Mehr Parodie wagen
Rot-grün wird also abgewählt. Und jetzt? Eine Politik des gesunden Menschenverstandes ist wichtiger denn je. Findet jedenfalls Martin Sonneborn, Chef des endgültigen Satire-Magazins "Titanic" und Bundesvorsitzender der PARTEI. Mit bösen Polit-Parodien haben seine PARTEI-Freunde den Wahlkrampf aufs Korn genommen und sich selbst als personelle Alternative ins Spiel gebracht. Gerald Fricke traf den Mann, der das Kanzleramt fest im Visier hat.
Wie ist die Lage, im abgestürzten Superstar Deutsch‘ land? Die SPD barmt um „Vertrauen in Deutschland“, gibt schon die Opposition, will mutig ihre eigenen Gesetze rückgängig machen und eine „Merkelsteuer“ verhindern. Die Partei der Besserverdienenden – Bündnis 90/Grüne – möchte „aus Fehlern lernen“, die „Modernisierung und ökologische Verantwortung“ ab sofort „solidarisch“ voranbringen. Die Linkspartei. PDS ist „für eine neue soziale Idee“. Halt so ’ne Idee. Die FDP sieht Deutschland metapherntechnisch als Verkehrs-Übungsplatz: „Arbeit hat Vorfahrt“, statt rechts vor links, oder noch besser: Mercedes vor Opel. Blöd findet die FDP die Gängelung freier Bürger durch Mülltrennung und fordert einen „Bürokratie-TÜV“. Die CDU/CSU schließlich will mit „Verläßlichkeit und Klarheit“ Deutschlands „Chancen nutzen“, auf daß wieder „Wachstum, Arbeit, Sicherheit“ herrschen. Und natürlich: Politik „aus einem Guß“.
Immer schon wurden wir mit schiefen Sätzen und blühenden Phrasen regiert, bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts gab es aber auch noch eine halbwegs relevante kritische Gegenöffentlichkeit. Heute tagt das deutschen Ersatz-Parlament in der ARD-Talkshow „Sabine Christiansen“ und formuliert Woche um Woche seine Katastrophendiagnose und eine kaum unterdrückte Sehnsucht nach der „Aufräumjunta“ (Walter von Rossum), nach Totalreform und Systemüberwindung. Das alles ist zum Verzweifeln komisch. Wie aber könnte wirksame politische Notwehr aussehen?
Eine schöne Antwort darauf hat Martin Sonneborn, noch bis Oktober Chefredakteur des endgültigen Satiremagazins „Titanic“, gefunden – und im August 2004 mit weiteren Redakteuren die PARTEI gegründet, als deren Vorsitzender er seither amtiert.
Die Grundhaltung der Zeitschrift haben Peter Knorr und Hans Zippert einmal so beschrieben: „Ein klares Ja zum Nein! Gegen Schmidt, gegen Kohl, gegen Schröder. Gegen Unterdrückung, Diktatur, Minderheiten, Mehrheiten und Immobilienmakler.“ Im Gründungsjahr 1979 war es das erklärte Ziel, Kanzler Schmidt abzulösen und durch das „hefteigene Polit-Maskottchen Helmut Kohl“ zu ersetzen, wie der ehemalige Chefredakteur und Ehrenvorsitzende der PARTEI, Oliver Maria Schmitt, weiß. Keine drei Jahre später war es vollbracht. „Birne“ Kohl wurde der am längsten regierende deutsche Kanzler, 16 Jahre arbeitete er in Diensten des Magazins, zierte mehr als 80 Cover. Ein Gottesgeschenk. An diese Erfolgsstory möchte die PARTEI anknüpfen. „Gegründet wurde sie, um das Schröder-Regime zu beseitigen“, erzählt Sonneborn.
Wir treffen uns an einem schönen Sommertag, in einem Straßencafe in Charlottenburg. Es schwitzt und dampft in Berlin. Der autodidaktische Vollblut-Politiker ist im legeren Freizeitlook erschienen, Jeans, T-Shirt mit „Woodstock“-Motiv. (Nicht das Schlammfestival, sondern der Vogel von Snoopy!) Als ich die Digicam umständlich anwerfe, ärgert sich der Vorsitzende ein bißchen, daß er doch nicht den grauen PARTEI-Anzug von C&A angezogen hat. Auch die Printpresse arbeitet schließlich mit der Macht der Bilder!
