Meine Zehn Gebote
Eine letzte Liste noch: Bono, schon immer ein Freund von Visionen, zählt die Ideen auf, die seiner Meinung nach die Dekade prägen und die Welt verändern werden.
Falls wir uns in den letzten Wochen etwas übernommen haben sollten – nein, es war nicht der Weihnachtsbraten, sondern: Top-Ten-Listen. Selbst in sonst eher seriösen Publikationen konnte man zum Ende des Jahrzehnts den zehn besten „Dies und das“ und den zehn schlechtesten „Was auch immer“ einfach nicht entgehen. Deshalb, im Geiste wahrer Rockstar-Exzesse, hier eine weitere Liste. Der hauptsächliche Unterschied – so das relevant sein sollte – besteht darin, dass sich diese Liste nicht mit der Vergangenheit, sondern der Zukunft beschäftigt. Im Folgenden also zehn Ideen, die die nächsten zehn Jahre interessanter, gesünder und allgemeinverträglicher machen könnten. Einige sind trivial, andere elementar. Sie haben wenig Gemeinsamkeiten, abgesehen davon, dass ich von jeder fasziniert bin, weil sie das Potenzial haben, unsere Welt zu verändern.
1. Die Rückkehr des Autos als Sex-Objekt
Wie konnte es passieren, dass Amerika, das Land, das unsere erotischen Gefühle für das Auto entflammte, uns – mit wenigen Ausnahmen – derart im Stich gelassen hat? Wo blieb die Limousine für die ganze Familie, die den Stil und Witz und die Anmut der Autos hat, die in den 40er-, 50er- und 60er-Jahren vom Band rollten? Unabhängig von der Frage, ob sie männlich (länger, breiter, tiefliegender – hallo, Dr. Freud!) waren oder weiblich (Kotflügel, wohlgeformte Karosserien und, natürlich, Schweinwerfer!) – sie alle hatten Sex-Appeal. (Im Irland der Siebziger war es der Jaguar E, der den pubertären Träumen ein Gesicht gab.) Heute hingegen leben wir in einer Zweckehe mit Minivans und SUVs oder aber in lustlosen Langzeitbeziehungen mit Mittelklasse-Wagen, die am Hinterteil alle etwas – pardon – breitarschig geraten sind.
Liegt es an der Aerodynamik? Sind die wirtschaftlichen Umstände schuld? Oder diese amerikanischste aller amerikanischen Erfindungen: das Konsens-Design? Es tut mir weh, Derartiges über die Demokratie zu sagen (meine Band ist schließlich auch eine), aber es passiert selten, dass die Mehrheitsmeinung ein Artefakt außergewöhnlicher Eleganz produziert.
Solange sie noch in Detroit den Finger am Drücker hat, sollte die Obama-Regierung ein paar Stil-Faschisten an Bord holen: den genialen Marc Newson, Steve Jobs und Jonny Ive von Apple, den Architekten Frank Gehry, den Künstler Jeff Koons. Die besten industriellen Designer sollten ans Steuer, abgesichert durch eine solide Finanzierung, und dann … Je grüner, sauberer und unabhängiger von fossilen Brennstoffen, umso besser. Als Beispiel diene der Tesla oder Fiskers Karma, der von dem selben Team entwickelt wurde, das der Welt den Aston Martin schenkte.
2. Hüter des geistigen Eigentums
Achtung! Der einzige Faktor, der die Film- und Fernseh-Industrie bislang davor schützt, das gleiche Schicksal wie das Musik- und Print-Geschäft zu erleiden, ist die Größe der digitalen Datei. Aber die unabänderlichen Gesetze der Bandbreite führen zwangsläufig zu der Feststellung, dass wir schon in wenigen Jahren in der Lage sein werden, eine ganze Staffel von „24“ in 24 Sekunden herunterladen zu können. Und viele erwarten, dass sie das kostenlos können.
