Besuch auf dem Festival Max-Ophüls-Preis: Wie sieht eigentlich der Film-Nachwuchs unsere Welt?

Auf dem Festival zeigen junge Nachwuchskünstler, wie das Kino von morgen aussieht. In diesem Jahr ragte ein Jugendfilm heraus, der noch Furore machen wird.

Manchmal sind es nur wenige Blicke, die einen Moment zum Ereignis machen. Augenblicke der Sehnsucht, wenn das Herz pocht und das Universum für einen Moment zu schweigen beginnt. Auf dem Filmfestival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken konnte man diese zarten, schüchternen, sehnsuchtsvollen Blicke in einem Debütfilm beobachten, der auf eine ungeheuer befreite, sensible Weise von den Höhen und Tiefen der Jugend erzählt, wie man es im Kino schon lange nicht mehr gesehen hat. Dieses kleine Wunder wurde dann auch ganz zurecht mit dem Hauptpreis ausgezeichnet.

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Doch von Anfang an: Das Festival Max-Ophüls-Preis in der saarländischen Landeshauptstadt ist seit 38 Jahren für gut eine Woche so etwas wie das offizielle Testfeld für den jungen deutschsprachigen Film. Viele Debüts in den verschiedensten Gattungen von Kurzfilm über den mittellangen Film bis hin zu Dokumentar- und Spielfilm feiern hier ihre Premiere. Bis zu 600 Einreichungen gibt es pro Jahr, nicht einmal 20 schaffen es in den einzelnen Kategorien in den Wettbewerb.

Beim Max-Ophüls-Preis auf dem Karrieresprung

Für das Publikum ist der Filmpreis ein echtes Geschenk, denn hier bekommt es für wenige Tage ungewöhnliche Bilder und experimetelle Geschichten zu sehen, dazu Schauspieler und Filmemacher am Anfang ihrer Karriere und mit großen Träumen im Gepäck. Auf zwei kommunale Kinos, ein Arthouse-Cineplex und einen Filmtempel verteilt gibt es nahezu pausenlos Filme zu begutachten, die oftmals nur zu einem kleinen Teil ins Kino gelangen, in denen aber die Probleme und Chancen unserer Zeit mal schroff, mal ästhetisch unausgegoren, nicht selten aber auch faszinierend experimentell auf einen Nenner gebracht werden.

Gut gefüllte Festival-Kinos zeigen, dass der Film in Deutschland lebt
Gut gefüllte Festival-Kinos zeigen, dass der Film in Deutschland lebt

Da gab es zum Beispiel die hundsgemeine, scharfsinnige Migranten-Komödie „Die Migrantigen“ von Arman T. Riahi zu sehen. Mit allen Mitteln der Satire-Kunst wird hier das oftmals im öffentlichen Diskurs propagierte Opfer-Täter-Bild angegriffen und auf den Kopf gestellt. Mutig stellt der Film die Frage: Was ist eigentlich ein Ausländer und brauchen wir solche unsinnigen Kategorien noch?

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Eine ganz andere Frage stellte sich Regisseur Jens Wischnewski, der in „Die Reste meines Lebens“ erzählt, wie es für einen Mann ist, die Liebe seines Lebens bei einem Autounfall zu verlieren und sich nur kurz danach wieder zu verlieben. Beide Filme wurden mit einem Preis bedacht – ebenso wie die schwarzhumorige Kurzfilm-Posse „Cigar Box Blues“ aus Hamburg, in dem ein Songwriter-Veteran verzweifelt versucht, sich das Leben zu nehmen und in der Psychiatrie auf einen nicht abzuschüttelnden, aber musikalisch vollkommen unbegabten Fan trifft.

In fast allen Sektionen gibt es Entdeckungen zu machen

Gerade der Kurzfilm, in der Regel der erste Gehversuch für die meisten Nachwuchsfilmer, ist eine bunte Spielwiese der Ideen und ungewöhnlichen Sichtweisen auf die Welt. Hier begeisterten die abstrakte Weltuntergangs-Vision „Ruah“ des erst 21-jährigen Schweizer Regisseurs Flurin Giger, der bereits in Venedig lief und eine derart ausgereifte Filmsprache aufwies, dass man daran zweifeln konnte, es hier mit einem Anfängerfilm zu tun zu haben. Berückend auch „Stigma“, das als Zwei-Personen-Stück ein Interview mit einem Pädophilen nachstellt, das als Teil eines Forschungs- und Therapieprojektes an der Berliner Charité durchgeführt wurde.

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Vor allem für die vielen heranwachsenden Film-Enthusiasten, die in Saarbrücken ihre Projekte präsentieren, sich ausprobieren, vom Publikum Rede und Antwort stehen und ihre Visionen bis spät in die Nacht in den zahlreichen hübschen Cafés und Bars der Stadt feiern, ist das Festival ein echtes Geschenk. Viele knüpfen Kontakte mit Produzenten, Redakteuren oder anderen Kollegen. Oftmals ein Sprungbrett zum nächsten Film.

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Trotz der Hauptstadt-Konkurrenz „First Steps“ bleibt der Max-Ophüls-Preis der wichtigste Gradmesser für den Nachwuchs, um sich in der hiesigen Szene zu etablieren. Das können ziemlich runde Abschlusswerke aus den Filmhochschulen sein (wie das erschütternde Sozial-Drama „Vanatoare“ der in Rumänien geborenen Alexandra Balteanu) oder das abenteuerlich zusammengeflickte und produzierte Independent-Projekt „Strassenkaiser“ aus Berlin.

