ANDY WARHOLS FACTORY – Marilyn, Suppendosen und The Velvet Underground
Marilyn, Suppendosen und The Velvet Underground - in ANDY WARHOLS FACTORY tobte die Avantgarde der Sechziger Jahre. Eine neue Ausstellung würdigt den Künstler
Es war ein schöner Herbsttag des Jahres 1965, als Papst Paul IV. dem jungen Andy Warhol eine Lektion erteilte. Der Papst in New York City! Allein die Aufregung, die der Kurzbesuch schon im Vorfeld verursachte, gemahnte an ein Pop-Ereignis. Nach der Landung auf dem Kennedy-Airport absolvierte der „Heilige Vater“ an nur einem einzigen lag Auftritte in Hartem und Queens, in der St. Patricks-Kathedrale, im Waldorf Astoria, bei den Vereinten Nationen, im Yankee-Stadion und auf einer Kunstmesse. Als er nach seinen Eindrücken gefragt wurde, sagte er: „Tutti buoni“ – Alles ist gut. Und flog noch am selben Abend nach Rom zurück.
Der päpstliche Kraftakt hinterließ bei Andy Warhol nachhaltigen Eindruck: „Ich habe an diesem lag eine Lektion gelernt In so kurzer Zeit soviel zu schaffen, mit soviel Stil – das ist der Inbegriff von Pop.“
Vielleicht hat der Papst den Künstler sogar gesehen. Auf dem Weg zur UNO fuhr er an der Factory vorbei Unten winkte der katholische Superstar, oben standen Warhol und seine Gäste am Fenster und drückten sich die Nase platt.
Effizienz gepaart mit Glamour – genau diese Verbindung wollte Warhol auch in seiner Factory herstellen. Natürlich war das ein Ort, „wo immer interessante Leute herumhingen“, wie sich Moe Tucker heute erinnert Praktisch jeden Abend war irgendwo eine Party – um rund um die Uhr wachbleiben zu können, schluckten die Gäste massenweise Amphetamine. Doch es sollte mehr sein als ein Salon oder ein offenes Atelier. Für Warhob engeren Zirkel war die Factory schließlich auch ein Arbeitsplatz. „Hier wurde tatsächlich gearbeitet wie in einer Fabrik“, bestätigt Gerard Malanga, damals Warhols Assistent Auch der Filmemacher und Warhol-Manager Paul Morrissey erinnert sich an ein Büro – „und nicht an eine Dauerparty“.
Als einer der ersten Künstler liebte Warhol Hollywood, das Fernsehen und die großen Werbetafeln am Times Square. 1962 hatte er seine ersten Suppendosenbilder ausgestellt – ein kleiner Skandal in der Kunstwelt, die zu dieser Zeit vom Abstrakten Expressionismus beherrscht wurde. Als Warhol hörte, Picasso habe in seinem Leben mehrere hundert Meisterwerke geschaffen, fragte er sich: „Kann man soviel nicht auch an einem Tag schaffen?“ Aber für ein solches Unternehmen brauchte man kein Atelier. Sondern eben eine Fabrik.
Im November ’63 bezog Andy Warhol die Räume in der East 47di Street, nur einen Block vom UN-Gebäude entfernt 400 Quadratmeter im fünften Stock, Zugang nur über den Lastenaufzug, Vermieter war ein Hutfabrikant Das paßte gut, der Name des neuen Ateliers stand somit fest: Factory. Bald darauf wurden die Räume mit Aluminiumfolie dekoriert Silber stand laut Warhol für Astronauten und damit für die Zukunft Außerdem erinnerte ihn Silber an SpiegeL Die Factory sollte auch ein Laufsteg für Narzißten sein.