Wir kommen schnell zur Sache. Ziel und Auftrag der PARTEI ist „die endgültige Teilung Deutschlands“ (Chlodwig Poth). Dazu wurde am 9.11.2004 schon mal symbolisch mit dem Bau einer neuen, ästhetisch ansprechenderen Mauer begonnen, zunächst an der Grenze zu Thüringen. „Wir versprechen eine Politik des gesunden Menschenverstandes“, sagt der oberste Funktionär. „Vieles ist ja widernatürlich, was gemacht und entschieden wird im Land. Davon muß man sich einfach mal lösen. Wenn Friedrich Merz dafür gerühmt wird, eine Steuererklärung auf einem Bierdeckel zu entwickeln – also ich kann das auf einer Briefmarke darlegen.“ Das große Ziel aber lautet: „Mauer her, Merkel weg. Deutschland hatte seine blühenden Jahrzehnte, als das Merkel noch weggeschlossen war. Wir versuchen unsere Ziele über einen populistischen, schmierigen, extrem niveauarmen Wahlkampf zu erreichen. Mit einer gecasteten Kanzlerkandidatin. Die muß nur ein paar Kriterien erfüllen: Unter 35, gutaussehend, Politikinteressiert. Mit anderen Worten: Wir suchen eine willige Marionette.“
Der Mauergedanke treffe das psychologische Grundbedürfnis, sich abzugrenzen. Dieser Gedanke wird konsequent weitergesponnen: „Der Kölner Ortsverband möchte zum Beispiel gerne Düsseldorf mit einer Mauer umgeben. Die Düsseldorfer möchten Köln einmauern. Wir versprechen natürlich jedem alles.“ An der NRW-Landtagswahl im Mai 2005 konnte sich die PARTEI in vier Wahlkreisen, ihren Hochburgen, erstmals beteiligen. „Da haben wir bis zu 0,8 Prozent bekommen, sogar die Zentrumspartei hinter uns gelassen. Unser bestes Ergebnis seit Kriegsende“, freut sich Sonneborn.
Die intelektuelle Auseinandersetzung mit der „Zone“ hat schon eine längere Blatt-Tradition, angefangen mit dem Zonen-Gabi-Titelbild „Meine erste Banane“ vom November ’89 bis zu den außergewöhnlichen Telefonaktionen der letzten Jahre, die die gesellschaftspolitischen Grundstimmungen, gerade in Ost-Deutschland, immer wieder präzise erfassen konnten. Etwa die Überforderung durch die Euro-Einführung – die Euros sollten bitte einmal gewaschen werden -, oder rechtsextremistische Umtriebe in der Bundeswehr. Dabei stellte sich zu aller Erleichterung heraus, daß Wehrpflichtige in Brandenburg „niemals“ bereit wären, in Polen einzumarschieren, wenn der Befehl aus dem Munde eines betrunkenen Vorgesetzen käme.
Deutschland ist also im Prinzip ein zivilisiertes Land geworden. Bis auf Kleinigkeiten natürlich. „Mit über der Hälfte bereitwilliger Bürger kann man rechnen bei den Aktionen. Und mit Äußerungen wie ,1m Rechtsstaat gehören Leute wie Sie ins KZ‘. Es gibt drei Themen, mit denen man die Deutschen in Rage bringt: Fußball, Hunde, Autos.“ Wir hören später noch davon.
