Melodica Festival
Hoch oben im Norden zelebrierten ein Wochenende lang junge Songschreiber eine deutsche Version des „"Coffeehouse-Folk".
Wer am Nachmittag des 2i. Februar auf einen Kaffee ins Hamburger Kulturhaus III&70 ging, erlebte eine Überraschung. Das (kostenlose) Melodica Acoustic Festival hatte geschätzte zweihundert Menschen zu einen Songwriter-Nachmittag gelockt. Man kennt das ja eigentlich anders: Junge Barden kämpfen landauf, landab um Publikum, spielen Tourneen für nichts und vor niemandem. Doch am Hamburger Schulterblatt wurde diese Welt für kurze Zeit ad absurdum geführt. Auf der Bühne standen zwei Tage lang 18 Neo-Folkies und Songwriter vor einem vollen Haus – ohne großen Bekanntheitsgrad, meistens ohne Plattenvertrag. Aber mit jeder Menge Lieder.
Zugegeben: Nicht alle Auftritte hätten (den sicher nicht anwesenden) Talentsuchern Adrenalin einschießen lassen. Manches Repertoire hat noch ein paar Jahre der Reifung vor sich, andere — am Samstag zum Beispiel jene von Kid Decker oder Torben Stock — sind weiter. Doch es ging bei dem zweitägigen Melodica-Festival um ganz andere Dinge. Ist es nicht ein schöner Luxus, so dazusitzen und Songwritern beim Singen und Spielen zuzuhören? Wenn die Etiketten nicht bedeutsam sind und ein Konzert tatsächlich eine Art Gemeinschaftserlebnis wird? Sollte die alte Idee vom coffeehouse folk auch in Deutschland eine Chance haben? Das Publikum war offenbar dieser Auffassung und beschenkte die Künstler mit dem höchsten Gut dieser Zunft: Aufmerksamkeit. Besonders am Abend, als das Festival in die Konzerthalle im oberen Stock zog. Da rührten am ersten Abend vor allem Atthebusstop aus Italien an. Am Sonntag dann ein ähnliches Bild: Das Publikum stand dicht gedrängt, in der Schaufenster-Bühne folgte Lied auf Lied. Zu hören gab’s die harmonisch cleveren Kompositionen der Hamburger/ Berliner Formation Our Blanket Skies, den an Ani DiFranco geschulten acoustic drive von Sarah Lillian und anderes mehr. Am Abend verzauberte dann eine Reihe von isländischen Bands. Eine Dame namens Mysterious Marta trat im Superhelden-Kostüm auf, musste manches Lied abbrechen und gewann mit ihrem unbedarften Weird Folk trotzdem das Publikum. Die CDs, die es hinterher zu kaufen gab, hatte die Künstlerin während des Hinflugs auf dem Laptop gemischt, die Covers waren selbst gebastelt. Nach den poetischen Gesängen von Myrra Rös gehörte der Abschluss des Abends Svatar Knütur, einem energischen Mann mit Entertainer-Qualitäten und watteweicher, nordisch entrückter Folkmusik.
Melodica Hamburg ist eine Art Franchise. Vor gut eineinhalb Jahren hatten zwei Songwriter aus Sydney und Melbourne die Idee, sich nicht mehr von bockigen Bookern ohne Geld abhängig zu machen. Sie starteten in ihren Heimatstädten ein Festival, in dem es nicht um karrieremäßigen Fortschritt ging, sondern um die Liebe zum akustisch vorgetragenen Lied, eine Art von Gemeinschaftsgefühl und die Kontaktaufnahme der Künstler untereinander. Schnell folgte ein Festival-Ableger in Reykjavik — so erklärt sich der isländische Besuch am Schulterblatt, dem neuesten Standort des Festivals.
Noch dieses Jahr geht Melodica in Brighton an den Start, in Hamburg sind Kontakte zu ähnlichen Initiativen längst geknüpft. Wenn die Branche kein Geld hat, muss man es sich halt selbst schön machen, muss die Künste feiern und eher als Berufung denn als Beruf verstehen. Künftig geht man am Sonntagnachmittag ins Songwriter-Cafe!