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Mit dem neuen Programm "Paranoid" legt Michael Mittermeier einen Schlag zu. Es geht um lästige Politiker und kiffende Kakerlaken, musikalische Massenvernichtungswaffen und die Offenbarung. Die Zeit in New York hat ihn noch mutiger gemacht.
Zu den ohrenbetäubenden Klängen von Black Sabbaths „Paranoid“ betritt Michael Mittermeier die Bühne des Lustspielhauses zu München. Es ist der erste Abend in der Heimat mit dem neuen Programm. Er sieht kein bisschen nervös aus. Nach den Gold- und Platin-Erfolgen von „Zapped“ (1987) und „Back To Life“ (2000) hat er wieder etwas Großes am Start, und das weiß er.
Im vergangenen Jahr hatte er sich zurückgezogen, kurz vor dem endgültigen Medien-Overkill. Ging für einige Monate nach New York und feilte dort schon am nächsten Coup. Wohin der führen sollte, war ihm zuerst gar nicht so klar. „Das Einzige, was ich wusste, war, dass ich auf jeden Fall wieder einen Haken schlage. Ich mache nach jedem Programm einen harten Schnitt und versuche, wieder einen neuen Weg zu gehen. Nach „Zapped“ – viel Fernsehen – und „Back To Life“ – das normale Leben – war klar, dass man weitergehen muss. Mich hat vor allem das Polit-Thema gereizt. Und etwas surrealer zu werden. Tougher Polit-Surrealismus und nebenbei schweinewitzig – das zu verbinden, ist die Kunst, und ich bin froh, dass das so gut klappt und die Leute mitgehen.“ Immerhin ist das keine Fast-Food-Comedy, sie fordert die Zuschauer. Wenn einer in zwei Stunden so viele Bögen schlägt, dass am Ende alles irgendwie zusammenhängt – dann muss man schon dabei bleiben. Wegnicken ist nicht. Wäre auch schwierig bei dieser irren Show.
In New York sammelte Mittermeier erste Ideen, dann besuchte ihn sein Co-Autor Sven Kemmler. Zehn Tage lang wurde alles besprochen, es kamen ein biblischer Strang hinzu und noch mehr Drogenexperimente. Der Comedy-Schreiber, ein „guter alter Freund“ Mittermeiers, war wichtig für die Genese von „Paranoid“: „Es macht zu zweit einfach sehr viel mehr Spaß, weil man gleich Feedback hat Und ich finde, dass das Programm auch eine surreale Komponente wie kiffende Kakerlaken braucht. Mit Sven kann man so was gut machen. Der liest die Offenbarung auch, ohne dass ein Programm ansteht.“
Apropos Offenbarung: New York City! Michl aus Oberbayern hat sich dort ohne Beziehungen durchgebissen. Er ging zu den berüchtigten „open mike nights“, keiner kannte ihn, er bekam irgendeinen Spot neben 20 anderen hoffnungsvollen Stand-up-Comedians. Aber sein Programm gefiel, und bald spielte er in regulären Clubs – seit vielen Jahren sein größter Traum. „Es geht ums Machen. Nicht darum, was dabei rauskommt. Aber dass es geklappt hat, darauf war ich natürlich sehr stolz.“ Er war happy, wenn 50 oder 100 Leute kamen. Da ist er ganz Realist: „Karriere dort machen zu wollen, ist Käse.“
Aber dass er auch die Amerikaner zum Lachen bringen würde, hatte er sich schon gedacht.“Ich mache das seit 17 Jahren. Wenn ich’s nicht kann, dann muss ich aufhören, ganz ehrlich! Das wäre wie ein Musiker, der kein Gitarren-Solo auf A-Moll spielen kann.“
