Massive Attack: Die wilden Kerle

Nach Portishead finden auch Massive Attack wieder zu großer Form. Im Interview kündigt Robert Del Naja zudem eine Sensation an.

Das Wort TripHop habe ich noch nie so richtig leiden können“, sagt Robert Del Naja – und schwärmt von den 1980er Jahren. Von jener anarchischen Phase also, als er zusammen mit Grant Marshall und Tricky mit dem Soundsystem Wild Bunch durch die Clubs in Bristol zog, und es noch keine Genre-Zuordnung für ihr unkonventionelles Tun gab. „Ich habe nie verstanden, für was der Ausdruck TripHop eigentlich stehen soll. Treffender war es in den Neunzigern, unsere Musik unter B wie Bristol abzulegen“, sagt Del Naja. „Spätestens mit dieser neuen Platte hat der Begriff hoffentlich ein für allemal ausgedient.“

Robert „3D“ Del Naja hat durchaus Grund auf das neue Massive Attack-Album „Heligoland“ stolz zu sein. Unter anderem, weil er den Nachfolger von „lOOth Window“ (2003) nicht erneut im Alleingang produziert hat, sondern nun auch im Studio wieder mit dem alten Freund Grantley „Daddy G“Marshall gemeinsame Sache gemacht hat. „Beim Songwriting ging es sogar richtig demokratisch zu“, behauptet er – und muss lachen: „Allerdings nach dem US-Modell: Ihr habt die Freiheit, jederzeit das zu tun, was ich euch sage.“ Del Naja hat Massive Attack zu lange als Einzelunternehmen betrieben, um jetzt das Zepter ganz aus der Hand zu geben.

Tatsächlich greift die Wortschöpfung TripHop viel zu kurz, um das „He-Iigoland“-Repertoire zu beschreiben, das mal mit Minimal Music („Psyche“), mal mit traditionellen Popstrukturen („Saturday Come Slow“) spielt. Am ehesten kommt noch die Single „Paradise Circus“ dem Stil der alten Massive Attack nahe. „Wir haben diesmal mehr als je zuvor mit akustischen Instrumentierungen gearbeitet, haben uns bei der Produktion um einen cleanen Sound bemüht und uns beim Übereinanderschichten von Texturen zurückgehalten“, sagt Del Naja.

Die Geschichte von „Rush Minute“ begann zum Beispiel damit, dass der 45-Jährige den Song zur Akustikgitarre sang. Am Anfang von „Fiat Of The Blade“, das früher einmal „Bulletproof Love“ hieß, und nun in der finalen Version auf „Heligoland“ von Elbow-Frontmann Guy Garvey gesungen wird, stand dagegen eine Drum Machine. „Als Guy ins Studio kam und sich ein paar mehr oder weniger fertige Tracks anhörte, hat es mich ziemlich überrascht, dass er sich ausgerechnet für diese Nummer entschied, die zum damaligen Zeitpunkt eigentlich nur aus dem Rhythmustrack bestand“, sagt Del Naja. „Guy hat dem Song mit seiner Gesangsmelodie dann so einen bluesigen, gospelhaften Touch gegeben, den wir als Ausgangspunkt für die weitere Arbeit genommen haben. Und ich liebe dieses Northern-Soul-Feeling, das sein Gesang dem Song verleiht.“

Zwar hat die eigentliche Arbeit an „Heligoland“ sieben Monate gedauert, die Band schleppt aber einige der Stücke, die es auf die Platte geschafft haben, schon seit Ewigkeiten mit sich herum. Denn die Kunst, sich an Liedern fast die Zähne auszubeißen, hat bei Massive Attack Tradition. Auf „lOOth Window“ war das laut Del Naja „Antistar“, auf „Mezzanine“ der Titeltrack. Und diesmal war es ein Song mit dem Titel „Atlas Air“, der lange Zeit „Marrakesh“ hieß und den Massive Attack schon vor zwei Jahren live gespielt haben. „Die Nummer wurde so was wie ein Running Gag für uns, weil wir glaubten, dass wir sie nie fertig bekommen werden, wir haben uns im Kreis gedreht und sind dabei fast verrückt geworden“, erinnert sich Del Naja. „Jetzt haben wir eine andere Basslinie, einen anderen Text, und überhaupt ist alles ganz anders.“

Massive Attack haben „Heligoland“ teils in London, teils in Williamsburg aufgenommen und hingen bei den Aufnahmesessions mal mit Damon Albarn herum, dessen Spontaneität Del Naja bewundert („der arbeitet völlig anders als wir“), mal fachsimpelten sie mit Mitgliedern von TV On The Radio („wir haben uns 2008 in Glastonbury kennen gelernt und tauschen seither ständig Ideen aus“). Nachzuhören sind diese gegenseitigen Annäherungen im flehenden „Saturday Come Slow“, das Albarn singt, und im episch-apokalyptischen „Pray For Rain“, bei dem der TV On The Radio-Sänger Tunde Adebimpe zu hören ist.

Am interessantesten scheint indes ein anderer prominenter Gast zu sein: Dass Martina Topley-Bird, die als Sängerin auf Trickys Debüt „Maxinquaye“ (1995) berühmt wurde, jetzt für Massive Attack am Mikro steht, darf als Vorspiel für das Wiederbeleben der alten Freundschaft aus Wild Bunch-Tagen verstanden werden. „Als Tricky und ich uns damals trafen, hat das alles verändert. Die Verbindung unserer Ideen prägte die Persönlichkeit von Massive Attack“, sagt Del Naja. „Seitdem haben wir uns unterschiedlich entwickelt, haben uns aber kürzlich in Paris getroffen und wollen nun wieder zusammenarbeiten.“ Wenn das mal keine Hoffnungen weckt!

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