Musik ist fabelhafter psychedelischer Folk, der das US-Amerika der frühen 70er-Jahre beschwört. Mit staubtrockenen Gitarren, Crosby, Stills & Nash-artigen Harmoniegesängen und der betörenden Langsamkeit des Folkrock jener Jahre.
Doch Smith, ein sensibler Misanthrop, fühlt sich nun trotz der Vorfreude nicht wohl in seiner Haut. Nach dem dritten Lied fordert ein Zwischenrufer, der Midlake-Vormann möge doch bitte einmal lächeln. Die Forderung hat ihre Berechtigung, weil auf der Bühne kaum jemand spricht oder einen Blick wechselt, nicht mit dem Publikum und nicht untereinander. Da so ein Konzert ja nicht zuletzt eine kommunikative Angelegenheit ist, fühlt man sich ein bisschen alleingelassen. Smith verzieht das Gesicht und antwortet, besser würde es nicht werden, er habe einen schlechten Tag. Ein Teil des Publikums lacht, in der Annahme, Smith mache einen Witz. Doch der fährt fort und sagt nachdrücklich, er versuche das hier nach Kräften zu genießen – offenbar ein schwieriges Unterfangen.
Damit war zu rechnen. Dem ROLLING STONE erklärte Smith kürzlich, eine Tournee sei per se ein Kompromiss, er würde lieber zu Hause bleiben und Lieder schreiben.
Weil Midlake ohnehin eine rätselhafte Musik machen, nimmt man die Sprachlosigkeit hin – ist aber trotzdem froh, als Gitarrist Eric Pulido nach einer Dreiviertelstunde ein freundliches Wort sagt. Pulido ist der treue Arbeiter der Band, der ständig Gitarren wechselt und die Songs mit bewundernswertem Fleiß untermauert. Applaus für diesen Mann! Er hält Midlake zusammen.
Midlake führen, wie erwartet, fast das gesamte neue Album auf. Obwohl die Musiker nur wenig interagieren, ist die Musik großartig. Die emotionale Genauigkeit, mit der die alten Register gezogen werden, ist anrührend, Smiths Inspiration spürbar im Raum. Jemand neben mir sagt nach „Fortune“, dass sie das doch schon gespielt hätten. Haben sie nicht, aber die Reaktion ist bezeichnend für dieses Repertoire, denn jedes Lied ist in jedem, die ähnlichen Akkordfolgen sind der Humus für das kohärente Gefühl.
Auch sechs alte Lieder sind im Programm. „Roscoe“ wird unter dem Druck der Gitarren kräftiger und ist natürlich der Hit des Abends. „Bandits“ und „Young Bride“ wirken bereits wie Klassiker. „Van Occupanther“ hat man schon feierlicher gehört.
Bei „Head Home“ kommt es dann zu einem der angekündigten Jams. Hier wirken Midlake endgültig wie eine alte Westcoast-Band. Insgesamt leiden die alten Lieder an den neuen Arrangements, wunderschön sind sie nichtsdestotrotz.