„Masked Singer“ ist ein großer Spaß – aber auch eine Zumutung
Die ProSieben-Show sorgt seit Jahren für Furore und löst Staffel für Staffel einen Hype aus, wer sich unter den fantasievollen Kostümen verbirgt. Doch ohne Masochismus ist kaum eine Folge zu ertragen.
Inzwischen weiß wohl auch jeder, der den Start der neusten Staffel von „Masked Singer“ nicht gesehen hat, dass sich hinter dem Kostüm des kautzig Kängurus „Tatort“-Star Jan Josef Liefers verbarg. Die erste von zahlreichen Enthüllungen, die Sinn und Zweck der popgezuckerten Castingshow-Variante sind, die zum ersten Mal in Südkorea aufgeführt wurde und mit der neu erwachten Pop-Faszination für die Kultur des asiatischen Landes nun fast überall auf der Welt zu sehen ist.
Für Nichteingeweihte: „Masked Singer“ heißt fast 3,5 Stunden bizarre Performances, kichernd vorgetragenes Rätselraten und ein krachendes Beklatschen jeder Skurrilität als angestaute Bedürfnisbefriedigung bis zur großen Enthüllung. Das ist oft schwer auszuhalten, weil die Sendung zwar ein großer Spaß ist und eine wunderbare Song-Auswahl zu meistens unerwartbaren Bühnenaktionen zu bieten hat – aber auch furchtbar inszeniert ist.
Die Show ist viel zu lang!
Mit jeder weiteren Folge fliegt ein Prominenter raus. Doch die Sendung bleibt dennoch genauso lang. Die Spannungsdramaturgie wird mit unterkomplexen Jury-Gesprächen, belanglosen Vorschauclips zum Rätseln (wer erinnert sich nach der Sendung noch an sie?) und ewig sich dehnenden Ankündigungen in die Länge gezogen. Sind zehn Kandidaten dabei, dann werden nach drei Auftritten zwei von ihnen unter Applaus weitergeschickt – und das dauert allein zehn Minuten. Natürlich ist es lustig, den Gedanken von Ruth Moschner und wechselnden Hobby-Ratefüchsen mit Comedy-Erfahrungshorizont zu lauschen, aber sie berauschen sich oft an ihrer eigenen Neugier und gigeln mitunter minutenlang über ihre häufig unpräzisen Vorstellungen, wer sich hinter den Maskierten verbirgt. Zwei Kandidaten pro Stunde? Da fliegen ja bei RTL in der gleichen Zeit vier Tanzpaare über das Parkett…
Es gibt nur wenige Überraschungen
Die Liste der unerwarteten „Masked Singer“-Kandidaten ist lang: Marcus Schenkenberg (Eichhörnchen), Dieter Hallervorden (Chamäleon), Veronica Ferres (Biene), Franziska van Almsick (Einhorn), Pierre Littbarski (Hammerhai) und Paul Potts (Koala). Jeder dürfte seine eigenen Favoriten haben, welche Stars er niemals mit solch einer Unterhaltungssendung in Verbindung gebracht hätte. Aber sonst? Die halbe „Tagesschau“-Redaktion, die üblichen ProSieben-Verdächtigen, viele Schauspielerinnen und Schauspieler, die man seit langem kennt. Und stets geht Ruth Moschner schon nach dem ersten kryptischen Hinweis ein Licht auf, oft hat das Publikum nach wenigen Folgen den richtigen Riecher (und wählt in der App dennoch Angela Merkel oder Joko Winterscheidt aus). Kann es sein, dass es eigentlich egal ist, wer bei „Masked Singer“ teilnimmt und der Spaß auf dem Weg zum Ziel zu finden ist?
Die Werbung nervt
Seit der ersten Staffel, als „Masked Singer“ noch unter der Woche lief, begleitet das Format den Vorwurf, dass es mit zu vielen Werbeblöcken, gerne auch Mini-Spots von wenigen Sekunden, erdrosselt wird. Klar, in den Pausen soll fleißig die App benutzt werden, die darin enthaltene Werbung bringt dann noch einmal einen hübschen Umsatz für den Sender. Und anscheinend wissen die Produzenten der Show sehr gut, dass sie ihrem Publikum die viele Werbung zumuten können, weil es eh nebenher noch viele andere Dinge macht, etwa Instagram-Storys schauen und sehen, ob sie ein Hinweis darauf liefern, dass der Prominente möglicherweise bei „Masked Singer“ teilnimmt. Nennt es doch Dauerwerbesendung wie früher in den Raab-Shows!