Daß „Titanic“ oder gar das alte „Pardon“ früher „bissiger“ gewesen seien, gehört zu den Lieblingsphrasen derer, die heute in ihren Kanzleien oder Arztpraxen sitzen und diese Sachen aus ihren Studententagen noch vom Durchblättern kennen. „Zum Beispiel Ecki von Klaeden…?“ Der Mann, der Sonneborn bis in die Schweiz hinterhergefahren ist, um vermeintliche CDU-Spendengelder dingfest zu machen. ,Ja, das hat er mir versichert, daß er das mal gut fand. Vermutlich aber eher die Tucholsky-Satire als die, in der er selber in tragender Rolle vorkommt. Wie dem auch sei: Wenn er sich mal verändern, das sinkende Schiff verlassen will, ist er jederzeit in der PARTEI willkommen.“
Nie war die Titanic so politisch wie heute. In den letzten Kohl-Jahren wurde der „längste Kanzler“ in erster Linie als ästhetisches Phänomen, nicht etwa als politisches, begleitet, bestaunt und erlebt. Vorherrschend die Begeisterung und das atemlose Staunen darüber, daß er einfach immer noch du war.
Hat das Wirkung? Was kann Satire erreichen? Oliver Maria Schmidt antwortet: „Wurden Leben gerettet und Kriege verhindert? Am Arsch!“ Aber ein bißchen schon. Eine bestimmte Art des Sprechens und Spottens verdanken wir ohne Zweifel der Neuen Frankfurter Schule um Robert Gernhardt, Hans Traxler, F. K. Waechter, Eckhard Henscheid und ihren Eleven. „Zum Beispiel die Fick-Texte von Hans Zippert über Helmut Kohl auf der letzten Seite.“ (Herr Sonneborn hat wieder das Wort.) „Wenn man als Sechzehn-, Siebzehnjähriger sowas liest, dann kann man Kanzler Kohl nicht ernst nehmen. Das hat Wirkung.“
Sonneborn gehört einer Generation an, die in den achtziger Jahren, im großen rot’grünen Jahrzehnt also, groß und stark geworden ist. Nie wieder blühten die autononomen Fahrradselbsthilfewerkstätten, die Anti-Atom-Sonnenblumen, Dritte-Welt-Läden und lila Latzhosen so schön wie in den glücklichen, letzten westdeutschen Jahren vor dem Mauerfall. Anfang der neunziger Jahre sickerte das Gedankengut von Tempo-30-Zonen, ökologischer Marktwirtschaft und Dosenpfand sogar in die junge wilde CDU ein. Kein Umweltminister war je grüner als Klaus Töpfer. Etwa zur Weltumweltkonferenz in Rio 1992 war rot-grünes Bewußtsein auf seinem Zenith angelangt, es war ganz einfach der heißeste Scheiß. Die „Klimakatastrophe“ hatte sich als dringlichstes „Umweltproblem“ etabliert, begleitet von einem normativen sozialdemokratischen Diskurs über die „Chancen“ der Globalisierung, die Macht der globalen Zivilgesellschaft oder gar gleich der „Weltbürgergesellschaft“ (Jürgen Habermas).
Doch blieb die Katastrophe aus, wurde verschoben, die Flüsse wurden sauberer, das Waldsterben schien erledigt, Bücher über die „Öko-Irrtümer“ oder die grüne Windkraft-Mafia entpuppten sich gar als Bestseller – und spätestens mit dem ersten Erscheinungstag von „Focus“ waren kritische Restintelligenz und Systemopposition in den herrschenden Medien so erledigt wie weiße Tennissocken. Rot-grün? Der Wind hatte sich gedreht. Unter normalen Umständen, ohne die Wiedervereinigung, wäre 1990 Oskar Lafontaine Bundeskanzler geworden; selbst mit der DDR und dem wiedervereinigten Deutschland hätte es unter normalen Umständen 1994 einen Kanzler Scharping – wenn auch von Schröders und Lafos Gnaden – geben müssen. Der kurze konjunkturelle Einheitsboom war verebbt, in der Rezession von ’92/’93 schien die finale Krise des Kapitalismus heraufzuziehen-und „Titanic“ kündete von ersten afrikanischen Care-Paketen für Deutschland: „Die fetten Jahre sind vorbei.“ Aber rechtzeitig zur Wahl besannen sich die Mächtigen eines Besseren, die Wirtschaft präsentierte ihren maßgeschneiderten Aufschwung und rettete Kohl, ein letztes Mal. Danach war’s eine einzige Krepelei. Junge Wilde“ in der CDU, damals schon arrivierte Vierziger, muckten gegen Papa Kohl auf, sahen sich durch die reihenweise vergeigten Landtagswahlen langsam um ihre Karrierechancen gebracht. Freche, kecke Gedanken wurden geäußert zu Ökosteuern, Zuwanderung, Multikulti oder gar über die Perspektiven möglicher schwarz-grüner Bündnisse. Da mußte Papa ein ums andere mal gehörig auf den Tisch hauen.
