Matthias Schweighöfer: Ein Bild von einem Schwiegersohn

Ihm folgen 1,9 Millionen Menschen bei Facebook und fast 7 Millionen ins Kino. Aber warum bloß? Ein Set-Besuch bei Matthias Schweighöfer, Deutschlands erfolgreichstem Schauspieler.

Schweighöfers Agent spricht am Rande des Sets über die Plakatierung irgendeines Films und dessen Besucherzahlen in sein Telefon. Dann begrüßt er den Schützling: „Hallo, Schatzerl!“ Seit 17 Jahren betreut Peter Schulze ihn. Kollegen sagen, wenn du als Schauspieler Erfolg haben willst, musst du zu Peter Schulze gehen. Sehr akribisch sei Matthias, sagt sein Agent. Der Regisseur Schweighöfer klatscht in die Hände, die nächste Szene: „Los, kommt!“ Das Team versammelt sich. Schweighöfer erklärt etwas sehr gestenreich. Sein irritierend schrilles Lachen würfelt über die Terrasse. „Und Achtung: Ruhe, bitte!“ Das erste Mal stand er mit Regisseur Andreas Dresen vor der Kamera, ein Fernsehfilm, dann folgten Serienjahre: „Dr. Stefan Frank – Der Arzt, dem die Frauen vertrauen“. Für diese beruflichen Erfahrungen wurde er an der Ernst-Busch-Schauspielschule nicht unbedingt von allen hofiert, und so ging er wieder. Nach einem Jahr. „Ich finde Schauspielschulen sensationell wichtig. Ich finde sie nur nicht gut, wenn sie Schüler brechen, um ihnen zu zeigen, wer der Chef ist. Das Wichtigste als Schauspieler ist das Handwerk. Wenn du am Set jemanden hast, der sprechen kann, ist man sehr dankbar. Vor ein paar Tagen haben wir mit Milan Peschel eine Szene gedreht, und der hat an der Volksbühne gelernt, richtig zu schreien. Andere Kollegen haben da nach drei Takes keine Stimme mehr.“ 2001 gab er mit „Herz im Kopf“ sein Debüt auf der Kinoleinwand, im folgenden Jahr liefen bereits zwei weitere Filme an. Er gewann den Deutschen Fernsehpreis als bester Nachwuchsdarsteller, bevor er 2003 neben Nora Tschirner in „Soloalbum“ richtig bekannt wurde. Auch an das Theater verschlägt es ihn zwischendurch. Seine Eltern – Scheidung, als er drei Jahre alt war – kommen vom Theater. Das klingt oft wie eine Rechtfertigung für seine Karriere. So wie sein Engagement am Hebbel-Theater. Der alte Mainstreamvorwurf. Seine Mutter, Gitta, spielte in „Der Schlussmacher“, „What A Man“ und „Vaterfreuden“ mit. Auch seinen Vater, Michael, ließ er in „Der Schlussmacher“ auftreten, auch wenn im Sommer 2010 bekannt wurde, dass der neben dem Theater auch als Inoffizieller Mitarbeiter bei der Stasi mitspielte. Googelt man Matthias Schweighöfer, ist der zweite Vorschlag, den die Suchmaschine macht, der Zusatz „Mercedes“. Ein weiteres deutsches Klischee, dem er entspricht, ist seine Auffassung von Arbeit. 2009 war er mit vier Filmen in den Kinos, 2013 waren es drei. „Wenn man viel leistet und sät, kann man irgendwann auch mehr ernten. Das Geheimnis des Erfolgs: Sehr viel Glück und sehr viel Arbeit“, sagt er. Es gebe Phasen, da arbeite er 16 Stunden am Tag. „Manchmal auch nur vier. Aber Kinder sind ja auch Arbeit.“ Es klopft jetzt an der Tür seines Trailers. Das Szenenbild ist fertig, eigentlich soll nun weitergedreht werden. Er hat etwas Zeit verloren durch das Treffen mit Anika Decker. „Einen Moment noch.“ Schweighöfer dreht alle seine Filme mit demselben Koregisseur, Torsten Künstler, der auch mit Til Schweiger arbeitet. „Von Til habe ich gelernt, den Look meiner Filme universeller wirken zu lassen. Amerikanische Filme haben etwas Zeitloses. Deutschland ist gerade dem Sozialfilm sehr verhaftet.“ Von Schweiger hat er sich vielleicht auch den legeren Umgang mit Product-Placement abgeschaut. „Das finanziert eben auch die Filme. Natürlich stimme ich eher Product-Placement zu, als einen Film nicht machen zu können.