Meistens wird Bowie als Bühnenmensch und Schuspieler gesehen – Wie manisch er als Studiomusiker nach dem Sound forscht, weiß Tony Visconti am besten
1968 flog der Bub aus Brooklyn mit nur einem Koffer und vier Gitarren nach London, um dort als Studiomusiker zu arbeiten. Seinen Rang in der Rock'n'Roll-Historie bekam Tony Visconti durch die frühe Bekanntschaft mit Bowie und Bolan und die großen Alben, die er produzierte.
Als Visconti und Bowie im Sommer 1969 in den Trident Studios in London-Soho am Album DAVID BOWIE arbeiteten (später als „Space Oddity“ wiederveröffentlicht), war der Produzent ein Frischling und wie der Sänger und Freund auf den Instinkt angewiesen: Bis auf die „My People Were Fair…“-Platte von Tyrannosaurus Rex hatte Visconti noch keine größere Session betreut. Trotzdem packte ihn beim Hören der ersten, Folk-simplen Version des Songs „Wild Eyed Boy From Freecloud“ gleich die maximale Vision. In fünf Tagen schrieben Bowie und er ein Arrangement für 50 Orchestermusiker, die sich im Aufnahmeraum um den Sänger gruppierten.
Das Problem: Die Tage zuvor eingetroffene, zu dem Zeitpunkt hoch avancierte 16-Spur-Tonbandmaschine machte Zicken, die Uhr tickte, und weil man sich keine Überstundenzahlungen an die teuren Geiger leisten konnte, nahm Visconti fünf Minuten vor dem Gong in höchster Not einen brauchbaren Take auf, „der zu gleichen Teilen aus Musik und ßandrauschen bestand“, wie er sagt. Erst für die CD-Version konnten die Geräusche herausgefiltert werden.
Das Folgeprojekt THE MAN WHO SOLD THE WORLD wurde wie ein klassisches Bandalbum aufgenommen. Visconti selbst war der Bassist, und Gitarrist Mick Ronson entwickelte einige Penetranz, um ihn für seine Lieblingsband Cream zu begeistern: „Ronson hielt mich dazu an, den Bass-Verstärker weit aufzudrehen, und zwang mich förmlich, Jack Bruce zu hören.“ Eher widerwillig spricht Visconti über Bowies damalige Rolle im kreativen Prozess. Der Sänger war zu der Zeit bekanntlich vor allem mit seiner frisch angetrauten Angela und dem gemeinsamen dolce vita beschäftigt, brachte ins Studio hauptsächlich skizzenhafte Ideen mit, die Ronson und Visconti in fertige Songs verarbeiteten – obwohli sie keinen Credit dafür bekamen.Jch habe nie behauptet, David habe uns betrogen. Die Definition dessen, was man als ‚Songwriting‘ bezeichnet, war damals eben anders als heute.“
Während der Ziggy-Phase unter dem oft diabolisierten Manager Tony DeFries, die den Anbruch der Weltkarriere und den theatralischen Teilrückzug brachten, war Visconti nicht in Bowies Studioarbeit involviert. Erst für DIAMOND DOGS, die erste Eigenproduktion des Sängers, wurde der alte Freund wieder herangezogen – angeblich kam Bowie mit den Bändern in Viscontis Heimstudio in London-Hammersmith vorbei, weil er mit den Abmischungen unglücklich gewesen war. Da Visconti eben erst in das ansonsten leere Haus gezogen war, fuhr am nächsten Tag der von Bowie bestellte Möbelwagen vor. Ohne einen Tisch für Zwischenmahlzeiten aller Art könne er nicht arbeiten, meinte der Star.
Für YOUNG AMERICANS wurde Visconti dann nach Philadelphia geflogen, weil Bowie die Klangvorstellungen des amerikanischen Engineers nicht teilte. Die erste Produktion, die er nicht nur als Ausputzer, sondern von Anfang bis Ende besorgen durfte, war LOW (nicht in Berlin, sondern im „Honky Chateau“ bei Paris aufgenommen). Wenn Brian Eno seine Synthesizer-Flächen aufnahm, ließ man ihn dezent im Studio alleine – Eno empfahl es ihnen, weil es seiner Meinung unvorstellber lang-, weilig sei, ihm beim Arbeiten zuzu- “ sehen. Die Gerätschaften des Zauberers beeindruckten Visconti auch beim Folgealbum „HEROES“: Eno brachte einen Synthesizer in der Größe einer Aktentasche. „Er hatte keine Tasten, sondern wurde unter anderem über einen Joystick bedient. In Kreisbewegungen machte er die sonderbaren Geräusche, die man im Titelsong hört.“
Viel Equipment musste auf Wunsch der Künstler erst ins Studio bestellt werden. Weil der Vocoder-Effekt für „V-2 Schneider“ nicht gleich ankam, suchten Visconti und Bowie ungeduldig auf einem Keyboard Töne, die wie eine menschliche Stimme klangen – bei der Aufnahme spuckte Bowie nur die Konsonanten ins Mikro, den Rest singt, kaum identifizierbar, der Synthesizer. Später, bei den Sessions zu SCARY MONSTERS, wartete man vergeblich auf ein geordertes Wurlitzer-Piano. Die sonderbare Melodielinie auf „Ashes To Ashes“ wurde am Ende auf einem gewöhnlichen Klavier gespielt und von Visconti durch so überdrehte Effekte geschickt, bis sie wie ein betrunkener Roboter klang.
Über 20 Jahre danach sind David Bowie und Tony Visconti wieder in Arbeit und Freundschaft vereint. Das nächste Album soll experimenteller werden, heißt es. Wie früher.