Die Nummern gegen Bush und die US-Politik hat er dort übrigens nicht weggelassen. Im Gegenteil. Das Einzige, was Mittermeier definitiv nicht will, ist: gegen Schwache schießen. Das langweilt ihn. „Wenn ich hier in Deutschland sage, Bush ist doof, dann lachen alle. Aber ich wollte das auch in Amerika bringen. Dazu stehen, nicht einscheißen und eine Männer-Frauen-Nummer machen, sondern die Hardcore-anti-Bush-Nummer. Und das hat funktioniert. Okay, an einem Abend saß da ein Tisch Texaner.-“ Da muss man dann durch. Tabus gibt es für Mittermeier jedenfalls nicht Er würde keinen extremen Witz einbauen, nur um zu provozieren. Aber: „Wenn dir zu einem harten Thema drei Mörder-Pointen einfallen, dann mach sie! Die Mörder-Pointe heiligt den Zweck.“
Nach den endlosen Tourneen, dem Erfolg und der Pause hatte er überraschenderweise gar keine Anlaufschwierigkeiten. „Sonst ist ja immer die Urangst der Künstler: Fällt mir noch was ein? Wenn ich ehrlich bin, die hat sich bei mir schon lange verflüchtigt Ich weiß, wenn ich bei mir bin, dann brauche ich mich nur hinzusetzen. That’s it. Das ist nicht so, weil ich lustiger oder besser oder sowas bin, aber ich glaube, ich habe mich komplett gefunden, auf der Bühne. Das klingt jetzt esoterisch, aber ich bin auf der Bühne in einem Zustand, der ist nicht ganz real. Fast schon wie ein meditativer Zustand. Und den kann ich auch beim Schreiben herstellen. Dann bin ich auf einer imaginären Bühne. Ich springe auf, ich mache die Nummer, ich höre laut Musik und singe. Ich liebe den Schreibprozess.“ Und er schreibt einfach erst mal hin, was rauswill.
Die Übergänge, der genaue Ablauf – das ergibt sich alles erst bei den Previews. Nicht bei Proben. Proben gibt es nämlich nicht! Der Kerl ist mutig. Diesmal hatte er gerade mal vier Tage Zeit, um seine Kladde mit 90 Seiten Text so weit wie möglich auswendig zu lernen. Dann wartete schon das Publikum. „Der erste Auftritt ist ein Auftritt vor Menschen, die zahlen. Das ist die einzige Situation, in der man etwas real austesten kann. Wenn ich eine Probe mache, vor einer nackten Wand oder einem Spiegel, dann macht das keinen Sinn. Wie ich mich bewege oder schaue, ergibt sich am besten live auf der Bühne.“
Ein bisschen Hilfe hatte er freilich schon: Die Regie führte Thomas Hermanns, „nicht der klassische Theater-Regisseur, der dir Anweisungen gibt“, so Mittermeier, sondern einer, der Feedback gibt und Tipps, von den ersten Entwürfen bis zu den Previews. Die Komposition ist wichtig, das wusste Mittermeier immer – er will keine bloße Aneinanderreihung von Lustigkeiten, sondern ein stimmiges Gesamtprogramm. Manchmal wundert man sich da. Gerade sprach er noch von Halle Berry, und plötzlich ist er beim irakischen Informationsminister. Von Waffennarren geht es zum utopischen Staat namens Gayland, dann folgt die Apokalypse. Und immer fragt man sich: Wie hat er die Verbindung jetzt hinbekommen? Man merkt kaum, wie geschickt er sich das alles zurechtlegt. „Mich reizen gerade die Übergänge. Das ist wie eine filmische Achterbahnfahrt“ Die „Paranoid“-CD, die er aufgenommen hat, nachdem er das Programm schon 50-mal gespielt hat, ist natürlich „nur“ eine Art „Best Of‘; von zwei Stunden musste er die Hälfte rausschneiden. Dass es trotzdem keine blanke Nummernrevue wird, sondern dank running gags und Schleifen wie ein Hörspiel funktioniert, ist für ihn entscheidend. Er ist schon ein Perfektionist – aber lässig genug, sich Fehler zuzugestehen. Er ist überhaupt unfassbar entspannt. Wer nur den zappeligen Bühnen-Michl kennt, stellt im Gespräch fest: Der ist mit sich im Reinen; der weiß, was er tut und was er kann.
