Michael Hurley – Hallo, alte Legende
Seine Songs sind wie Hängematten, seine Platten werden kultisch verehrt. Doch Michael Hurley hat auch Spaß am Bierbrauen und Filmedrehen. Ein Gespräch auf dem Weg zum Waschsalon
Michael Hurley muss zum Waschsalon: Kein sauberes Hemd mehr im Gepäck. Zwar spielt Hurley auf seiner laufenden Tour allabendlich ganze Szeneclubs in fortgeschrittene Verzückung – so aussehen tut er freilich nicht unbedingt. Eher wie jemand, der vorhat, gleich einen Rasen zu mähen. Früher nannte er sich stets „Snock“ oder „Elwood Snock“ und sprach bevorzugt von sich selbst in der dritten Person. „Snock ist das Geräusch, das entsteht, wenn man zwei Holzstücke gegeneinanderschlägt“, informiert Hurley bei einer Tasse Tee mit Honig. „Ich liebe diesen Sound. Aber ich nenne mich nicht mehr so. Du kannst Michael zu mir sagen. Wood geht aber auch.“ Ansonsten hat sich nicht sonderlich viel bei Michael Hurley geändert: Der mythenumrankte Singer/Songwriter und Maler, den Freunde des amerikanischen Liedes ganz oben bei Dylan und Townes Van Zandt einsortieren, reist immer noch mit kleinem Gepäck und Gitarre. Auch mit inzwischen 71 Jahren bleibt Hurley, von dem gerne behauptet wird, er habe das Leben des Streuners und Farmers immer wieder der Musikerkarriere vorgezogen, ein Freund des Einfachen. Vor allem aber ist der Mann mit den listigen Äuglein immer noch ein begnadeter Erzähler lakonisch-seltsamer Geschichten: „Da, wo ich lebe, gibt es einen Turm. Nichts Besonderes. Wenn Leute vorbeikommen, um mich zu besuchen, fragen sie oft, was sie sich denn hier mal anschauen könnten. Ich schicke sie dann immer zu diesem Turm. Selbst war ich aber noch nicht oben.“
Die Geschichte könnte direkt aus einem Hurley-Song stammen: Die Lieder des Mannes, der sein erstes Album Mitte der Sechziger auf derselben Bandmaschine aufnahm, die auch schon Leadbelly benutzte, klingen meist wie das musikalische Äquivalent zu einer Hängematte und lassen J. J. Cale beinahe wie einen Stadtneurotiker wirken. Die Texte seiner Folk-Blues-Gespinste aber sind bevölkert von Werwölfen, sprechenden Lebensmitteln und Typen wie dem „colourful character“ aus „You Got To Find Me“. Hurley: „Da geht’s um einen alten Bekannten aus Massachusetts, eine Art Schamane. Automechaniker war er auch. Und er verband beides: Er wandte seine Schamanenkraft auf kaputte Autos an. Ich glaube, er war ein Aufschneider, aber ein guter Typ.“
Und Hurley selbst, stimmt es, dass er früher Züge überfallen hat? „Nein“, grinst er, „ich war vielleicht ein Hobo. Aber das mit den Zügen habe ich mir nur ausgedacht. Klang gut damals. Heute erzähle ich aber lieber die Wahrheit, das ist weniger anstrengend. Man muss sich seine ganzen erfundenen Geschichten nämlich merken, die Leute fragen ja dauernd danach.“ Seltsame Geschichten erzählt er aber immer noch gerne, am liebsten in seinen Songs. Beim abendlichen Konzert, wo ergraute Männer und junge Mädchen mucksmäuschenstill seinen Liedern lauschen, geht es unter anderem um anbetungswürdige Kuh-Ärsche, arbeitsunlustige Gesellen, ums Essen – und um Verdauung. „Essen ist ein großartiges Thema für mich“, lacht Hurley unter seiner Jeans-Kappe. „Ich mag allerdings nur langweiliges Essen. Keine verrückten Gewürze und so. Am liebsten mag ich Brot.“ Zu seinen Hobbys zählte einst auch das Bierbrauen. „Oh ja, das hat Spaß gemacht“, sagt er. „Allerdings war mein Bier kein besonders gutes. Man sollte auf seine Gesundheit achten und vernünftiges Bier trinken. Wenn man jedoch ein interessantes Bier wollte, dann war meins genau richtig. Aber Brauen braucht Zeit.“
Mit unangebrachter Eile braucht man dem Mann definitiv nicht zu kommen. Hierin sei der Anbau von Gemüse und das Bierbrauen dem Songschreiben durchaus ähnlich: „Es gibt Stücke, die habe ich in den Sechzigern angefangen und erst vor ein paar Jahren vollendet. Bei meinen Bildern ist das genauso: Wenn etwas gut werden soll, muss man sich Zeit lassen.“ Nicht zuletzt deshalb lagen zwischen Hurleys Plattenveröffentlichungen manchmal etliche Jahre. Eine Legende will er aber vom Tisch haben: „Ich habe nicht, wie gerne behauptet wird, absichtlich meine Karriere sabotiert. Ich musste einfach zusehen, dass ich etwas zu essen hatte. Und vom Singen in Bars konnte ich nicht leben. Alle amerikanischen Bars gehörten den Rednecks. Wann immer ich da aufkreuzte, wurde ich verprügelt.“
Nach Beendigung seiner Europatour wird sich Hurley wieder in sein Häuschen in Oregon begeben, Salat pflanzen, malen – und an neuen Songs arbeiten. Gegenwärtig spiele er am liebsten auf seiner alten Pump-Orgel, doch auch die Fiddle kommt zum Einsatz. Und dann ist da noch ein anderes Projekt: „Ich stelle gerade ein Michael-Hurley-Tribute-Album zusammen. Die meisten Leute, die darauf sind, kennt kein Mensch. Alte Freunde, keine Profis. Es sind aber auch Profis darauf, die niemand kennt. Und Sloan Wainwright, die Tante von Rufus und Martha.“
Im fortgeschrittenen Alter hat Hurley noch eine andere Leidenschaft entdeckt – und einen Film gedreht, er heißt „American Boogie“. „Fünfundzwanzig Exemplare habe ich davon verkauft. Er wurde auch einmal in Athens, Ohio vorgeführt. Vier Leute saßen im Publikum. Ich liebe Filme. Mein Favorit ist, Stranger Than Paradise‘: Jede Einstellung ist ein Gemälde. Und es wird nicht so viel gequatscht.“ Hurley trinkt seinen Tee aus. Ob er heute Abend einen Auftritt habe, fragt er, wenn nicht, könne man ja rasch noch einen organisieren. Dann schlurft er los zum Waschsalon. „Zu Hause ist für mich immer da, wo ich länger als einen Tag bin“, lächelt Hurley. Ein bisschen Hobo ist er immer noch.