Nach einer Dekade des grenzenlosen Downloads wissen wir, dass die Kreativen die Leidtragenden sind – in diesem Fall die jungen, aufstrebenden Songschreiber, die eben nicht von Ticket- und T-Shirt-Verkäufen leben können wie einige der weniger sympathischen Kollegen unter uns. Die Leute, die von diesem pervertierten Robin Hooding profitieren, sind die lachenden Provider, deren Taschen sich im gleichen Maße füllen, wie die Erträge des Musikgeschäfts schwinden.
Sie behaupten, sie seien nur das Postamt: Wie könnten sie wissen, was sich in den braunen Paketen befindet, die sie transportieren? Aber wir wissen durch die unterstützenswerten Versuche, die Kinder-Pornografie im Netz zu unterbinden – von den nicht unterstützenswerten Versuchen in China, den politischen Dissenz mundtot zu machen, ganz abgesehen -, dass es sehr wohl möglich ist, die Wege der Web-Inhalte zu verfolgen. Vielleicht werden die Film-Mogule schaffen, was den Musikern und ihren Mogulen versagt blieb, nämlich die Welt davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, die kreativste Wirtschaft der Welt zu verteidigen. (Memo für mich: Vielleicht sollte man nicht gerade überbezahlte Musiker oder Schauspieler für die Gardinenpredigt auf die Kanzel holen; eher einen jungen Cole Porter – vorausgesetzt, er ist noch nicht ins Lager der Werbe-Jingle-Produzenten abgewandert.)
3. Gleiche Rechte für alle Umweltverschmutzer Beim Kopenhagener Klima-Gipfel konnte es nicht überraschen, dass die Entwicklungsländer wenig Interesse zeigten, ihren Fuß vom Karbon-Pedal zu nehmen. Schließlich waren sie nicht daran beteiligt, als der achtspurige Highway ins gegenwärtige Super-Problem gebaut wurde.Ein kluger Vorschlag, der mir zu Ohren kam, läuft darauf hinaus, dass jedermann das selbe Recht zur Umweltverschmutzung bekommt, gleichzeitig aber auch die Möglichkeit, dieses Recht zu Geld zu machen. Demzufolge könnte jeder durchschnittliche Äthiopier (Äthiopien belastet die Umwelt jährlich mit 0,1 Tonnen Karbon) seine Rechte an den durchschnittlichen Amerikaner verkaufen (ca. 20 Tonnen pro Jahr) – und mit den Einnahmen die Folgen des Klimawechsels (Dürre) lindern oder seine Kinder auf die Uni schicken. (Wer die Machbarkeit bezweifelt: Der Kapitalismus findet schon eine Lösung, keine Sorge!) Mir als moderatem Grünen gefällt dieser Denkansatz, auch wenn mir bewusst ist, dass er in militanten, dunkelgrünen Kreisen sehr kontrovers diskutiert wird. Und ja, wirkliche Wirtschaftwissenschaftler würden die Steuer gleich an der Quelle bevorzugen, aber dafür gibt es nun mal keinen politischen Konsens. Wenn es nach mir ginge, würde ich den Deal jetzt abschließen – bevor die Entwicklungsländer vielleicht auf die Idee kommen, das Vertragsdatum rückdatieren zu wollen.
4. Eine Person (Dr. William Li) und ein Wort (Angiogenese)
Angiogenese bezeichnet den Prozess, in dem sich Blutgefäße neu bilden. Was prinzipiell positiv ist – ausgenommen natürlich im weniger schönen Fall, dass es Krebszellen sind, die ungehindert wuchern: Blutgefäße sind ihre Nachschubwege. Dr. William Li von der „Angiogenesis Foundation“ hat die Forschung in diesem Bereich „die erste medizinische Revolution des 21. Jahrhunderts“ genannt, und er sollte es wissen. (Ich weiß es nicht, was angesichts meiner medizinischen Nichtbildung kein Wunder ist. Allerdings hat mich mein Kollege The Edge, der Dr. Lis Foundation unterstützt, diesbezüglich auf Vordermann gebracht.) Die Arbeit an Angiogenese-Blockern ist ein erster Schritt, denn in Zeiten, in denen sich die Bevölkerung fragt, wie das Gesundheitssystem finanziert werden kann, sind die Fortschritte in der Präventiv-Medizin von elementarer Bedeutung.