Zum großen Sprung ansetzen, den Vatermord wagen, das erschien den Wilden aber doch ein Ideechen zu wild. Das mußte später dann ausgerechnet „das Mädchen“ aus dem Osten erledigen. Wenn heute Jung-Rechte mal so richtig frech sein und gegen einen herbeiphantasierten Alt-68er-Gutmenschen-Kanon aufbegehren wollen, machen sie Wahlkampf für Jürgen Rüttgers oder skandieren auf JU-Parteitagen völlig losgelöst (und ohne jedes Gefühl für Anstand oder Rhythmus) „Und wir haben ein Idol – Kohl“, wobei es ja wohl mindestens „Kohoooohol“ heißen müsste.
Martin Sonneborn ist soviel Häme fremd. „Kohl hat uns sehr gefehlt. Viele Leute sind mit den Kohl-Titelbildern aufgewachsen. Eins haben wir noch im Schrank, für den Fall, daß er endgültig abtritt.“
Kann es der PARTEI denn tatsächlich gelingen, mit „das Merkel“ den legendären „Titanic“-„Birne“-Erfolg zu wiederholen?
„Wir freuen uns unglaublich darauf. Als Koalitionspartner wären wir auch bereit, den Boden für das Merkel zu bereiten. Ich spiele sogar mit dem Gedanken, heimlich CDU zu wählen und nicht die PARTEI, weil ich mich einfach so sehr freue, daß diese Frau, von der jetzt immer so beeindruckende Fotos veröffentlicht werden, uns zur Verfügung steht, in all ihrer Pracht und Massigkeit und dieser schönen Hausfraulichkeit, die sie in der politischen Ansprache pflegt. Das werden ganz große Zeiten, das T-Shirt: .Darf das Kanzler werden‘ verkauft sich jetzt schon wie verrückt!“ Damit sollten dann also, unserer kleinen Verspätungs-These folgend, auch die Neunziger zu ihrem wohlverdienten Abschluß kommen.
Reden wir von dem Putsch im September ’98, als plötzlich eine rot-grüne Mehrheit zusammengewählt wurde, obwohl man bis zuletzt sicher davon ausgegangen war, daß es „wegen der PDS“ dazu nie langen könnte, eine große Koalition am wahrscheinlichsten erschien. Erinnern wir uns an die gelöste Stimmung, ja die geradezu diebische Freude Kohls und vieler seiner Getreuen am Wahlabend: Die Rentenkasse war geplündert worden, zur geräuscharmen Finanzierung der deutschen Einheit, die gesammelten Schweinereien und Korruptionen, illegalen Waffenexporte und Parteienfinanzierungen drohten irgendwann hoch zu kochen, eine kampflose Übergabe des Kanzleramts an Wolfgang Schäuble war zuvor kläglich gescheitert. Viel Spaß jetzt mit dem Saftladen, ihr Sozen!
So standen sie dumm da, die rot-grünen „Sieger“. Je nach Berechnung zehn bis 20 Jahre zu spät dran. Und nun? Als erste Amtshandlung mußten die Ex-Friedensbewegten, KBW-Funktionäre, Spontis, RAF-Verteidiger und Einwohner der „Freien Republik Wendland“ sich und der Welt ihre absolute NATO-Bündnistreue beweisen – mit dem Kosovo-Krieg 1999. Eigentlich sollte jetzt Ernst gemacht werden mit dem „ökologischen Umbau der Industriegesellschaft“ und dem Aufbau einer europäischen Trutzburg gegen den weltweiten Haifisch-Kapitalismus, der seit Beginn des Dezenniums „Globalisierung“ hieß. Nie zuvor und nie danach, und wohl auch so bald nicht wieder, existierte in Europa eine Konstellation, die tatsächlich eine politische Alternative zur neoliberalen Globalisierung hätte hervorbringen können. Aber was geschah? Nichts. Sie waren einfach zu blöd, zu faul, zu selbstverliebt. Als Ausweis der Wirtschaftskompetenz wurde das „Schröder-Blair-Papier“ verfaßt. Streberhaftes Übererfüllungssymptom.
