Melvins
Früher hätte man einfach gesagt, es war ein Abend mit Hardrock. Es war ja auch irgendwie ein Abend mit Hardrock. Aus den Boxen knallte es so laut, daß man das Gefühl bekam, das Schlagzeug sei mit dem eigenen Trommelfell bezogen. Aber was, wenn die Breaks so lang sind, daß die Ohren zwischendurch viel Zeit zur Erholung haben?
Die Melvins bringen Rock auf höchster Abstraktionsebene. Und Blind aus Saarbrücken, die mit ihnen durch Deutschland fuhren, sind auch schon recht weit entfernt vom normalen Kopframmer-Song. Das Publikum glänzte durch Unkategorisierbarkeit. Sicher waren ein Haufen Leute aus Kreuzberg herübergekommen – aber es wurden auch Germanistik-Studenten und Iron-Maiden-Kutten gesichtet. Bloß Frauen waren, ganz nach alter Metal-Tradition, kaum da. Blind erwiesen sich als perfekte Vorband. Der Auftritt gehörte ganz Sänger Henning Sedelmeier, der eine bullige Präsenz besitzt. Er braucht sich nur ein Stück nach vorne zu beugen und man hat Angst, daß die Bühne unter ihm schräg nach unten rutscht. Sedelmeier schwitzt und brüllt und wirkt immer ein bißchen beleidigt. Er und seine Band hinterließen auf der Bühne konzentrierten Klang, den die Top-Acts dann genüßlich auseinandernahmen.
Wen oder was zerlegen die eigentlich noch? Den Hardrock, das Leben, sich selbst? Sie bewegen sich dermaßen sicher in ihrer uferlosen Welt, daß man auf einmal alle Angst vor der Freiheit verliert. Diese extrem entspannte Art, auf der Bühne zu stehen, auf Reaktionen zu warten und den eigenen Songs zuzugucken, haben sie sich in einem Jahrzehnt erworben. Immerhin gab es so etwas wie eine Dramaturgie. Ganz am Anfang singt Dale Crover noch recht durchgängig, wenn man unbedingt wollte, ginge sogar Headbangen (oder Pogo). Nach hinten lösen sich die Strukturen immer mehr auf. Am Ende haben es die Melvins sogar geschafft, nicht nur die Musik selbst, sondern auch den Konzert-Ablauf zu sezieren. Wer wann klatscht, ist dann Teil dieser merkwürdigen Skulptur – und nicht mehr das Bierbecher-Ritual, das wir kennen.