Besuch bei Meute: Mehr als nur geblasene Techno-Märsche

Die Hamburger Band ist ein internationales Live-Phänomen, weil sie die Menschen zusammenbringt.

Nach etwas mehr als einer Stunde ihres ausverkauften Konzerts in Berlin treibt es Meute ins Publikum. Ein Musiker nach dem nächsten positioniert sich mit Blasinstrument oder mobiler Percussion in der vorderen Mitte des Saals. Und dann wird einer dieser Meute-Stücke gespielt, die einen seltsamen Titel tragen, den man sofort wieder vergisst, nicht ohne den treibenden Rhythmus verinnerlicht zu haben. Wie das bei vielen Songs dieser Band so ist. Minutenlang legen sie sich ins Zeug. Lächelnd, von ekstatisch tanzenden Zuhörern begleitet.

Die Hamburger brauchen keine großen Worte zu verschwenden. Einmal wird die Masse begrüßt, später wird sie verabschiedet. Dazwischen wird nur einmal gesungen, beim enervierenden Cover von „Hey hey“, einem Clubhit von Dennis Ferrer, den Meute zu einem Big-Band-Monstrum umformieren. Posen sind Meute ebenso wenig wichtig. Zwar deutet das enigmatische Bandlogo an, als käme diese Musik irgendwie aus einer eigenen Bananenrepublik, in der Techno-Tunes von allen elektronischen Fesseln befreit sind und auch morgens zum Frühstück serviert werden. Und auch die Spielmannuniformen gehen vorsichtig als ein modisches Statement durch. Aber das sind nur Nebensächlichkeiten im Kontext eines sehr selbstsicher geschaffenen Bandkomplexes, der inzwischen weltweit erfolgreich ist. Meute tourten bereits durch die USA, spielten 2022 gar beim Coachella Festival. Ihre Europa-Termine sind stets ausverkauft.

Musik für Menschen, die selten in Clubs gehen

Das Ensemble schindete nach ihrer Gründung im Jahr 2015 Eindruck, in dem es bekannte House-Hits ohne fremde elektronische Hilfsmittel auf die Bühne brachte. Ihre Alben sind stets ein Mix-up aus selbst entworfenen Tracks und nachgebildeten Stücken. Natürlich profitierten Meute von jenen  Social-Media-Techniken des Überschwangs, die heute über Aufstieg und Fall von Bands und Musikern entscheiden. 2016 ging das Cover von „Rej“ des Berliner DJ-Duos Âme viral. Seitdem halten die Hamburger den Spagat aus, für die durch die Nacht Tanzenden manchmal auch einfach nur drollige Spiegelversionen für Bläser und Xylophon zu entwickeln, und nebenher all jene abzuholen, die sich vom allgemeinen Pop-Angebot wenig angesprochen fühlen und Jazz auch nur dann hören, wenn sich so etwas wie eine Melodie aus dem Gespielten schält.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Das neue Album der Gruppe, „Empor“, erst vor wenigen Tagen erschienen, bleibt in der Live-Version an diesem Abend zunächst etwas blass, obwohl Meute gleich mit zwei Songs daraus starten. Es ist ihre bislang reifste, vielfältigste Platte, die den üblichen Effekthaschereien des Technoantriebs, der sich durch das gekonnte Zusammenspiel der elf verschiedenen Instrumente geradezu traumwandlerisch sicher ins Analogfeld übertragen lässt, geschickt entsagen kann. „Aurora“ hat einen verspielten Drive, „Anti-Loudness“ wagt sich auf das vor allem in Großbritannien boomende Feld eines multikulturell zersplitterten Nu-Jazz vor, und „Vermis“ deutet an, dass Meute auch in düsteren Drone-Gefilden ohne Probleme ihre Spuren hinterlassen könnten. Ein Höhepunkt des Abends ist hingegen das beharrlich vorpreschende und immer drängender werdende „Infinite“. Das stammt vom Vorgänger „Taumel“ (2022), dessen kunstvollster Track „Peace“ allerdings leider ausgespart bleibt.