“ Schweiger, Decker, Schweighöfer – sie stehen für die Neue Deutsche Komödie, und zusammen haben sie so viele Zuschauer, dass uns das etwas über dieses Land erzählen müsste. Vielleicht lieben die meist jüngeren Zuschauer sie, weil das Scheitern in ihren Filmen so überschaubar ist. Da spricht man eben mal mit dem falschen Spruch den Schwarm an oder redet über das Furzen im Schlaf. Da brennt irgendwas in der Küche. Kennt ja jeder. Schweighöfers Filme überraschen manchmal aber noch mit Selbstironie. Wenn ein Protagonist den Witz macht: „Ich liebe Kunst. In der Kunstabteilung von Ikea könnte ich ewig stöbern,“ dann kommt auch der Lehramtsreferendar auf seine Kosten. Das ist anders als bei Deckers Film „Traumfrauen“, dessen Humor einen Teil der Bevölkerung gleich komplett ausschließt. „Der Film wird toll!“, sagt Anika Decker, als sie aus Schweighöfers Trailer tritt, an dem irgendein anderer Name steht, damit man nicht weiß, dass gerade der berühmte Schauspieler dort drinsitzt und während des Interviews schnell zwei Happen Hühnchen mit Gemüse isst, weil Mittagspause ist. Wie oft haben Sie Ihren Bodyguard dabei, Herr Schweighöfer? „Nur bei großen Menschenansammlungen und auf Kinotouren, sonst sind meine Kinder meine Bodyguards. Meine Tochter hat grundsätzlich so schlechte Laune, wenn jemand kommt und ein Foto machen möchte, entschuldigen sich die Leute meist und gehen wieder.“ Seine Kinder würde er übrigens eher nicht in seinen Filmen mitspielen lassen, dafür aber die Freunde. Man hat ja sonst keine Zeit, sich zu sehen. Obwohl er mit Joko auch eine kleine Firma betreibt. Sie heißt German Garment und verkauft in Deutschland produzierte Klamotten. Zum Beispiel T-Shirts mit Panda-Aufdruck. Auch mit Volksbühnen-Schauspieler Milan Peschel ist er seit Langem befreundet, der spielt gleich in mehreren seiner Filme mit und ist auch der Patenonkel von Tochter Grete. „Matthias ist ein herzensguter und großartiger Mensch“, sagte Peschel mal in einem Interview, „der sich manchmal aber auch vor Entscheidungen drückt und manchmal Nähe nicht zulassen kann. Aber das ist schon okay so.“ Und umgekehrt sagt Schweighöfer über Peschel: „Bei Milan ist sorgenfreie Zone.“ Es heißt, Schweighöfer sei ein dickes Kind gewesen. Er war der einzige Junge in einer Mädchenklasse, er hat Flugangst, und beim Gehen zieht er die Schultern leicht hoch. Wenn er spricht, fällt er oft in einen Berliner Akzent, manchmal aus Unsicherheit, wie er sagt. Oder er verstellt seine Stimme ins Kindliche oder Dümmliche. Spricht man ihn auf seinen Ruf als Womanizer an, sagt er: „Wenn man meine Freunde fragen würde, würden alle sagen, ich sei der unsicherste Typ überhaupt. Ich finde, ich bin kein Womanizer. Diese Festlegung machen ja immer andere.“ Was man mit Sicherheit über ihn sagen kann, ist, dass er kein Hipster ist. Schweighöfer sagt in Interviews gern Sätze wie: „Ich schwitze wie ’ne Kuh aus ’m Arsch.“ Oder: „Trinken bis zum Verlust der Muttersprache.“ Wenn eine Berührung oder ein Blick eines Mannes gegenüber einer Frau als sexuell interpretiert werden könnte, kreischt er: „Die Sau!“, das führt zu Lachern. Höhöhö. So wie Anfass-Witze unter Männerfreunden. Hashtag „Nohomo“. Das ist so nah am Volk wie die H&M-Kollektion an der Haut. Vielleicht ist Schweighöfer die Schauspieler-Version von Cro und Tim Bendzko. Er schreibt Geschichten aus dem Vorgarten der Bürgerseele. Live daraus sendet auch sein Facebook-Profil: „Kalt … aber schön!“, schreibt er darauf im Winter, oder: „Scheiße … schon wieder Sonntag. Samstage sollten länger sein!“ Und er wird dort von niemand Geringerem als von Mario Götze für die „Ice Bucket Challenge“ nominiert. Man kennt sich, man hat denselben Arzt. Und als 2014 Bedenkenträger die Fußballweltmeister der kulturellen Verhöhnung der Verlierernation bezichtigten, schrieb er schnell: „Deutschland, entspann dich! Lass die Jungs doch mal ordentlich feiern … und zwar MIT ’nem ordentlichen Gauchotanz!!