Ein Detail: Der Krebs beginnt als ein kleiner Knoten bösartiger Zellen, die sich nicht vermehren, bis sie neue Zellen rekrutiert haben, die Sauerstoff und Nahrung transportieren. Dann aber kann sich der Krebs innerhalb von zwei Wochen um das 16OOO-fache vergrößern.
5. Masse macht’s nicht
Sieht aus, als sei Gott ein Trekkie. (Gott, steh uns bei!) Dr. Anton Zeilinger, ein Physiker aus Österreich, ist auf dem besten Wege, wegen seiner Arbeit an der Quanten-Teleportation so etwas wie ein Rockstar zu werden. Ich selbst verstehe von der Materie natürlich herzlich wenig (auch wenn ich Anfang der 90er-Jahre in einem Berliner Club mal eine vergleichbare Erfahrung machen durfte), aber es dreht sich auf jeden Fall um den unkörperlichen Transport von Eigenschaften und Informationen. Auch wenn Dr. Zeilinger die Möglichkeit von „StarTrek“-ähnlichen Beamern herunterspielt, haben seine Erkenntnisse bei Laien vor allem ob ihrer metaphysischen Implikationen für Aufsehen gesorgt. Seine Version von E=mc 2 hat eine kosmische Pointe: Wenn wir den Anfang des Universums bedenken, sind Informationen wichtiger als Masse.
Sollte Gott vielleicht ein Nerd sein?
6. Das Abraham-Festival
Hier ist eine Idee, die in den Nullerjahren undenkbar war, aber in den Zehnern und Zwanzigern durchaus vorstellbar wäre – vorausgesetzt, es gibt im Nahost-Friedensprozess einen Durchbruch: ein Festival, das den Ursprung der drei Religionen feiert, die auf Abraham zurückgehen – Judentum, Christentum, Islam. Jedes Jahr könnte es an einem anderen Ort stattfinden, wobei Jerusalem sicher der geeignete Ausgangspunkt wäre.
In Irland hieß es auf dem Höhepunkt der Unruhen, dass man dem blindwütigen Sektierertum nur mit 1000 Punk-Bands begegnen könne. Musik half dabei, einen Freiraum für den Dialog zu schaffen. Politiker mussten draußen bleiben. Zutritt nur für Künstler.
7. Die Pyramide steht kopf
Wir alle kennen das gesellschaftliche Organigramm des letzten Jahrhunderts, in dem Macht und Einfluss (von Kirche, Staat oder Konzernen) in der Spitze der Pyramide angesiedelt sind – und der Druck wächst, je weiter man nach unten kommt. In diesem Jahrhundert, vor allem in einigen Entwicklungsländern, steht die Pyramide nun köpf. Es ist schon viel darüber geschrieben worden, wie wirtschaftliche Gewinne am Fuß der Pyramide gemacht werden können, aber wenig über die politische Machtkonzentration. Mehr und mehr sind es die Massen, die oben sitzen, und ihr Gewicht – via Handy, Internet und die gesellschaftlichen und demokratischen Tendenzen, die durch die Technologie beschleunigt werden – drückt auf die, die traditionell immer am längeren Hebel saßen. Inzwischen drückt das Gewicht umso mehr, wenn die Machthaber korrupt sind oder die Versprechungen nicht einlösen, durch die sie überhaupt einen Platz an der Sonne bekamen.
