Michael Jackson: This was not
Es sollte das größte Comeback der Popgeschichte werden, Rehabilitation und Abschied des Bühnenkünstlers Michael Jackson zugleich. Die 50 Konzerte, die er in London ab dem 8. Juli unter dem Motto "This Is It" geben wollte, finden nun nicht mehr statt. Protokoll eines Comebacks, das nie war.
Sie staunten nicht schlecht, all die Pressevertreter, Branchenmenschen und Die-Hard-Jacko-Fans, die sich an jenem kalten Nachmittag des 5. März 2008 in der Londoner 02 Arena, Grand Concourse, Peninsula Square, versammelt hatten: Kurz nur stand er da oben vor dem kleinen Rednerpult, Michael Jackson, leibhaftig, nach all den bedenklichen Gerüchten um seinen schlechten Gesundheitszustand überraschend agil und vital. Mit fester Stimme ließ er die Anwesenden und via Medien den Rest der Welt wissen: Zehn Konzerte sollen es werden, allesamt in der 02-Arena, das erste am 8. Juli. Aber: Es sollen auch die letzten seiner märchenhaften Karriere sein. „This is it. 1 just want to say these will be my final show Performances in London. „This is it, and when I say this is it, this is it!“ Zwei Minuten dauerte der Auftritt, dann Kusshändchen, ein paar Posen für die Fotografen noch, und weg war er. Was blieb, war ohrenbetäubender Jubel, eine gewisse Verwirrung und die Erkenntnis: Der King Of Pop will’s noch mal wissen.
Soweit die Ouvertüre. Zwei Jahre lang war der Coup geplant worden. Allen Unkenrufen zum Trotz schien er nun Realität zu werden. Englische Buchmacher, naturgemäß skeptisch, nahmen umgehend Wetten an, dass Jackson zu den Shows nicht antreten oder sie zumindest nicht durchstehen würde. Denn so viel war klar: Nach eigenem Bekunden war er weder psychisch noch physisch in optimaler Verfassung. Es schien, als wollte er mit dieser Konzertreihe gleichsam den Gordischen Knoten zerschlagen, der seine Karriere spätestens nach dem lauen letzten Album „Invincible“ blockiert hatte. Die Shows sollten Jackson dringend benötigte Dollars in die Kassen spülen, und sie sollten ihn rehabilitieren als den immer noch einzig wahren King of Pop. Kaum war die Sensation verkündet, hatten sich sage und schreibe 360.000 Fans für Tickets registrieren lassen (die 02-Arena fasst 17.000 Zuschauer).
Folglich bliesen die Veranstalter, namentlich AEG Live aus London, das geplante Comeback nun zum Jahrzehnt- wenn nicht gar Jahrhundert-Ereignis auf und fügten den bereits angekündigten zehn mal eben so weitere vierzig (!) Konzerte hinzu. Der Rubel rollte umgehend, so rund ging’s im Konzertbusiness kaum je zuvor: 750.000 Tickets fanden in Rekordzeit ihren Käufer.
AEG Live – sicher ist sicher ließ zunächst die ersten zehn Shows, die bereits vertraglich wasserdicht waren, versichern. Über die anderen 40 wurde mit diversen Versicherungen verhandelt. Im März noch berichtete AEG-Boss Randy Philipps dem britischen „Guardian“ optimistisch, dass Jackson sich erfolgreich diversen medizinischen Checks und einem Bluttest unterzogen habe: Der 50-Jährige sei fit wie ein Turnschuh.
Dann aber geriet Sand ins Getriebe: Im Mai plötzlich ließen die Veranstalter in einer offiziellen Erklärung verlauten, dass das Auftaktkonzert auf den 13. Mai und weitere drei gar auf den März 2010 verschoben werden. Als Gründe führten sie organisatorische und sicherheitstechnische Bedenken an. Zudem schienen die Verhandlungen mit Versicherungen über die zusätzlich geplanten Konzerte, man munkelte von einer Summe von 300 Mio. Pfund, ins Stocken geraten zu sein. Dass Jackson selbst, der ursprünglich nur zehn Konzerte geben wollte, inzwischen verkündet hatte, dass nicht er, sondern sein Management diesen Marathon veranlasst habe, ging dabei ziemlich unter. Ebenso seine Bemerkung, dass er nicht sicher sei, die komplette Konzertreihe zu schaffen. Wie sich herausgestellt hat, eine allzu begründete Sorge.
Mit Jacksons plötzlichem Tod war das monströse Showspektakel natürlich Makulatur. Fragt sich, wer die Zeche für die entgangene Inkasso-Aktion zu zahlen hat. Die beteiligten Firmen? Die Versicherungen? Die Fans, die Tickets gekauft hatten? Fraglich scheint auch, ob die Versicherungen die vereinbarten Summen auszahlen. Denn sollten die mit Spannung erwarteten Obduktionsergebnisse tatsächlich einen durch Tablettenmissbrauch bedingten Todesfall bestätigen, könnte es für AEG Live brenzlig werden, womöglich bleibt die Firma dann auf ihren Investitionen sitzen. In die Röhre schauen dazu in jedem Fall auch Hotels, Reiseanbieter, Merchandiser und Caterer, denn Ersatzveranstaltungen, noch dazu von ähnlichem Kaliber, waren in der kurzen Frist nicht zu realisieren.
Immerhin scheint AEG Live einen Weg gefunden zu haben, die 10 Mio. Dollar, die man Jackson für seine Rehearsals in London gezahlt hatte, zurück zu holen – Teile der Proben wurden aufgezeichnet und eignen sich zur Veröffentlichung auf DVD. Am 30. Juni veröffentlichte AEG Live eine Stellungnahme zum Stand der Dinge. Den Fans wird der Preis für die Tickets vorbehaltlos erstattet (nicht natürlich den vielen Schwarzhändlern). Besondere Option: Sie dürfen, gegen ein Entgelt, ihr Ticket sogar behalten – als Erinnerung an eine Show, die niemals stattfand.