Bei den Shows stellt er manchmal, wie an diesem Abend in München, am Ende fest, dass er zwischendurch eine Nummer vergessen hat, baut sie noch schnell ein – oder lässt es einfach. Nach dem Motto „Du musst deinen Arsch retten, so gut du kannst“ findet er immer eine Lösung. Nach 3000 Auftritten ist das fast Routine. Und gleichzeitig immer wieder die schönste Herausforderung. „Der Stand-up-Comedian, vor allem der Solo-Comedian das ist die letzte anarchische Unterhaltungsform. Eine Band kann zwar auch improvisieren, aber die müssen sich Zeichen geben und so weiter. Alleine auf der Bühne kannst du jeden Abend machen, was du willst“ Und wenn dann mal ein 12-Jähriger in der ersten Reihe sitzt – Pech, deshalb musst du die Geschichten übers Sack-Wachsen und Pornogeschäft trotzdem erzählen. „Solche Momente mag ich ganz gern. Wer in mein Programm geht, weiß, was ihn erwartet. Wenn einer seinen Sohn mitnimmt, muss er das verantworten. Ich werde den Teufel tun und auch nur einen Satz streichen. Nein, ich spiele das Programm in seiner ganzen Härte.“
Schließlich ist er ja nicht härter als die Realität. Mel Gibsons „Passion Of The Christ“ ist allemal krasser als Michls Witze über den ,“Jesus-Splatter-Film“. Und Angela Merkel, Roland Koch oder der „Gockel auf Ecstasy“ namens Gerhard Schröder – die sind ein bisschen Kritik ja gewöhnt. Rücksicht wäre hier fehl am Platz, und außerdem: Er sagt ja nichts, wenn er nicht absolut dahintersteht.
Das große Geheimnis von Michael Mittermeier ist, dass er keines hat. Er spielt nicht, er ist Entwirft keine Kunstfigur, sondern präsentiert einfach den echten Michl. What you see is what you get. „Im Kern ist das alles meine Meinung. Manches ist natürlich überhöht, aber mehr vom Spielerischen her. Die Aussagen sind immer 1:1 meine Meinung.“ Deshalb gibt er ganz offen zu Protokoll, dass er die Grünen wählt, „weil sie noch an ein paar Werten festhalten und nicht nur auf die nächste Wahl spechten“. Er ziert sich nicht wie viele Kollegen, die sich lieber hinter ihrem Bühnen-Ego verstecken. „Ich bin sehr tough gegenüber einigen Leuten. Und dann, finde ich, habe ich die Verpflichtung, auch zu sagen, wo ich stehe. Ich will mich da nicht verpissen, das fände ich feige.“ Einen großen Vorteil hat es natürlich auch, dass er seit Anfang der 90erJahre weniger auf Sketche setzt und mehr auf ein freies Programm: Es können einem nie die Nummern ausgehen. Zu irgendwas hat man schließlich immer irgendeine Meinung. „Mir ist es wichtig, dass die Leute das Gefühl haben, das ist schon der Echte, der da oben steht.“
Mittermeiers „großer Held“ ist denn auch einer, der sich nie verbiegen ließ, der die Gesellschaft durchschaute und so subversiv wie sensationell komisch war: Lenny Bruce. Am Ende von „Paranoid“ läuft der R.E.M.-Song „It’s The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)“ – die Zeile „Lenny Bruce is not afraid“ gefällt Mittermeier besonders gut. Die erste Bruce-CD bekam er von dem Professor, bei dem er ’94 seine Amerikanistik-Magisterarbeit (natürlich über Standup-Comedy) schrieb, inzwischen hat er eine riesige Plattensammlung. „Lenny Bruce ist leider zu früh verstorben. In meinem Geburtsjahr. Ich will ja nicht paranoid sein, aber…“