“ Seine auf Facebook hochgeladenen Bilder, Videos und Nachrichten werden oft von Klatschmedien aufgegriffen. „Mittlerweile haben wir fast Freude daran zu beobachten, was für eine Geschichte aus einem Foto gestrickt wird. Facebook ist das beste Feuilleton der Welt. Du kriegst unvermittelt jede Kritik mit.“ Weiß er seine Followerzahl aus dem Kopf? „Bei Twitter müssten es, glaube ich, 450.000 sein. Bei Facebook sind es 1,9 Millionen.“ Bei Twitter sind es mittlerweile 564.000, und bei Facebook wird er nur noch von Elyas M’Barek übertroffen. „Der Vergleich ist schwierig, denn Elyas’ Zielgruppe ist noch mal ein wenig jünger, und die sind eher bei Facebook.“ Schweighöfers Zielgruppe scheint sich auch in einem anderen Punkt zu unterscheiden, und das könnte auch mit den unterschiedlichen Haarfarben der beiden zu tun haben. Als er vor wenigen Monaten postete: „Was soll das eigentlich für ein friedliches Weihnachtsfest werden, wenn so viele Pegida-Deppen und -Mitläufer unser Land in den Abgrund ziehen …?? Leute, lasst uns ein offenes und gutes Land sein!! Wir haben das Zeug dazu! Peace!“, erhielt er eine Flut von aggressiven und fremdenfeindlichen Reaktionen und löschte den Kommentar wieder. Deutscher Filmpreis, Goldene Kamera, ein Wachsabbild bei Madame Tussauds, 20th Century Fox als Verleih. 2011 lief Schweighöfer in Unterhose durchs Brandenburger Tor, weil er gewettet hatte, dass 500.000 Menschen am ersten Wochenende seinen Film „What A Man“ sehen würden. Für den schrieb er das Drehbuch, spielte die Hauptrolle, führte Regie. Das war eine Prüfung. Und? Wie ist das dann, fragt man ihn, wenn er die Besucherzahlen seiner Filme sieht – denkt er sich dann auch: Fuck you, Feuilleton? Er kaut weiter, schluckt. „Nö. Ich finde das Feuilleton sehr wichtig, weil ich Kunst in Deutschland sehr wichtig finde. Das muss es einfach geben. Das ist auch deutsche Kultur.“ Nach solchen Antworten ahnt man, warum er nicht zu den Lieblingen auf den Kulturseiten zählt. Als Schweighöfer in einem Fernsehfilm Friedrich Schiller gibt, schreibt die „FAZ“: „Stattdessen geben uns Schweighöfer und Weinhart (der Regisseur – Red.) einen Schiller light, dessen Geniegehalt den Primetime-Kollegen von der ‚Volkstümlichen Hitparade‘ keine Angst machen muss.“ Doch nicht nur ökonomisch, auch in puncto Reichweite ist Schweighöfer den Kulturkritikern natürlich überlegen. „Darüber würde ich mich ärgern, wenn ich Filme machen würde, die für das Feuilleton relevant sind. Kein Feuilletonist besucht ein großes Musical in Hamburg, wenn am Schauspielhaus eine gute ‚Woyzeck‘-Inszenierung läuft.“   Die Post-VIVA-Zwei-Generation ist eben nicht blöde. Sie weiß, womit sich kein Geld verdienen lässt. „Ich habe eine eigene Firma, und die muss laufen. Ich muss Filme machen, die andere Filme finanzieren. Ich liebe den ernsthaften Gedanken. Aber dem kann ich auch noch nachgehen, wenn ich älter bin. Ich habe in meinem Leben oft in solchen Filmen mitgespielt, aber wenn ich dann auf der Kinotour in einem Saal sitze und den Film sehe, für den ich mir vier Monate den Arsch aufgerissen habe, und da sitzen nur 80 Leute um mich herum, und nebenan läuft ‚Zweiohrküken‘, und das Ding ist rappelvoll, dann macht man sich eben seine Gedanken.“ Wenn Matthias Schweighöfer kurze Videos für seine Fans aufnimmt, sagt er oft: „Einen wunderschönen guten Tach meine Lieben!“ Er spricht von seiner Arbeit, bedankt sich oder wünscht einen guten Morgen, seine Augenbrauen fragend zusammengeschoben, als wisse er selbst nicht, warum ihn das halbe Land liebt. Und dann lächelt er.

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