Immerhin: „Titanic“ konnte sich auch über die kleinen Dinge noch freuen: „Die gute Nachricht aus Schröders Hose. Ein Arbeitsloser weniger!“ Die schöne Geschichte zu diesem Titel erzählt Sonneborn: „Schröder pflegt ja einen einfachen Volkshumor, er hat damals gefragt, ob er das als Plakat haben könnte. Er sei gerade zwei Wochen unterwegs gewesen. In Sachen ,Hose‘.“
Nach Kohls Abgang betrieb Titanic 1999 Wahlkampf für Roland Koch („Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?“), steckte bei der nächsten Hessen-Wahl mehrere Redakteure in besagte graue C&A-Anzüge und ließ sie als SPD-Spitzenkandidat „Bökel“ um Stimmen werben, unterstützte 2002 den „Spaßwahlkampf‘ der FDP mit antisemitischen Pornoplakaten („Gib endlich Friedmann!“) oder lieferte der SPD in Bayern einen schlagenden Wahlslogan: „Wir geben auf.“
Das ist natürlich nicht jedermanns Sache, kann es auch nicht sein. Dieser Humor bleibt Minderheitenhumor, „schon deswegen, weil die überwiegende Mehrheit der Menschen bereits große Probleme damit hat, sinnsicher wahrzunehmen und halbwegs sinnrichtig zu denken, erschließt sich die Freude an der Negation und Destruktion eines solchen Vorgangs naturgemäß nicht jedem“, wie Oliver Maria Schmitt bilanziert.
Gezeigt haben diese Aktionen, daß mit extrem populistischen, schmierigen Parolen enorm viel komisches, aggressives und politisches Potential und großartiger Volkszorn zu wecken ist. Bestes Hörbeispiel dafür lieferte die CD „Bild-Leser beschimpfen Titanic-Redakteure“ – die erfolgreichste Abo-Prämie aller Zeiten. Das war passiert: Kurz vor der Abstimmung über die Austragung der Fußball-WM 2006 stellte „Titanic“ in einer Handvoll Faxe den Mitgliedern des FIFA-Kommitees einen Geschenkkorb mit Schwarzwälder Kuckucksuhr und „wirklich guten Würsten“ in Aussicht, wenn sie für Deutschland als Austragungsort stimmen würden.
Prompt fiel die Entscheidung für Deutschland – und gegen Südafrika. Tatsächlich war Titanic der Abstimmungssieg zu verdanken: Charles Dempsey, dessen Stimme fest für Südafrika gebucht war, zeigte sich derart verwirrt („this final fax broke my neck“), daß er sich der Stimme enthielt – und Deutschland so knapp gewann. Und trotz dieses Interventionserfolgs mußte sich Martin Sonneborn gegenüber dem DFB verpflichten, „so etwas nie wieder zu tun“ – zur Vermeidung einer Klage auf Schadensersatz in Höhe von 600 Millionen D-Mark. „Ich hab das unterzeichnet. Wir versuchen ja schließlich, einen guten Witz nicht zweimal zu machen.“
Die „Bild“-Zeitung rief zum Telefonterror gegen „Titanic“ auf. Da viele Leute das machen, was man ihnen sagt, gab es eine Flut von Anrufen, eine wahre Beschimprungsorgie: „Ein ganz großes Schwein!“ Klingt gar nicht so ungefährlich, sich mit dem Volk anzulegen. Hattest du keine Angst, einen übergebraten zu bekommen?