Andere Comedy-Favoriten variieren – Bill Hicks, Woody Allen und Bill Cosby fallen ihm heute ein -, aber eins ist klar: Als er beschloss, vor dem „Paranoid“-Programm noch die legendäre US-Comedy-Show „Saturday Night Live“ nach Deutschland zu holen, war das eine Herzensangelegenheit, keine Geldanlage. Einfach war es auch nicht Er verhandelte um die Rechte und suchte sich die Kollegen aus, mit denen er die besten Szenen kommentieren wollte. Dann verkaufte er das Konzept an RTL und stellte die Doppel-DVD „Michael Mittermeier Presents: Saturday Night Live. 25 Years Of Music“ zusammen. Die Belohnung: Er ist zu einer „SNL“-Aufzeichnung eingeladen. Und: „Die Amerikaner nehmen zum ersten Mal deutschen Humor ernst!“ Ein kleiner Schritt für die weltweite Comedy, ein großer für unsere Nation. Aber wen sollten sie sonst schon ernstnehmen? Ingo Appelt? Atze Schröder? Zurzeit muss sich Mittermeier um Konkurrenz wenig Sorgen machen. Er hat keine. Aber es bleibt ja genug anderes, worum man sich sorgen kann. Beim Sprechen über „musikalische Massenvernichtungswaffen“ und die „Diktatur des Dieter Hussein“ wird Mittermeier etwas wütend, weil es ihn nervt, dass tolle Bands wie Virginia Jetzt! nicht gefördert werden, dafür aber „arme Karaoke-Sänger“. Am Ende siegt allerdings sein unverbesserlicher Optimismus: „Ich will mir Musik nicht schlecht reden lassen. Ich liebe Musik. Ich kaufe jede Woche mindestens fünf CDs. Und ich habe in meinem Leben noch keine CD gebrannt, nicht eine.“ Brav so.
Bei ihm stimmt eben die musikalische Sozialisation. Der große Wendepunkt seines Lebens fand 1987 statt. In der Münchner Olympiahalle. Bei U2. Bono zog den 21-jährigen Michl aus der ersten Reihe auf die Bühne, gab ihm eine Gitarre, und er durfte ein Lied mitspielen: „People Get Ready“. Eine Offenbarung. Noch heute kommt der „abartige U2-Fan“ ins Schwärmen. „Das ist etwas, wofür ich Bono und seiner Band ewig dankbar bin: Als ich da oben stand, war für mich klar, es gibt keine Kompromisse. Die wird es nicht geben, in meinem ganzen Leben nicht. Ich werde auf einer Bühne stehen, bis ans Ende meiner Tage – egal, wie viele Zuschauer da sein würden. Und wenn es 50 sind. Oder 100. Dass es mehr wurden, ist natürlich schön. Aber was man gar nicht hoch genug hängen kann: Viele Künstler hadern irgendwann. Ich habe auch zehn Jahre Tour gemacht, ohne Ende, und es kamen nicht viele. Aber ich habe nie gelitten, weil ich immer wusste: Das will ich. Ich hätte nie nebenbei einen anderen Job angenommen. Es gab keinen Kompromiss. Das ist ein Geschenk, das ich damals gekriegt habe.“
Diese Hartnäckigkeit, die Konsequenz zahlte sich aus. Nicht nur finanziell – man glaubt Mittermeier sofort, dass ihm das gar nicht so wichtig ist. 14 Jahre später traf er die Iren noch einmal, unter veränderten Vorzeichen – als deren „Special Guest“ in Berlin. „Danach haben meine Frau und ich noch eine Dreiviertelstunde mit Bono geredet. Ich habe immer daran geglaubt, dass das ein toller Mensch ist, und es war so ein Glück, so jemanden treffen zu dürfen und festzustellen, dass man Recht hatte. Dafür hat sich schon alles gelohnt“