Michael Hutchence: Das letzte ROLLING-STONE-Interview vor seinem Tod
Sechs Monate vor seinem Tod 1997 sprach ROLLING STONE mit dem 37-Jährigen INXS-Sänger über den Comeback-Versuch mit der Platte „Elegantly Wasted“.
Am 22. November 1997 wurde Michael Hutchence tot in einem Hotelzimmer in Sydney aufgefunden. Der INXS-Sänger hatte sich erhängt. Das letzte ROLLING-STONE-Interview mit Hutchence fand im Mai 1997 statt, Anlass war der Comeback-Versuch der Band mit dem Album „Elegantly Wasted“.
Die letzten INXS-Alben liefen nicht so besonders gut. Will heute keiner mehr etwas von Euch hören?
Michael Hutchence: Unsinn, wir haben auf unseren letzten Platten vielleicht etwas zu viel experimentiert. Aber wenn es heutzutage nur noch darum geht, ob sich ein Album gut verkauft oder nicht, dann kommt’s auch nur noch zum Teil auf die Musik an. Man sollte ja meinen, dass bei einer so großen und erfolgreichen Band die Plattenfirma voll hinter dir steht, aber unsere Company in Amerika, die uns bis zur letzten Platte unter Vertrag hatte, kümmerte sich einen Scheiß um uns. Die haben unsere US-Karriere regelrecht in den Sand gesetzt.
Ende der 80er Jahre habt Ihr das Wembley-Stadion ausverkauft. Auf Eurer letzten Europa-Tournee habt Ihr jedoch nur noch in mittelgroßen Hallen gespielt. Das ist doch nicht nur die Schuld der Plattenfirma.
Okay, wir sind nicht mehr ins Wembley-Stadion gegangen, aber dafür haben wir in den Neunzigern in Asien und Südamerika in riesigen Stadien gespielt. Das steht natürlich in keiner Bio. Und zugegeben, wir verkaufen nicht mehr zehn Millionen Kopien pro Album, sondern vielleicht vier, aber das liegt nicht daran, dass unsere Songs schlechter geworden sind, sondern daran, dass die Leute uns nicht mehr für Popstars halten.
Wie bitte soll man das denn verstehen?
Nun ja, bis Anfang der 90er Jahre waren wir eben hip. Die 17jährigen Girls haben sich unser Poster ins Zimmer gehängt, dabei haben wir eigentlich nie Musik für 17jährige Mädchen gemacht, sondern ernsthafte Platten, an die wir selbst glauben. Danach kam dann die Nirvana-Generation, die partout nichts von uns wissen will, und da klafft eben diese Lücke. Aber die ganz jungen Kids stehen inzwischen wieder auf uns.
Würdest Du Eure Musik als „modernen Rock“ bezeichnen?
Sehr gute Frage, das würde ich ehrlich gesagt auch gerne wissen. Ich denke mal, wir klingen mindestens so zeitgemäß wie die meisten anderen Rockbands, viel moderner als die Grunge-Fraktion und noch viel moderner als Oasis. Wir würden verdammt noch mal nicht etwas aufnehmen wollen, was in einer besseren Form bereits existiert.
Aber Euer neuestes Album „Elegantly Wasted“ klingt ja nun auch nicht gerade revolutionär. Es bietet ziemlich genau das, was man von einem INXS-Album erwartet.
Recht so. Wir haben in den letzten Jahren mal dies, mal jenes probiert, aber diese LP sollte mal wieder richtig INXS-mäßig werden. Sie sollte sich anhören, als würde eine Horde weißer Jungs funky Rock’n’Roll spielen, und das ist uns ja wohl gelungen. Wir wollten einerseits eine Platte, auf der wir ehrlich zu uns selbst sind und die uns die alten Fans auch abnehmen. Aber andererseits wollten wir auch nicht nach dem gleichen alten Scheiß von vor zehn Jahren klingen.
Hattet Ihr diesbezüglich keinerlei Schwierigkeiten, Euch für dies hochgesteckte Ziel zu motivieren?
Ich sag mal, wenn du gute Songs hast, dann hast du auch eine fröhliche Band; von daher gab es keine Probleme. Aber nach dem letzten Album hätte nicht viel gefehlt, und wir hätten die Brocken hingeschmissen. Wenn du das Gefühl hast, dass die ganze Branche dich zum Narren hält, dann macht es einfach keinen Spaß mehr. Aber ganz kampflos wollen wir das Feld nicht räumen. Wir sind ja schließlich Australier.
Was zeichnet denn den Australier als solchen aus?
Er ist ein Kämpfer. Sensibelchen haben in Australien keine Chance. Bei uns sechs weiß immer jeder, was Sache ist. Das macht uns so stark. Wir sind ja seit 17 Jahren zusammen, länger als die meisten Ehepaare.
Bist Du eigentlich noch mit den Gallagher-Brüdern befreundet?
Die waren immer sehr nett zu mir, aber plötzlich waren sie nicht mehr nett. Ich weiß gar nicht, ob die armen Jungs überhaupt noch Freunde haben, denn nach dem, was ich so mitbekomme, dürfte es in ganz London eigentlich niemanden mehr geben, der von ihnen noch nicht blöde angemacht worden ist. Aber ich bewundere sie immer noch dafür, wie sie sich diesen ganzen Rock’n’Roll-Lebensstil zu eigen gemacht haben.
Immerhin hattet Ihr zuletzt ähnliche Schlagzeilen.
Welche denn, die übers Fotografen-Verhauen? Ja und Polizei, Drogen und Verhaftung. Ja, ja. Irgendwer muss ja die Schlagzeilen machen. Ist mir kein bisschen peinlich. Aber ich hatte nun wirklich kein Opium im Schlafzimmer verstaut, um die Band wieder ins Rampenlicht zu bringen.
Bei Oasis soll das aber tatsächlich so laufen. Da werden ständig solche Geschichten in die Welt gesetzt, nur damit die Jungs in der Zeitung stehen.
Ehrlich, so was geht über meine Hutschnur. Wenn Du mich fragst, dann sind das nur zur Hälfte Männer, aber zur anderen Marionetten ihres Managements. Ich habe so meine Zweifel, ob die überhaupt wissen, was vor sich geht. Aber wir sollten auch mal einen Satz über die englische Presse verlieren: Alles ist verwanzt, und überall, wo du hingehst, ist die Kamera schon da. Früher haben die Zeitungen politische Skandale aufgedeckt, heute verfolgen sie einen durch die halbe Stadt, um zu gucken, in welches Restaurant du gehst. Ich nenne das den „Murdoch-Effekt“.
Warum ziehst Du dann nicht wieder nach Australien?
Wenn Du meine Anwaltsgebühren in England bezahlst, dann würd ich mir das glatt überlegen. Mach mir ein Angebot.