„Nein, die Leute bauen ihren Zorn über die Anrufe ab. Das hat Spaß gemacht. So eine Möglichkeit hat man ja sonst nie, ungefiltert mit „Bild“-Lesern ins Gespräch zu kommen“, sagt Sonneborn im gleichen ruhigen, überlegten, freundlichen Tonfall, mit dem er vermutlich auch die Anrufer erst richtig zum Ausrasten bringt.
Aber sollte es in Fußball-Deutschland tatsächlich Bestechungen geben? Die meisten Menschen glauben vermutlich immer noch, daß „wir“ die WM geholt haben, weil Beckenbauer, Schily, Schröder, Boris Becker und Claudia Schiffer so schön den Daumen gedrückt haben. „Die meisten Anrufer waren fürchterlich entsetzt darüber, daß überhaupt ein Hauch von Korruption in dieses Metier getragen wurde. Fußball gilt als sakrosankter Bereich, in dem es einfach keine Korruption gibt, oder gab, oder zu geben hat. Welch absurde Vorstellung.
Wir wollten eigentlich nur einen kleinen Spaß machen. Daß das alles eine so durchschlagende Wirkung hatte, ist nur dem ehrenwerten Charles
Dempsey zu verdanken.“ Trotz dieser Erfahrungen bleibt der Parteisoldat treuer Anhänger der parlamentarischen Demokratie, möglicherweise nur leicht ergänzt um einige monarchistische Elemente. „Wir nutzen die Chancen, die uns die Demokratie eröffnet. Unter Saddam oder Bush wären wir längst gevierteilt.“
Wie ist denn heute das Verhältnis so, zum DFB? „Die kriegen da immer noch sehenswerte Anfälle wenn das Wort ‚Titanic‘ fällt. ,Da kommt dieses dahergelaufene Magazin‘, sagt Pressesprecher Wolfgang Niersbach mit hochrotem Kopf, ,und macht alles kaputt, was wir in fünf Jahren aufgebaut haben‘.“ Andererseits hatte der DFB Sonneborn versprochen, Ehrenspielführer der Nationalmannschaft zu werden. Und Karten fürs Finale. „Das hatte zwar so einen zornig-ironischen Unterton. Ich nehme das aber ernst – und warte darauf.“
Zurück zum Wahlkampf. Wofür stehen eigentlich die Initialien der PARTEI, Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz…?
„Das ist völlig willkürlich. Es ging uns nur darum, den Namen zu besetzen. Wir haben nicht so viel Geld, um eine neue Marke einzuführen. Dieser Name ist sowohl im Westen wie im Osten schon bekannt, der Alleinvertretungsanspruch sofort offenkundig. Von unseren 4000 Mitgliedern gab es viele, die gesagt haben: Schon mein Großvater war in der Partei, ich möchte auch zu euch!“
Recht so. Denn wo sollen anständige junge Menschen, die einfach nur dagegen sind – wie es sich für anständige junge Menschen gehört, einfach nur dagegen zu sein -, wo also sollen die heute hingehen? Offensichtlich gibt es immer noch ein Bedürfnis, sich zu engagieren, etwas zu tun, eine oppositionelle Haltung zu zeigen. „Früher gab’s die Grünen oder vielleicht sogar die Jusos – heutzutage sind ja diese Wege verbaut. Es gibt keine Parteien mehr, denen man irgendwelche Ideale abnehmen würde“, dreht Sonneborn ein großes Rad. Idealismus mit komischen Mitteln also, im besten aufklärerischen Sinne, Frankfurter Schule und Neuer Frankfurter Schule gleichermaßen verpflichtet. Oliver Maria Schmitt schreibt es so: „Eine Satire, die nicht auf den Rahmen der Aufklärung gespannt ist: Sie hätte keinen Ort, von dem sie operiert, kein Ziel, das sie anvisiert, keine Korsage, die sie hält und ihr federnde Elastizität verleiht. Satire als Kritik mit komischen Mitteln – das ist die unartige kleine Schwester der Kritischen Theorie.“