Glücksmomente sind die Regel

Der mit gleich zwei Filmen im Wettbewerb vertretene Timo von Gunten erhielt während eines Foto-Shootings die für ihn völlig überraschende Nachricht, dass sein mittellanger Film „La Femme Et Le TGV“ in der Kategorie „Kurzfilm“ für den Oscar nominiert wurde. Sozusagen als Belohnung gab es in Saarbrücken noch eine weitere Auszeichnung dazu. Da nicht viel Platz in den Hotels der etwas mehr als 170.000 Einwohner fassenden Stadt bleibt, werden viele Teilnehmer des Festivals kurzerhand in WGs und bei gastfreundlichen Cineasten untergebracht.

Die Jury-Mitglieder Andrea Sawatzki und Stephan Richter
Die Jury-Mitglieder Andrea Sawatzki und Stephan Richter

Bei Panels und Tutorien werden Hintergründe des Filmmarktes beleuchtet; längst etablierte Größen des deutschen Kinos erzählen außerdem aus ihrem Alltag (wie Ehrengast Michael Verhoeven). Es bleibt sogar Zeit, das Kunsthandwerk des Namensgebers, Max Ophüls, intensiv zu beleuchten – wie es Berliner-Schule-Filmemacher und „Revolver“-Redakteur Christoph Hochhäusler mit „Madame de…“ tat. Nicht zu vergessen bleibt auch eine lebendige Diskussion um die Zukunft des Mediums Kino, wo es um Webvideos, Games, 360-Grad-Präsentationen und Virtual Reality ging.

Film-Wunder „Siebzehn“

Überstrahlt wurde das durchaus vielfältige Programm allerdings von einem Film, der die Zuschauer sprachlos machte und die Jury um Schauspielerin Andrea Sawatzki, Produzent Florian Koerner von Gustorf und Regisseur und Autor Stephan Richter frohlocken ließ. „Siebzehn“, gedreht von der österreichischen Regisseurin Monja Art, erzählt die Geschichte der 17-jährigen Paula, die in ihre Klassenkameradin Charlotte verliebt ist. Doch die steckt in einer vermeintlich glücklichen Beziehung mit einem Jungen. Provoziert wird die begabte Schülerin zudem von ihrer Bekannten Lili, die offensichtlich Gefühle für sie zeigt, dabei aber mehrfach Grenzen überschreitet.

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„Siebzehn“ ist ein aufregend inszenierter, herausragend gespielter Film über die erste, zweite oder auch dritte Liebe, nicht eine Sekunde von den gängigen Klischees des Coming-Of-Age-Films überlagert. Sichtbar an „Blau ist eine warme Farbe“ orientiert, wird mit großer Leichtigkeit lesbische Liebe gezeigt, als gäbe es keine Homophobie auf dieser Welt.

Deshalb ist der Film zugleich auch eine Liebeserklärung an eine freie, tolerante Jugend, mit frischen Gesichtern (die Filmemacherin hatte über 1,5 Jahre nach dem richtigen Cast gefahndet, über 500 Personen vorsprechen lassen und mit der wunderbaren, ebenfalls in Saarbrücken mit einem Preis bedachten Elisabeth Wabitsch eine perfekte Besetzung für die Hauptrolle gefunden) und Momenten der Empfindsamkeit und Sinnlichkeit, die dem Teenager-Film in den letzten Jahren vollkommen abhanden gekommen sind. Dieser Film wird im Kino noch Furore machen.

Max-Ophüls-Preisträger 2017

MAX OPHÜLS PREIS
SIEBZEHN, Österreich 2017, Regie: Monja Art

FILMPREIS DER SAARLÄNDISCHEN MINISTERPRÄSIDENTIN FÜR DIE BESTE REGIE
VANATOARE, Deutschland 2016, Regie: Alexandra Balteanu

BESTE NACHWUCHSSCHAUSPIELERIN
Elisabeth Wabitsch für SIEBZEHN (Österreich 2017, Regie: Monja Art)

BESTER NACHWUCHSSCHAUSPIELER
Leonard Kunz für JENNY (Deutschland 2017, Regie: Lea Becker)

FRITZ-RAFF-DREHBUCHPREIS
DIE RESTE MEINES LEBENS, Deutschland 2016, Regie: Jens Wischnewski, Buch: Julia C. Kaiser und Jens Wischnewski

PUBLIKUMSPREIS SPIELFILM
DIE MIGRANTIGEN, Österreich 2017, Regie: Arman T. Riahi

PREIS FÜR DEN GESELLSCHAFTLICH RELEVANTEN FILM
CLUB EUROPA, Deutschland 2017, Regie: Franziska M. Hoenisch

PREIS DER JUGENDJURY
DIE RESTE MEINES LEBENS, Deutschland 2016, Regie: Jens Wischnewski

PREIS DER ÖKUMENISCHEN JURY
VANATOARE, Deutschland 2016, Regie: Alexandra Balteanu

BESTER DOKUMENTARFILM
OHNE DIESE WELT, Deutschland 2017, Regie: Nora Fingscheidt

BESTE FILMMUSIK DOKUMENTARFILM
ZAUNKÖNIG – TAGEBUCH EINER FREUNDSCHAFT, Schweiz 2016, Regie: Ivo Zen,
Musik: Trixa Arnold und Ilja Komarov

BESTER MITTELLANGER FILM
WALD DER ECHOS, Österreich 2016, Regie: Maria Luz Olivares Capelle

PUBLIKUMSPREIS MITTELLANGER FILM
LA FEMME ET LE TGV, Schweiz 2016, Regie: Timo von Gunten

BESTER KURZFILM
DIE ÜBERSTELLUNG, Deutschland 2017, Regie: Michael Grudsky

Oliver Dietze picture alliance / Oliver Dietze/Oliver Dietze/dpa
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