Marxismus und Zukunftsmusik: Die britische Avantgarde- Band Stereolab verbindet Ambient, Chanson und Politik
„Es geht um Vertrauen“, sagt Laetitia und bückt für zwei Sekunden gedankenverloren in einen stinkenden Aschenbecher, „ich muß mich doch zum Beispiel darauf verlassen können, daß Sie mich beim Interview nicht umbringen.“ Dir Vorname bedeutet „Freude, Frohsinn“, nicht schlecht, wenn man mit Nachnahmen Sadier heißt In England klingt dieser Name nach Trauer, das gefällt der gebürtigen Französin. „Ich glaube, man braucht den Kontrast, zwei gegensätzliche Dinge, nur daraus kann wirklich etwas entstehen“, erklärt sie. „Es gibt Leute, die halten Popsongs mit sehr linken Texten für einen Widerspruch. Wir als Band hingegen mögen diese Idee.“ In einem weißen Raum, der eigentlich zu nichts weiter einlädt, als aus dem Fenster zu starren, sitzt die Frau, die maßgeblich am Erfolg von Stereolab beteiligt ist. Zwei Platten, „Tratisient Random-Noise Bursts With Announcement“ (1993) und „Mars Audiac Qtiintet“ (X99A) brauchte die englische Band, um ihren Kultstatus zu zementieren. Und weil die Leute um die Stereolab-Urzelle Sadier und Tim Gane schon immer mehr Musiker als Pop-Artisten waren und weder vor Walzer und Bossa Nova, noch vor verzerrten Gitarrenteppichen Scheu hatten, galten sie bald als Wegbereiter des Easy Listening eine Kategorie, die Laetitia Sadier ebenso schmunzelnd wegsteckt wie das Krautrock-Attribut. „Leute sehen in uns, was sie sehen wollen, das nehmen wir als Kompliment“ Offensichtlich sind Stereolab eine komplexe Band. Sie haben sich nie um Moden geschert, Musik ist ihr Leben, und weil sie finden, daß das Leben nicht nur aus Spaß besteht, nehmen sie ihre Kunst sehr ernst. Popmusik ist für Sadier etwas, „was sie Dinge tun läßt“ – und Pulp sind für sie mehr als eine Horde 15jähriger Mädchen, die „Jarvis!“ brüllen. Punk war für die Sängerin und Instrumentalistin ein Motor ihres Lebens. Sie ging nach England, um Leute zu finden, mit denen sie Musik machen konnte.
Neuerdings läßt Sadier ihre Liebe zum französischen Chanson in die Musik einfließen. Auf der neuen Platte der Band fanden melodiöse Jazz-Anleihen Eingang, die über groovenden Can- oder Faust-inspirierten Rhythmen schweben. Nach einem japanischen Film, den nie jemand der Musiker gesehen hat, heißt das Album „Emperor Tomato Ketchup“ , des Kaisers Pommes-Sauce, Herrschaftsanspruch versus Banalität. Da ist er wieder, dieser Kontrast, den Sadier als Dynamo ihrer Kreativität empfindet, so gegensätzlich wie sie und Gane: Er ist klein, sie ist groß – ein Liebespaar. „Wenn wir nicht verliebt wären, wäre die Musik nicht so gut, nicht so komplett“, sagt Sadier, „wir erkennen uns in der Musik, wir blühen mit ihr auf.“ Daran muß es liegen. Wahrscheinlich wurde diese Platte im siebten Himmel aufgenommen, wo alles voller Geigen hängt, und sich tänzelnde 7/4-Takte förmlich von selbst spielen. Es wundert überhaupt nicht, das Sadier simplen 4/4-Rock als Form für tot hält. Gegen die leichtfußigen und vibrierenden Stereolab-Beats klingt er in der Tat etwa so charmant und elaboriert wie archaisches Steineklopfen. „Natürlich ist ein Grund, warum so viele Leute Oasis mögen, daß sie einfach Angst vor dem Unbekannten, vor der Zukunft haben“, sagt sie.
Laetitia Sadier hingegen ist sehr erwartungsvoll, was die Möglichkeiten der Zukunft betrifft. Auch wenn man nach den kritisch-lyrischen Gegenwartsbeschreibungen in ihren Texten in dieser Frau nicht unbedingt eine Optimistin vermutet hätte. Kann sie gesellschaftlich etwas bewegen mit ihrer Musik? „Manchmal“, meint Sadier, „habe ich das Gefühl, daß es die Leute gar nicht mehr stört, schlechte Jobs zu machen oder von Werbung manipuliert zu werden.“ Sie empfindet ihr kritisches politisches Bewußtsein nicht als Gegensatz zu dem Plattenvertrag, den Stereolab für „Emperor Tomato Ketchup“ mit Warner abschloß. „Wenn man etwas verändern will, muß man in der Lage sein, mit dieser Welt zu leben“, sagt Sadier entschlossen, „das Leben besteht aus Widersprüchen.“