Massive Attack: Die wärmende Flamme schützen
Das Lob der Provinz: Massive Attack arbeiten in Bristol im sicheren Abseits.
Was ist bloß anders an Bristol? Immer wenn die Rede auf die Heimatstadt von Massive Attack kommt, verändert sich die Stimmung. Die Augen des schmalen Mannes, der sich 3-D nennt, wandern ins Leere. Der kumpelhafte Daddy G, lang wie ein Strommast, murmelt irgendwas von „schöner Ort, da kann man für sich sein“. Und der drahtige Mushroom kichert wie ein Kind, das ein verbotenes Wort gehört hat. Ausgerechnet diesen drei Burschen, die Bristol zu einen kleinen Pop-Mythos gemacht haben, fallt dazu nur Schall und Rauch ein.
Vielleicht ganz gut, daß wir nicht in Bristol sind, sondern in Amsterdam. Eine freundliche Stadt mit klaren Zügen. Die Frau am Bahnschalter sah aus wie Linda de Mol, und ich hätte sie zu gerne einmal „Toll!“ sagen hören. In Amsterdam gibt es ganz viel Käse, Diamanten und Dope. Die Drei von Massive Attack schätzen vor allem letzteres und sind hier wirklich gern. Heute abend wollen sie hier die Clubs checken, zwischendurch mal im Coffie Shop einkaufen gehen.
Im Moment allerdings sind 3-D und Mushroom damit beschäftigt, die holländischen Hotelbetten auf ihre Belastbarkeit hin zu testen. Sie wippen und toben auf der Matratze herum und haben einen Heidenspaß. Nicht gerade die ideale Ausgangssituation für ein ernsthaftes Interview. Eigentlich sollte es hier um die neue Platte „Protection“ gehen. „Na los – frag doch!“ grinst Mushroom und setzt zu einer Rolle rückwärts in Richtung Wandspiegel an.
Jungs, reißt euch zusammen“, knurrt Daddy G vom Sofa hinüber. Er ist tatsächlich so etwas wie ein Daddy, und Massive Attack ist so etwas wie eine Familie. Die Mitglieder kennen sich schon seit den 70er Jahren, als man gemeinsam in Pubs abhing. Die gemeinsame Stunde Null schlug 1981, als Kurtis Blow für ein Konzert nach Bristol kam. Mushroom, Daddy G, 3-D und Nellee Hooper standen im Publikum und waren begeistert. Rap war neu. Bisher hatte man in Bristol hauptsächlich zu Punk- und New-Wave-Musik seinen Körper geschüttelt, und eine kleine Gemeinde von Insidern hatte Reggae und Dub gespielt. „Kurtis Blow war der entscheidende Impuls für uns“, meint Daddy G. An diesem Abend begann die Geschichte von Massive Attack. Sie verlief so ruhig, so angeschmiegt an den Lauf der Zeit wie ein Song von „Protection“.
Die ganzen langen 80er Jahre lang machten die DJs und Musiker, zunächst als The Wild Bunch, seit 1989 unter dem heutigen Namen, Musik, die kaum einer hören wollte. Sie legten Raps über unendlich entspannte Dub-Linien, sie mixten Soul mit House, und gerade mal ein bis drei Maxis kamen dabei heraus. Sie jobbten tagsüber in Plattenläden und nachts in Clubs. Mal dachten sie daran, nach London zu ziehen, „aber dann blieben wir doch in Bristol, weil wir dort für uns waren“, wie 3-D sich erinnert. „Wir wollten warten, bis unsere Zeit gekommen war.“ Nur Nellee Hooper hielt es irgendwann nicht mehr aus, stieg in den Zug Richtung London und schrieb dort zusammen mit Jazzie B. und Soul II Soul Pop-Geschichte.
Die drei anderen blieben und ließen sich Zeit. Als sie dann 1991 mit „Blue Lines“ alles Erarbeitete in einem großen Wurf verdichtet und einen Klassiker hingelegt hatten, behielten sie die charakteristische Ruhe, die laut Daddy G „auch eine Reaktion ist auf die Umwelt, in der alles schneller wird, auch die Musik“.
Bis zur neuen Platte brauchten sie drei Jahre, sie beginnt mit dem Titelsong „Protection“. Schutz wovor? „Das ist nur ein verdammt guter Titel, der gut klingt“, wiegelt Daddy G zunächst ab. Aber dann erklärt er die Cover-Grafik: „Die Flamme, die auf dem Cover der ersten Platte brannte, wird auf dem neuen Motiv von einer Hand geschützt, weil der Wind zu stark weht. Das ist das, was wir versuchen.“
Die wärmende Flamme schützen – vor dem Zugriff oder der Ablehnung der gierigen Medien etwa. Das war bisher nicht immer leicht. Während des Golfkriegs wurde auf den BBC-Wellen keine Musik gespielt, deren Texte auch nur annähernd mit Krieg in Verbindung gebracht werden konnten. So mußten sie eine kurze Zeit lang Massive heißen.
Und dann sind da die Mechanismen der Pop-Industrie. Wie vermarktet man einen projektartigen Zusammenschluß von Tüftlern und Musikern? Nach dem Erfolg der Single „Unfinished Sympathy“ wurde Sängerin Shara Nelson als das Gesicht von Massive Attack mißverstanden. Aber sie machte als Solo-Sängerin weiter. „Die Leute wollen immer Stars, Gesichter sehen. Jetzt singen bei uns eben Tracey Thorn und Nicolette. Für uns ist es ein Alptraum, uns nach außen hin festlegen zu müssen.“
So langsam wird es logisch, daß ein totes Kaff wie Bristol die lebendigste Musik hervorbringen kann. Als Ort, an dem man arbeiten kann, ohne daß dauernd jemand zur Tür reinkommt. Wo MTV zwar im Kabel läuft, aber nicht auf der Straße. Hier kann man eine Verschrobenheit und Weltfremdheit kultivieren, die der beste Schutz ist für die Musik von Massive Attack. Sie können Underground bleiben und gleichzeitig Erfolg haben, ohne durchzudrehen. Über Bristol redet man nicht wie über London oder Manchester, in Bristol ist man einfach – „Safe From Harm“.