Und sie war effizient: Zu Warhols engstem Mitarbeiterstab gehörten der Beat-Poet Gerard Malanga und der Filmemacher Paul Morrissey. „Spätestens um die Mittagszeit kam Andy in die Factory“, so Malanga. „Dann begann die Arbeit“ Malanga assistierte beim Siebdruckverfahren, Morrissey betreute die gesamte Filmproduktion von „Flesh“ bis „Andy Warhol’s Dracula“. und überwachte die Produktion von Fotos, Werbung, Plakaten, Büchern, Zeitschriften. Zudem nimmt er für sich in Anspruch, „The Velvet Underground & Nico“ produziert zu haben: „Andy hat keinen Finger gerührt. Ich war es, der dafür gesorgt hat, daß die Platte diesen Sound hat. Ich bin heute noch stolz darauf.“
Die Factory war auch glamourös: Hollywood war weit weg, also kürte Warhol einfach seine eigenen Diven und ernannte Factory-Gäste zu „Superstars“: Sie inspirierten den Künstler, der von sich aus wenig Glamour entfalten konnte. Vor allem Edie Sedgwick, eine androgyne Schönheit aus gutem Hause, machte „Karriere“ als Warhols Busenfreundin. Sie nahm harte Drogen, wurde von Nico in „Femme Fatale“ besungen und lief später ins konkurrierende, heterosexuell geprägte Bob Dylan-Lager über. Zu Warhols Entourage gehörten außerdem schillernde Bohemiens wie Ondine, Ingrid Superstar, Candy Darling und Ultra Violet Später kamen auch echte Berühmtheiten: Judy Garland, Tennessee Williams, RudolfNurejew. In den Siebzigern gehörten Mick und Bianca Jagger, Liza Minelli und Truman Capote zu Warhols Zirkel Als Kunstmaschine und Bühne für einen homosexuell geprägten Underground wurde Andy Warhols Factory zum Mythos, demsich jetzt eine Ausstellung im unscheinbaren VW-Städtchen Wolfsburg widmet: „Andy Warhol: A Factory“ ist bis zum 10. Januar im dortigen Kunstmuseum zu sehen. Die Schau wurde in Zusammenarbeit mit dem New Yorker Guggenheim Museum entwickelt und feiert Andy Warhol als Salonbetreiber, Mentor und Inspirator. Präsentiert werden Siebdrucke, Plakate, Videos und Filme aber auch Dokumente und Devotionalien wie eine von Lou Reed benutzte Gitarre oder ein Anzug von Sterling Morrison. Insgesamt sind über 700 Exponate zu bewundern, angeordnet in einem Gänge-Labynnth, das an einen Supermarkt erinnern soll.
Darin kann man einige Entdeckungen machen. Natürlich sind auch die bekannten Warhol-Fetische zu sehen: Die lächelnde Marilyn, das Bananencover, Campbell’s Suppendosen. Weniger bekannt dürften aber einige Plattencover sein, die Warhol in den funfziger Jahren für Blue Note gestaltet hat. Seine Fernseh-Arbeiten laufen in Endlosschleife auf einem der Bildschirme, darunter auch die Serie „Andy Warhol’s 15 Minutes“ und ein Video der Cars, in dem Warhol zu sehen ist.
Die Ausstellung macht deutlich, daß Andy Warhol ein früher Vertreter der Postmoderne war: multimedial und omnipräsent, immer überreizt und inhaltlich nicht faßbar. Und wenn man bei anderen Künstlern manchmal etwas befremdet ist, wenn man ihre Werke im Museumsshop als Mousepads wiederfindet, so ist die lückenlose Vermarktung in diesem Fall nur logische Fortsetzung seiner Werke: Warhol-Socken, Warhol-Tassen, Warhol-Krawatten – all das hätte er sicher noch gerne selber hergestellt. Er hatte einfach nur keine Zeit mehr dazu.
Als die sechziger Jahre vorbei waren, wurde auch die Factory gesättigter und etablierter. Nach mehreren Umzügen nannte Warhol sein Atelier immer häufiger „The Office“. Allerdings gab es Ende der siebziger Jahre in New York noch einmal einen Ort, an dem sich Subkultur und Establishment auf ähnlich erregende Weise vermischten wie in der ersten Factory. Dieser Ort war die Discothek „Studio 54“. Andy Warhol gehörte zu den Stammgästen.