Meute live

Wer den Erfolg von Meute verstehen will, der muss indes noch einmal zurück zu jenem Moment, da die Musiker den Menschen in nächster Nähe den Techno-Marsch blasen. Die Band steht geradezu sinnbildlich für eine Zeit der Pop-Musik, in der die Konzert-Aufführung als prägende Darstellungsform wieder ins Zentrum gerückt ist. Alben hören viele nicht mehr am Stück, Musikvideos ergeben wenig Sinn ohne MTV, und für einen minimalen monatlichen Beitrag bekommt man heute die ganze Musikgeschichte in einem Portal zum Anklicken.

Meute spielen vielfach überraschende Gigs an ungewöhnlichen Plätzen. Sie erinnern mit ihrem Spiel an Flash Mobs, bei denen Musiker Performances an zufälligen Orten aufführen. Hier geht es auch um die Besetzung des (starren) öffentlichen Raums durch Kunst und Bewegung. So ist es auch passend, dass die Band in ihrer Heimatstadt nicht in der Elbphilharmonie spielt, sondern auf dem Dach des sündhaft teuer erbauten Aufführungsgebäudes. Sie steigen uns auf die Dächer, sie sind auch ein wenig Angeber.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Meute liefern mit ihrer Musik aber auch gleich einen nostalgischen Euphoriefaktor mit. Computermusik wird von dem Ballast befreit, nur kalt an Geräten erzeugt worden zu sein. Sie wird wieder menschlich gemacht. Dabei besteht die metareflexive Volte wohl darin, dass Techno ja selbst einmal ihren Ursprung im elektronischen Kopieren und Umschreiben natürlicher Laute und Rhythmen hatte. Ein Verfahren übrigens, das Meute nicht erfunden haben. Das taten Ende der 90er Acid Brass aus Manchester.

Neuer Kult um Straßenmusiker

Mit der Neudefinition durch eine im Grunde historische Aufführungspraxis (Spielmänner gab es bereits im Mittelalter) und dem Fokus aufs Spielen unter Menschen (anstatt nur für die Menschen aus der Distanz) bedient die Band auch die Sehnsucht nach authentischen Straßenmusikern, die sich nicht von ökonomischen Zwängen leiten lassen. Wenn man fragt, was Deutschland über Rammstein hinaus Eigentümliches und dann auch Originäres in die Welt zu tragen hat, so können Meute für sich beanspruchen, als Teil eines New German Musikkollektiv den Hang zu verkörpern, gemeinsam und mit viel Disziplin etwas Großes auf die Beine zu stellen. Deutsche Orchester gelten in der Sphäre der klassischen Musik auf der ganzen Welt als Nonplusultra.

Zuletzt verkörperte eine ähnliche Erfolgsgeschichte das allerdings später und eigentlich nur für die Fernsehserie „Babylon Berlin“ gegründete Moka Efti Orchestra. Auch hier kommen der Spaß an der Rezitation, die unbekümmerte Lust an der Live-Aufführung und auch eine gewisse Selbstironie hinzu, dass all das nur eine Momentaufnahme und vergangenheitsverliebte Schaumschlägerei ist.

Und so überraschte es auch nicht, dass Meute im vergangenen Jahr ebenfalls in der Erfolgsreihe auftauchten und sich ins Berlin der 30er-Jahre beamten. (Ein „Future Edit“ von „Hypnose“, eines Stücks, das dort zu hören ist, findet sich auf „Empor“). Dort spielten die Band mit Meret Becker den Song „Ein Tag wie Gold“.

Es wäre ein schönes Sahnehäubchen für einen abwechslungsreichen Abend gewesen, wenn die Schauspielerin und Sängerin in ihrer Stadt als Gast auf die Bühne gekommen wäre.

GUILLAUME SOUVANT AFP via Getty Images
Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates