Mick Jagger: Gott gab ihm alles
Zum 80. Geburtstag des unvergleichlichen Mick Jagger
Mick Jagger kam zur Welt, ging zur Schule, fand auf einem Bahnsteig einen Freund, der wie er den Blues liebte, wurde Sänger, dann auch Songschreiber, gründete mit anderen eine Band, wurde beinahe auch noch Schauspieler und prägte 60 Jahre Rock’n’Roll. Er IST der Rock’n’Roll.
Als 1985 seine erste Soloplatte erschien, „She’s The Boss“, wurde er belächelt. Das Album ist aber verdammt gut. Es enthält einen Song, der für alle Songs steht, die Mick Jagger je gesungen hat: „Just Another Night“. Er hat unendlich viele Variationen davon. Während der Pandemie, als die Rolling Stones seit ungefähr 13 Jahren an der neuen Platte arbeiteten, reagierte er sofort und beklagte in dem Song „Living In A Ghost Town“, dass dort, wo einst Feuerwerk war, nun nur noch Stille ist. Mit Dave Grohl schrieb er die Lockdown-Satire „Eazy Sleazy“.
Stille kann er schlecht aushalten. Er war zweimal verheiratet und hat acht Kinder von vier Frauen. Das jüngste Kind kam 2016 zur Welt. Die jüngste Tournee mit den Rolling Stones war im letzten Jahr.
Michael Philip Jagger wurde am 26. Juli 1943 in Dartford in der Grafschaft Kent geboren, ein Kriegskind. Das Haus der Jaggers blieb bei deutschen Luftangriffen 1944 unbeschadet. Jaggers Vater war ein Sportlehrer aus Nordengland, seine Mutter Eva stammte aus Australien und kam als Jugendliche nach England. Mick, damals Mike genannt, spielte an der Schule im Basketballteam seines Vaters. Er begeisterte sich für Buddy Holly und Chuck Berry und gründete mit seinem Freund Dick Taylor eine Blues-Band.
Keith Richards kannte er flüchtig von der Schule. Als Jagger 1961 an der London School of Economics studierte, trafen sie sich beim Warten auf einen Zug auf dem Bahnsteig. Sie waren 17. An Wochenenden fuhren sie von Dartford nach London und spielten manchmal bei Alexis Korners Blues Incorporated mit. Sie trafen dann einen weiteren Blues-Jünger, Brian Jones. Dann gründeten sie eine Band.
Ein Jahr später mussten sie nie mehr auf einen Zug warten. Jagger und Richards waren immer die schlimmen Jungs. Mick Jagger machte sich lustig über die Fragen der Journalisten. Er war der Unbotmäßige. Vielleicht war er weniger eloquent als John Lennon, aber er wollte auch nicht lustig sein. Er war verliebt in Marianne Faithfull, wer war es nicht. Sie sang „As Tears Go By“ von Jagger/Richards. Es gab Drogenrazzien und Verhaftungen. Die Rolling Stones drängten den erratischen Brian Jones 1968 aus der Band. Ein Jahr später wurde er tot im Swimmingpool gefunden. Altamont passierte.
Wahrscheinlich sind das Gründe, weshalb es die Rolling Stones noch gibt. Sie sind resilient jenseits aller Vorstellungen.
Mit Richards und Jagger schien es Mitte der 70er-Jahre nicht weiterzugehen. Nach 1983 schien es nicht weiterzugehen. Und nach 1989 auch nicht. Sie sprachen schlecht übereinander, sie sprachen nicht mehr miteinander. Keith Richards machte wenige Soloplatten, keine sehr guten. Mick Jagger nahm vier Soloplatten auf, über die es verschiedene Urteile gibt. Natürlich waren sie nicht so gut wie die Platten der Rolling Stones. Richards spielt eigentlich immer Blues (und Reggae). Jagger macht Rhythm & Blues, manchmal eine Art Disco (und Reggae). Im Jahr 2012 gefiel es Jagger, mit Dave Stewart und der Sängerin Joss Stone die Band SuperHeavy zu gründen. Das war superschnell vorbei.
1968 trat er in Nicholas Roegs Film „Performance“ auf und sang den Song „Memo From Turner“, 1970 spielte er in „Kelly, der Bandit“. Später sollte er an Werner Herzogs „Fitzcarraldo“ mitwirken, aber Jason Robards erkrankte, die Dreharbeiten verzögerten sich, Klaus Kinski kam, Jagger musste auf Tournee. Mick Jagger produzierte Filme, etwa „Enigma“ und – mit Martin Scorsese – die Serie „Vinyl“. Er hat ein Gespür fürs Geschäft, freilich, aber nicht immer eine sichere Hand bei künstlerischen Entscheidungen.
Aber das alles ist vergessen, sobald er auf die Bühne kommt. Sobald er tanzt.
„God gave me everything“, singt er auf seiner letzten Soloplatte. Sie heißt „Goddess In The Doorway“.