Aber es wird doch so viel gelacht in Deutschland, seit Ausrufung der „Spaßgesellschaft“? Die Comedywelle war so politisch, kritisch oder komisch wie Techno oder das Tamagotchi und begleitete einen erdrutschartigen Abbruch des kollektiven kritischen Bewußtseins. Situationen zu erhellen, Erkenntnisse zu bewirken oder Sinn zu stiften – da hilft uns ein Stefan Raab nicht weiter. Sonneborn hat ein Beispiel: „In Berlin gibt es die KPD/RZ, eine ehemalige Spaßpartei, die .Kreuzberger patriotischen Demokraten/ Realistisches Zentrum‘, die haben für uns hier den Landesverband aufgebaut. Die wollten nicht mal das Bier bezahlt haben. Das sind intelligente Leute, die keine tragende, bürgerliche Rolle im Staat spielen, aber trotzdem etwas tun wollen. Die es schaffen, daß wir ein paar Prozent kriegen, in Kreuzberg.“
Und noch ein Beispiel: „In Mannheim gibt es eine Fraktion aus Bierbrauern und IT-Spezialisten, die haben einen ganz straffen Landesverband gegründet, stellen eigene Plakate und Werbemittel her. Wir können ja als Redaktion nicht sämtliche Ortsverbände auf Trab halten. Schön zu sehen, wenn sowas weiterläuft!“
Die PARTEI ist auch ein Abbild anderer Parteien, sie imitiert und parodiert deren Verhalten. Also gesunder Menschenverstand, gepaart mit eigenen Interessen und antirntellektualistischen Bauchentscheidungen? „Genau.“
Ich freue mich, es auch einmal auf den Punkt gebracht zu haben. „Du wirst doch niemanden finden… Moment“ – Sonneborn wirft sich in Pose -, „wir müssen uns siezen. Sie werden doch niemanden finden, der zum Beispiel in der CDU eine intellektuelle Entscheidung fällt! Michael Glos, ein Mann, den ich zutiefst bewundere, hat gesagt, man kann keine Politik verkaufen, die man in Nebensätzen erklären muß. Ein wichtiger Leitsatz auch für unsere Partei.“ Bei der dritten Apfelschorle werde ich angekobert: „Wären Sie bereit, Verantwortung in der PARTEI zu übernehmen?“ Schon eine niedrige Parteinummer könne Ansehen und Vorteile bringen, bei Frauen Eindruck schinden – allerdings zwölf Jahre später auch nach hinten losgehen. „Da muß jeder selber entscheiden, ob er zu uns kommt oder nicht.“
Die drei, vier Grundsätze der PARTEI im Medienwahlkampf gehen so: „Wir sind eine Partei, weil wir eine Partei sein wollen“ (Schmitt). „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort – ich wiederhole: mein Ehrenwort -, daß mit uns an der neuen Mauer kein Schießbefehl zu machen ist“ (Sonneborn), erstmals ausgesprochen in einer Talkshow mit Wolfgang Tiefensee, dem Leipziger Oberbürgermeister. Der dritte Satz kommt vom PARTEI-Generalsekretär und Führer der „Hintner-Jugend“, Tom Hintner: „Es kann links und rechts von der PARTEI nichts geben, es darf rechts und links von der PARTEI nichts geben und es wird rechts und links von der PARTEI nichts geben.“ Das reiche für 90 Prozent der Interviews.
Trotzdem gebe es immer noch Berührungsängste: „Wir haben es nicht leicht, in die Presse zu kommen. Ein dpa-Reporter wollte die Gründung nicht vermelden. Der hat gesagt: ,Um Gottes Willen, das ist das Letzte, was unser Land jetzt gebrauchen kann.‘ Das sind Leute, die sich offensichtlich als gatekeeper sehen, die Verantwortung spüren, die nicht vermelden, sondern Politik machen.“ Eine SAT-1-Reporterin, die vom PARTEI-Tag in Münster berichtet hatte, rief anschließend in ihr Handy: „Die nehmen das ernst, die sind gefährlich, ich habe das Material, ich komme jetzt in die Redaktion.“
Wie sieht es mit den Werbeagenturen aus, da gibt es doch sicher Spaßvögel mit Galgenhumor?
