„Metallica sind keine Rebellen“
Musiker und Autor Billy Bragg über Rebellion, Patriotismus und schlaflose Nächte.
Billy, wie kann man in heutiger Zeit noch ein echter Rebell sein?
Jeder, der bereit ist, für Gedanken aufzustehen, die dem Mainstream widersprechen, und diesen Gedanken Taten folgen zu lassen, ist ein Rebell. Jeder, der das Orthodoxe und Arrivierte der Konsumgesellschaft herausfordert, ist ein Rebell. Jeder, der es sich erlaubt, unbequeme Fragen zu stellen, ist ein Rebell. All das sind Vorgänge, die meist außerhalb der Massenmedien stattfinden, und deshalb ist es so schwer, ihnen Gehör zu verschaffen.
Du hast stets solche Fragen gestellt. Und doch nennst du dich lieber „einen denkenden Mitbürger“ als einen Rebellen.
Ja, denn mein Hauptziel war immer, andere und neue Perspektiven anzubieten, die sich vom Mainstream abheben. Ich möchte weder bekehren noch anstacheln, sondern Denkanstöße für das eigene Handeln geben. Was mich am meisten betrübt, ist, dass ich keine einzige wirklich schlüssige Antwort auf all meine Fragen habe. Kein Singer-/Songwriter hat sie.
Hast du deine Ambitionen und Beweggründe je infrage gestellt?
Ja. Als jemand, der sich selber als Sozialisten bezeichnet, sehe ich mich zugleich aber auch als Internationalisten. Das schafft innere Konflikte, bei denen man sich fragt, ob man an das Richtige glaubt – und ob man es auch richtig transportiert.
Ein Beispiel?
Um die Jahrtausendwende erlebten wir in England einen enormen Aufwind der radikalen Rechten. Im Zuge dieser Entwicklung fand ich für mich heraus, dass es falsch ist, als Linker einfach nur gegen diese Entwicklungen zu sein – damit schafft man plakative Feindbilder, aber kein Problem aus der Welt. Vielmehr entdeckte ich, dass es enorm wichtig ist, dass auch die Linke sich die Frage stellt, was eine eigene, auch patriotisch gefärbte nationale Identität für uns ausmacht. Wir mussten lernen, Begriffe wie ‚Nationalismus‘ und ‚Patriotismus‘ mit linken Gedanken aufzufüllen. Erst auf dieser Grundlage kann eine fruchtbare Debatte entstehen, die die Linke voran bringt und die Rechte mit ihren eigenen Waffen schlägt. Diesen Erkenntnispunkt zu erreichen, hat mich allerdings viele schlaflose Nächte gekostet.
Trägt ein Rebell immer sozialistisches Gedankengut in sich?
Das steht und fällt mit der Definition des Begriffes. Viel wichtiger finde ich, dass jeder Linke nach dem Mauerfall und dem Niedergang des Kommunismus für sich selber neu definiert, was es überhaupt bedeutet, ein Sozialist zu sein. Dieser Begriff und seine Bedeutung ändern sich aktuell in gewaltigen Schritten, bedingt durch die Veränderungen des globalen politischen Klimas. Die Sprache und der Duktus der traditionellen Sozialisten verknüpft sich schlicht nicht mehr mit der modernen Gesellschaft und ihren Individuen. Also müssen wir neue Artikulationswege finden.
Deine Form der Rebellion hat immer etwas Tiefgründiges, Feinsinniges, auch Humorvolles. Unterscheidet das den britischen Gentleman-Rebellen von seinem amerikanischen Bruder, dem Wild-West-Rebellen?
Womöglich, ja. Zumindest sind es die besten Mittel, um dafür Sorge zu tragen, dass Rebellion nicht zu einer Pose verkommt; etwas, das meines Erachtens in den USA häufiger geschieht als in England. Rebellion hat nichts mit Haarschnitten oder der ausgespieenen Rotze eines Heavy Metal-Musikers zu tun. Ich bin zum Beispiel überzeugt, dass sich Metallica für echte Rebellen halten. Sind sie nicht, sie sind in die Jahre gekommene Freaks, die Gitarre spielen. Rebellion sollte ja ein wichtiges Gut der Jugend sein. Geht das heute überhaupt noch, wo viele Eltern, die nach ’68 geboren wurden, ihr ganzes Leben unangepasst, mithin rebellisch gestalten?
Als Vater eines 14-jährigen Sohnes kann ich Dir sagen: Ja, den Generations-Gap gibt es noch immer! Musik, Piercings und Tattoos mögen heute nicht mehr reichen, um gegen die Eltern zu opponieren, aber die Jugend findet andere Wege. Ich verstehe zum Beispiel die ganze Welt der Computerspiele nicht – mein Sohn hingegen führt ein komplettes zweites Leben bei „Second Life“. Auch darin steckt viel Rebellions-Potenzial.
Ist dir unlängst ein Akt der Rebellion begegnet, der dich beeindruckt hat? Ja, da musst du nur nach Köln schauen, an dem Wochenende Ende September. Wie die Menschen dort friedlich aufgestanden sind und sich in einer unheimlich sinnvollen Weise gegen die Ultrarechten gestellt haben: Das zeigt Verantwortungsgefühl, Bewusstsein, soziales Engagement. Ihr Deutschen solltet sehr stolz auf diese Mitbürger sein – es war einer der schönsten und sinnvollsten rebellischen Momente jüngerer Geschichte