Man soll wohl nicht hören, wer es ist
Manche Kandidaten vor allem aus dem Showbusiness wären natürlich sofort mit ihrer markanten Stimme zu erkennen. Deswegen wird ihr Stimmorgan auch gerne verfremdet. Andere haben eben nur ein dünnes und trockenes Knäckebrot-Stimmchen, da ist es manchmal gar eine Qual, sich das zu Ende anzuhören. Und dann bekommen solche Kandidatinnen und Kandidaten auch noch richtig komplexe Nummern zu singen! Schlimm ist aber, wie schlecht oft die Tondynamik ist. So richtig hört man dann auch keine Stimmfarbe heraus. Als hätten die eng genähten Kostüme, unter denen viele schwitzen wie Äffchen, keinen Platz mehr für die kompetente Befestigung der Mikros. Aber vielleicht ist es ja auch Methode, dass man nicht zu schnell errät, wer sich dahinter verbirgt.
Welche Drogen nimmt Matthias Opdenhövel?
Seit „Schlag den Raab“ wissen wir, dass Matthias Opdenhövel einer der wenigen fähigen Live-Moderatoren dieses Landes ist, der wirklich alles mit einem guten Witz umreissen kann, und mit Bubenhaftigkeit und Spaßbeamtenhaftigkeit auch den größten Kindergeburtstagsblödsinn als ernstzunehmenden sportlichen Wettkampf verkaufen kann. Sozusagen eine männliche Barbara Schöneberger mit Bundesligaticker-Charme. „Masked Singer“, das manchmal wie eine lang gestreckte Variante eines Joko-Klaas-Streichs anmutet, ist deshalb wohl auch genau das richtige für den chronisch gut gelaunten Ostwestfalen. Würde er nicht in jeder Show mit seinen hektisch gebrüllten Ansagen und fast etwas sarkastisch daherkommenden Werbe- und Zeitverzögerungshinweisen so wirken, als hätte er vor Beginn mindestens drei Vodka-Redbull zu viel gekippt. Opdenhövel macht manchmal den Eindruck, als wäre er ein sich cool gebärdender Vater, der seiner 16-jährigen Tochter mit offenem Hemdkragen auf eine Kiffer-Party folgt, damit sie ihre BWL-Karriere nicht gefährdet, und er auf der Toilette die Chance bekommt, schnell selbst mal einen Zug zu nehmen.
Die immerzu begeisterte Jury
Gemessen an ihrer Redezeit ist die Jury der eigentliche Star von „Masked Singer“. Theoretisch sind Ruth Moschner und ihre wechselnden Hurra-Kollegen (oft: Rea Garvey, der schnauft und kernig lacht und sich für keinen Joke zu schade ist) die eigentliche Rateinstanz und nicht die Zuschauer. Sie vermitteln einen ersten Eindruck, sie entziffern die beschämend unklar gehaltenen Filmchen, die für jede Episode produziert werden. Meistens sind sie aber vor allem erstaunt, beeindruckt, geradezu verliebt in jede einzelne Darbietung. Die Rührung kennt keine Differenz. Alles ist supersuper. Und jedes Mal fragt man sich, wie Moschner – die in so vielen TV-Produktionen aufgetreten ist und mit ihrer frivolen Witzigkeit dennoch fehl am Platze war, aber in „Grill den Henssler“ als mal böswillige, mal flirtend-anzügliche Moderatorin zu absoluter Höchstform auflief – schon nach einer Show weiß, warum sich hinter einem im Bild zu sehenden Bienenkorb Frühstücksgewohnheiten von Jens Riewa verbergen. Wir vermuten: Da geht es nicht immer mit rechten Dingen zu. Aber womöglich ist Ruth Moschner ja auch eine moderne Miss Marple. Oder eher eine zeitgemäße Veronica Mars. Wenn sie nebenher wenigstens nicht jeden zweiten guten Spruch lautstark verlachen würde, wäre schon viel getan. An der Kompetenz und dem Witzlevel der Jury wäre eigentlich wenig auszusetzen, wenn sie nicht einfach zu oft befragt würde. Warum muss denn nach unzähligen Rätseleien noch einmal ein Urteil gefällt werden, wenn der oder die Maskierte sich schließlich nach fast vier Stunden endlich aus seinem Kostüm zwängen darf?
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