Mark Greif – Tschüss, cooles Wissen
Mit seinen Texten zur Sozialfigur des Hipsters liefert der US-Journalist Mark Greif eine Analyse unserer Gegenwart.
Das Neue Testament des subkulturellen Hasses besteht aus zwei handschriftlichen Zetteln im Schaufenster einer Galerie im nun ja – hippen Berliner Schwellenbezirk Neukölln. Auf dem ersten weist der Verfasser mit grafologisch verbriefter Wut auf eine Party am Abend hin, wobei insbesondere klargestellt werden soll, dass „Hipsters from the U.S.“ kein Einlass gewährt wird. Auf dem zweiten Blatt folgt eine leicht differenziertere Abrechnung mit der gegenwärtig unpopulärsten Sozialfigur jenseits des Finanzspekulanten: „Auch Personen, die amerikanische Hipster nachahmen, sind nicht willkommen.“ Die Schmerzgrenze an spanischen Hipstern und Touristen im Kiez sei längst überschritten.
Unterdessen sitzt Mark Greif in Sarah Wieners eher unhippen Restaurant in Berlin-Mitte und wartet auf eine Gemüsesuppe. Der Mitbegründer der linksintellektuellen New Yorker Zeitschrift „n+1“, die dem Hipster 2009 eine Tagung widmete, bringt derzeit nicht nur soziologischen Ordnungssinn und etwas Terminologie in die Polemiken gegen den Hipster. Greif hat als affirmativer Feldreporter auch über den gegenkulturellen Funken Amerikas, die Occupy-Bewegung, berichtet und über beide Phänomene kluge Essays veröffentlicht, die innerhalb eines popliterarischen Referenzsystems durchaus zu einer Zeitdiagnose verschmelzen. Auf seiner ersten Lesereise durch das Land der Dichter und Denker war Greif prompt ein derart gefragter Gesprächspartner, dass der „Spiegel“ hinterher frotzelte, der Literat sei wie David Hasselhoff: Er gelte nur in Deutschland etwas.
Das Neuköllner Galeriefenster ist auch in dem von Greif herausgegebenen Band „Hipster – eine transatlantische Diskussion“ abgebildet. Das Buch ist als Diskursmitschrift zu lesen, die in einem ähnlich mürrischen Tonfall daherkommt, mit dem man auch dem wendigen Klischee des weißen, männlichen Hipsters in all seinen modischen Eskalationsstufen an der Bordsteinkante und im Internet begegnet.
Ein einsames Foto in Greifs Diskussionssammlung zeigt Thelonious Monk, den Godfather der Hipster. Aber: „Jeder Versuch, die Hipster zu beschreiben, ist letztlich zum Scheitern verurteilt, weil darin am Ende nie alle die Hipster wiedererkennen, denen sie selbst begegnet sind“, sagt Greif. Erhellender als jede neue Definition entlang umetikettierter Mode-Statements oder einer Subkultur ist der Blick auf die Genealogie des Hipsters. In seiner historischen Urform hatte der afroamerikanische Hipster seine gesellschaftliche Isolation mit Hilfe des Bebop symbolisch überwunden, ehe sich die Beat-Generation dieses geheime Wissen in einer noch weithin rassistisch verklärten Sehnsucht nach widerständiger Authentizität und Exzentrik einverleibte. Diese existenzielle Pose, die auch Norman Mailer 1958 in seinem Essay „The White Negro“ hervorhebt, ist anscheinend bei den Rangeleien zwischen den Subkulturen verloren gegangen.
Das Perpetuum mobile der sozialen Distinktion hat sich durch die digitale Gleichzeitigkeit von Alt und Neu dennoch immer schneller weitergedreht. Doch es ist Greif gelungen, für den Zeitraum seit Ende der 90er-Jahre die aus New York in alle Welt exportierte Figur des Hipsters trotz ihrer Mehrdeutigkeit ziemlich punktgenau zu bestimmen: als narzisstischen Konsumenten ohne politische Agenda, was ihn als Produkt einer neoliberalen Ideologie entlarvt. Als ironischen Nostalgiker, der mit dem Stil unterprivilegierter Milieus kokettiert. Als virtuosen Trittbrettfahrer des Online-Kapitalismus, der Mode global einkauft und Musik illegal herunterlädt. Als neue Speerspitze der Gentrifizierung, der im Gegensatz zum Künstler der Sinn für Vergemeinschaftung fehlt. Und nicht zuletzt: als aussterbende Spezies, weil ihr Wissensvorsprung vor der Kulturindustrie ständig zusammenschmilzt – und der Hipster rund um seinen 30. Geburtstag die Lust am Spiel mit coolem Wissen ohnehin verliert.
Mark Greif lacht laut auf. Dabei ist auch er in seinem Urteil altersmilde: „Zumindest in New York sind die Hipster wieder etwas netter – ihre Musik ist auch besser geworden“, sagt der Postpunk-Fan und lobt Animal Collective. Als er sich erhebt, fällt ihm noch etwas ein. Er erzählt von Jeff Mangum von Neutral Milk Hotel, der im letzten Herbst als erster Musiker ein spontanes Akustik-Konzert für die Occupy-Bewegung im Zuccotti Park spielte. Greif stand in der ersten Reihe. Neben ihm säuselten Aktivisten und Hipster einträchtig bei dem Cover des Minutemen-Protestsongs „Themselves“ mit: „All these men who work the land/ Should evaluate themselves and make a stand/ Can’t they see beyond the rhetoric/ The lies and promises that don’t mean shit.“