„Wir haben vor einem halben Jahr im Internet Agenturen aufgefordert, uns ein Konzept für den Bundestagswahlkampf zu entwerfen. Als Preis haben wir den Zugang zu den inneren Zirkeln der Macht versprochen. Da haben sich viele kleinere Agenturen gemeldet und auch einige größere. Jung von Matt zum Beispiel. Wir haben da auch Termine ausgemacht – aber plötzlich hieß es: ,Titanic, das ist uns zu heiß…“‚ „Darf ich mich zu euch dazusetzen?‘, fragt plötzlich eine unangenehm dauergewellte Stimme. Hier werden gerade komplizierte politische Sachverhalte gedrechselt, da wird man „ungeduscht geduzt und ausgebuht“, um einen frühen Buchtitel Max Goldts zu paraphrasieren. Aber auch in dieser Situation bleibt Herr Sonneborn sehr ruhig, souverän und freundlich: „Da hinten ist doch noch ein viel schönerer Platz für Sie frei!“, komplimentiert er die Fragestellerin drei Tische weiter. Nächste Störung: Ein Bierlaster parkt in zweiter Reihe. Neben, über und unter uns werden laut polternd die Erdinger- und Köpi-Fässer in den Laden reingerollt. Optimale Aufnahmebedingungen.
Warum treffen wir uns eigentlich in Berlin, und nicht in Frankfurt am Main, dem Sitz der Redaktion? „Frankfurt ist die langweiligste, ignoranteste, häßlichste und unangenehmste Großstadt, die man sich denken kann“, stellt Sonneborn ein sauberes Schimpf-Superlativ-Türmchen auf den Tisch. Das macht er gerne. Deswegen eröffnet „Titanic“ jetzt auch in Berlin ein „Hauptstadt-Büro“. Und eine PARTEI-Kampa, mit Freiwilligen und Freunden des Heftes. „Wir haben ein Parteigelände in Kreuzberg, in einer Fabrikhalle, und werden von da aus Wahlkampf nach amerikanischem Vorbild führen.“
Wie verhält es sich eigentlich mit dem Bündnis aus rentnernden Alt-Stalinisten und querulatorischen Gewerkschaftlern, der „Linkspartei“? „Wir haben mal versucht, mit der PDS anzubandeln, aber es gibt dort einfach nicht genug Mitglieder, die ohne Hörgerät diskussionsfähig sind. Das wird die WASG auch noch feststellen. Wir haben aber ein Zweckbündnis mit der APPD geschlossen, der Anarchistischen Pogo Partei Deutschlands. Die APPD will uns in den Ländern unterstützen, in denen wir nicht genug Unterschriften zusammenbekommen. Wir versuchen, in ganz Deutschland auf dem Wahlzettel zu stehen. Bis auf Mecklenburg-Vorpommern. Da gibt es zu viele Analphabeten.“
Das letzte Faß ist gerollt, der Restkaffee erkaltet. Warum macht man das bloß alles?
„Weil das die einzige Möglichkeit ist, mit dem Irrsinn umzugehen, ohne in Waffengewalt, Alkoholismus oder Politik zu flüchten. Zudem können wir in Saus und Braus davon leben. Ansonsten interessiert uns Politik nicht weiter.“
Wir setzen nun gnadenlos zur Metareflexion an. „Die PARTEI funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Manche sehen das als Satire oder als Parodie; es gibt aber auch Leute, die nehmen die Parolen, den Ruf nach der Mauer, ernst. Andere sehen das als Experiment und wollen sich irgendwie .einbringen‘. Im Landesverband Baden-Württemberg sind Leute, die könnten in anderen Parteien Karrieren machen.“ Na bitte! Zum Schluß fällt mir noch was ein: die vierte Phrase der PARTEI? „Die vierte Phrase, ach ja! .Wir vergessen niemanden, der uns den Weg zur Macht geebnet hat.‘ Das sage ich immer den Journalisten am Ende, um sie zu motivieren.“ Gebongt.