Dieser Prozess findet weltweit Beachtung. Auf ihrem letzten Afrika-Trip schlug Hillary Rodham Clinton um die offiziellen Würdenträger einen weiten Bogen und besuchte stattdessen die Vertreter unabhängiger Gruppierungen, die sich in zunehmendem Maße organisieren und zusammenschließen. So findet z.B. „Twaweza“, eine Bürgerbewegung in Ost-Afrika, die von ihren lokalen Politikern detailliert Rechenschaft fordert, immer größeren Zulauf. (Twaweza ist Swahili und bedeutet „Wir können es packen“.)
8. Kampf dem Rotavirus
Ja, es gibt die Impfstoffe! Sie sind keine vage Hoffnung wie die AIDS-Impfung. Und eine der erfreulichsten Nachrichten 2009 war die Erkenntnis, dass sie nicht nur in Regionen mit hoher Kindersterblichkeit funktionieren, sondern auch in jenen bitterarmen Ländern, in denen Rotaviren jährlich 500 000 Kinder dahinraffen. Die WHO hat im letzten Jahr mit Nachdruck empfohlen, Rotaviren-Impfungen in das Immunisierungsprogramm jedes Landes aufzunehmen. In diesem Punkt sieht das neue Jahrzehnt sehr vielversprechend aus.
9. Viva la Revolution (aber ohne Gewalt)
„Als jemand, der hier steht als direkte Konsequenz von Dr. Kings Lebenswerk“, sagte Präsident Obama bei seiner Nobelpreis-Rede, „bin ich der lebende Beweis für die moralische Kraft der Gewaltlosigkeit.“
Er hätte hinzufügen können, dass die Deutschen und Ost-Europäer, die unlängst den Jahrestag des Mauerfalls feierten, ein weiteres Beispiel für die gewaltfreie Revolution sind. Und die mutigen Iraner, die weiterhin auf die Straße gehen, obwohl sie die brutale Repression nur allzu gut kennen. Wie Neda Agha Soltan sind sie ein lebendes (und blutendes und sterbendes) Mahnmal.
Ich setze meine Hoffnung auf die Möglichkeit – so vage sie im Moment auch sein mag -, dass die Machthaber in Nordkorea, Myanmar oder sonstwo die Einsicht nicht mehr verdrängen können, dass ihnen ein einzelner aufgebrachter Bürger viel Arger einbringen kann – und dass die Menschen in Regionen wie Palästina, die mit Wut und Verzweiflung aufgeladen sind, ihren Gandhi, ihren Dr. King, ihre Aung San Suu Kyi bald finden werden.
10. Mit der Fußball- WM wird das afrikanische Jahrzehnt angepfiffen
Wenn im Juni die Weltmeisterschaft angepfiffen wird, hat das für Afrika eine enorme Bedeutung. Vor ein paar Jahren steckte die Elfenbeinküste mitten in einem Bürgerkrieg und drohte zu zerreißen, als sich ihr Fußballteam für die WM 2006 qualifizierte. Die Resonanz war so gewaltig, dass der Krieg in den Hintergrund trat, weil etwas viel Wichtigeres ausgetragen wurde: ein Fußballspiel. Die Mannschaft wurde ein Symbol dafür, wie verschiedene Stämme zusammenfinden können – was nach Ende der Wettkämpfe dann auch passierte.
Diesmal prophezeiten die Nörgler, dass Südafrika es nicht schaffen würde, die Stadien rechtzeitig fertigzustellen. Diese Miesmacher sollten vor Scham rot anlaufen. Südafrikas beeindruckende Vorbereitungen unterstreichen den Wandel auf dem Kontinent, wo in den letzen Jahren ein fünfprozentiges Wachstum die Norm war. Die Anzeichen mehren sich, dass sich der Aufschwung in diesem Jahrzehnt fortsetzen wird. Schlaue Investoren werden mit mehr Kapital kommen, was wiederum dazu beitragen kann, die zerbrechlichen jungen Demokratien zu festigen.
Wenn Nelson Mandela, der mehr als jeder andere zu Afrikas Aufbruch beigetragen hat, die WM-Feierlichkeiten eröffnen würde, wäre das ein würdiges Symbol, das der Welt die Tränen der Freude in die Augen treiben würde.