Michael Jackson: Am Pranger
Es war ein demütigendes Medienspektakel: Als Michael Jackson 2004 des Kindesmissbrauchs angeklagt wurde, geriet die anschließende Verhandlung zum Schauprozess - mit überraschendem Ausgang.
Bilder, die den Atem stocken ließen. Und für die man sich irgendwie fremdschämte: Michael Jackson in Handschellen; Michael Jackson, der nach einem Schwächeanfall mit Blaulicht abtransportiert wird; und Michael Jackson, der im Pyjama vor dem Richter erscheint und wegen eines Spinnenbisses um Vertagung bittet.
Zimperlich waren die Medienvertreter nicht. Im Gegenteil, der Prozess, dem sich Michael Jackson vor dem Santa Barbara County Courthouse stellen musste, geriet zur Freakshow und scheinheiligen Abrechnung, deren Details nicht unappetitlich genug sein können, um sie nicht umgehend – und gerne auch hämisch kommentiert – in die Welt hinaus zu posaunen. Tenor: Er hat’s also doch getan, wir wussten es ja schon immer. Ein Klima der Vorverurteilung, in dem man um die Unabhängigkeit von Justitia furchten musste. Und ein Prozess, der Jackson vermutlich, trotz des für ihn glimpflichen Ausgangs, das moralische Rückgrat gebrochen hat.
Wie kam es dazu? Seit der Chandler-Affäre von 1993 waren die Gerüchte um Jacksons augenfällige Kinderliebe nie ganz verstummt. Und Staatsanwalt Tom Sneddon, der mit seinem ersten Versuch, Jackson der Pädophilie zu überführen, 1993 gescheitert war, wartete nun auf eine neue Gelegenheit. Die kam, als Jackson 2002 dem britischen Klatschreporter Martin Bashir auf den Leim ging. Auf der Neverland-Ranch durfte dieser Material für eine Dokumentation drehen und Interviews führen. Jackson plauderte arglos über seinen Umgang mit Kindern, zeigte sich mit ihnen händchenhaltend und bestätigte, dass sie in seinem Bett schlafen. Fatal, denn Bashir schöpfte das Sensationspotenzial seines Materials voll aus. 2003 sendete die BBC den Film unter dem Titel „Living With Michael Jackson“. Das Werk wurde auch in Kalifornien ausgestrahlt. Sneddon witterte seine Chance.
Am 20. November 2003 erließ er Haftbefehl gegen Jackson, zudem wurde Neverland durchsucht. Zwar kam der Sänger gegen Kaution wieder frei, die Bilder seiner Verhaftung aber gingen um die Welt. Am 22. April 2004 kam es zur offiziellen Anklage, und Anfang 2005 begann nach diversen Voranhörungen die Hauptverhandlung. Peinlich: Schon am ersten Sitzungstag wurde Jackson vom Richter wegen seines unpünktlichen Erscheinens gerügt. 14 Prozesswochen lang verfolgte die Welt das Geschehen, und außerhalb der Fangemeinde glaubte kaum einer, dass die zwölf Geschworenen Jackson freisprechen würden.
Am 13. Juni 2005 aber geschah genau dies – Freispruch in allen zehn Anklagepunkten. Wie sich zeigte, standen die Indizien gegen Jackson auf wackeligen Füßen, verwickelten sich Zeugen in Widersprüche und hatten auch die belastenden Aussagen des 15-jährigen, krebskranken Gavin Arvizo den Angeklagten nicht zweifelsfrei überführen können.
Nach dem Freispruch jubelten Jackson-Fans weltweit. Der Angeklagte aber verließ Kalifornien und tauchte unter. Er ahnte, dass er nur einen Pyrrhussieg errungen hatte.