Maximaler Minimalismus
Lieber cool als retro: Die britische Hoffnungsband Veronica Falls schlägt einen großen Bogen von den Smiths zu R.E.M.
MIt verlässliCHER Regelmäßigkeit entzündet sich am Debütalbum von vier verschlafen dreinblickenden Engländern die alte Diskussion, ob wir nun endlich wieder Songs hören, die mindestens so britisch sind wie Joy Division, Linksverkehr oder Tee mit Milch. Diese und ähnliche Stereotype wurden bemüht, als vor zwei Jahren eine aus der Zeit gefallene Band mit dem geheimnisvollen Namen Veronica Falls schönste englische Pop-Tugenden wieder aufleben ließ. Dass das Londoner Quartett auf „Waiting For Something To Happen“ auf den Spuren von R.E.M. wandelt, dürfte einigen Britpop-Freunden jedoch gehörig den Earl Grey versalzen.
Die englische Musikpresse wird es möglicherweise auch einfach verschweigen. Denn very british klingen Veronica Falls natürlich immer noch. „Wir wollten uns weiterentwickeln und uns gleichzeitig an unseren Sound halten, um unsere Fans nicht zu verärgern“, erklärt Gitarrist James Hoare ohne jeden Anflug von Ironie. Die musikalische Veränderung suchte er schließlich vor allem in zwei Dekaden, den 60er- und 80er-Jahren. „Wir hören nicht sehr viel aktuelle Popmusik, nicht etwa, weil wir retro sein wollen, sondern weil für uns die meiste interessante Musik in der Vergangenheit zu finden ist.“ Die Vergleiche mit The Smiths oder Belle & Sebastian stören da gar nicht. „Es ist gut, dass wir mit Bands verglichen werden, die wir respektieren“, meint Hoare trocken.
Den Soundtrack seiner Jugend füllten dagegen zwei amerikanische Bands, die zumindest in ihren Anfängen jenen Indie-Gestus verkörperten, den auch Veronica Falls anstreben: Nirvana – und eben R.E.M. „Wenn wir ihre Songs in unserem Van hören, kann jeder die Texte mitsingen“, bekennt er. Man hört das auf „Waiting For Something To Happen“ in Roxanne Cliffords glockenhellen Folk-Harmonien und an Hoares verwaschenen Jingle-Jangle-Gitarren. Vorübergehend war sogar Mitch Easter als Produzent im Gespräch, der schon am ersten R.E.M.-Album „Murmur“ mitgewirkt hatte. Doch die Aussicht, unter enormen Zeitdruck in Übersee aufzunehmen, machte den Plan zunichte.
Schließlich fand die Band einen Platz, der kaum englischer sein könnte und die Legende von Veronica Falls dereinst mehren wird: Auf einem Leuchtschiff, das früher als Seezeichen an den felsigen Küsten der britischen Inseln diente und jetzt auf der Londoner Themse vor Anker liegt, betreibt ein Freund der Band ein Tonstudio. Die Musiker schleppten ihr analoges Equipment, ihre alten Verstärker und Vintage-Instrumente an Bord und innerhalb von zwei Wochen entstand ein Großteil des neuen Albums. „Manchmal fühlten wir uns betrunken, wenn die Flut einsetzte und das Boot ein bisschen ins Schwanken geriet“, erzählt Hoare. Möglicherweise sind diese Aufnahmebedingungen der Grund dafür, dass „Waiting For Something To Happen“ noch natürlicher fließt und treibt als das Debüt. Dabei scheuen Veronica Falls jede melodische oder technische Spielerei. Sie schätzen die simplen Song-Miniaturen.
Und sie machen keinen Hehl daraus, dass sie der zeitgenössische Popbetrieb langweilt. Allein schon der Albumtitel „Waiting For Something To Happen“ bringt diesen leisen Pessimismus zum Ausdruck, auch wenn Hoare lakonisch kommentiert: „Minimalismus passt einfach am besten zu uns.“ Aber wahrscheinlich sind Veronica Falls auch zu clever, um sich unter „zitatverliebt“ oder „ironisch gebrochen“ einsortieren zu lassen. Ihre Absichten sind ernst, ihre Verehrung für den Sound der Vergangenheit aufrichtig. Sie wissen, dass darin ein Teil Zukunft liegt. max Gösche