Marilyn Manson in Berlin: In einer dunklen Welt aus Show, Hass und Schmerz

Nach einem Missbrauchsskandal hatte sich Marilyn Manson aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Jetzt ist er nach sieben Jahren zum ersten Mal wieder in Berlin. In die ausverkaufte Columbiahalle hat er eine deutliche Botschaft mitgebracht.

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Der selbsternannte Antichrist ist vergangene Woche in einer Welt gelandet, die ihm, oder zumindest seiner Philosophie, auf beängstigende Weise entspricht. Der Tag, an dem Marilyn Manson zum ersten Mal seit sieben langen Jahren einen Auftritt auf deutschem Boden absolviert, ist der Tag, an dem die Mächtigen der Mächtigsten die alte Weltordnung aufkündigen und bei einem Terroranschlag zwei Menschen ihr Leben verlieren, alles nur ein paar Kilometer entfernt vom Münchener Zenith, wo Manson sich am Donnerstag für, nun, man kann das schon so sagen, sein Comeback feiern ließ. Marilyn Manson ist wieder auf Tour und er bereist eine Welt, die sich mit ihren moralischen, kulturellen und bürgerlichen Abgründen weiterhin im rasanten Verfall befindet. Ein Verfall, der sich in der von Brian Warner geschaffenen Kunstfigur Marilyn Manson und ihrem Werk schon immer gespiegelt hat.

Aber etwas ist anders im Februar 2025, denn es ist dieses Mal nicht nur die äußere Welt, die da in Trümmern liegt, sondern zum großen Teil auch seine eigene. 2021 wurden massive Vorwürfe gegen Manson laut, die bis heute nicht wirklich ausgeräumt sind, auch wenn sie juristisch mittlerweile niedergelegt wurden. Gegen Manson wurden Missbrauchs- und Vergewaltigungsanschuldigungen erhoben, die er zwar scharf dementiert hatte, aber dennoch dazu führten, dass ihn Label und Management vor die Tür setzten und Manson sich für Jahre komplett aus der Öffentlichkeit zurückzog. Jetzt ist er wieder zurück, mit einer neuen Platte im Gepäck und einer nahezu komplett ausverkauften Europatour im Rücken. Nach seinem Konzert in München steht nun also Berlin auf dem Plan.

Marilyn Manson – das komplette Konzert:

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Es liegt noch Schnee auf den Straßen und vor der restlos ausverkauften Columbiahalle bricht gerade ein weibliches Manson-Lookalike-Fangirl zusammen, die kein gültiges Ticket besitzt und nicht in die Halle darf. In der Halle hingegen haben sich alte Metalheads mit Metallica-Kutten, aufgetakelte Szene-Girls, Millennial-Nostalgiker, Fetisch-Leute und die ein oder andere verlorene Seele eingefunden. Die Frage, die sich an diesem Abend stellt, ist die Frage, welchen Marilyn Manson uns Brian Warner heute präsentieren wird. Den einsichtig gereiften Künstler, der sich und seine Vergangenheit reflektiert oder den Ich-Gegen-den-Rest-der-Welt-Manson. Gut, vielleicht stellt sich die Frage auch nur dem Autoren dieser Zeilen, denn der weitaus größere Rest jubelt Manson frenetisch auf die Bühne, komme was da wolle.

„Sie haben versucht mich euch wegzunehmen“

Pünktlich um 21 Uhr fällt der Vorhang und Manson steht mit seiner zum Teil neu formierten Band auf der Bühne um die Frage schon in den ersten Sekunden zu beantworten. Trotzig beginnt er sein Set mit „Nod when Your Right“: No reason to ask forgiveness / Pain is the language that was spoken to me / And now it’s my time to answer. Ein Song, stellvertretend für sein gesamtes letztes Album, „One Assassination Under God“, das in Summe eine scharfe Erwiderung auf die Vorwürfe ist, denen sich Manson ausgesetzt sah.

Das titelgebende Attentat, dass unter Gottes Augen begangen wurde ist folgerichtig, das Attentat auf seinen Ruf, er stilisiert sich als Opfer einer großangelegten Kampagne gegen ihn. Entsprechend begrüßt er das Publikum in Berlin mit einer Fraternisierung: „Sie haben versucht mich euch wegzunehmen, sie haben versucht, euch mir wegzunehmen“, klagt Manson. „Aber sie haben es nicht geschafft“, stellt er trotzig und scheinbar auch ganz richtig fest um dann „Disposable Teens“ anzuspielen und vollends abzutauchen in eine dunkle Welt aus Show, Hass und Schmerz.

One Asassination under God:

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Allerspätestens bei dem hypnotischen „Tourniquet“ hat er das Publikum dann in Gänze in seinem Bann, es gibt in der Columbiahalle keinerlei Distanz mehr zwischen Künstler und Crowd, Marilyn Manson ist jetzt ganz bei sich selbst. Und sein Publikum bei ihm. Auch das ist an diesem Abend keine Selbstverständlichkeit. Manson war in den mittleren 1990er- und frühen 2000er-Jahren eine Instanz, ein düsterer Prophet des Rock’N’Roll, der seine Abgründigkeit mit einer beeindruckenden, philosophischen Tiefe unterfütterte. Die gesellschaftlichen, politischen und menschlichen Abgründe waren die künstlerische Essenz in seinem Werk, nur irgendwann war die Geschichte von einem moralisch-verkommenen konservativen Amerika auserzählt. Spätestens als seine einst aufrichtige Wut auf das heuchlerische Entertainment-System, nur noch zu einer Pose verkam, weil er längst selbst zum Profiteur genau jenes System geworden war.

Spätestens nach „The Golden Age Of Grotesque“ (2003), in der Manson sich von einem zirzensisch-grotesken, zu einem faschistisch-überzeichneten Ästhetizismus gesteigert hatte, war er auch kreativ an ein Ende gelangt. Der Schock-Rocker hat alle Effekte ausgereizt, jedes Bild gezeichnet, jeden Abgrund ausgeleuchtet, das Narrativ hatte sein Ende gefunden. Manson war von diesem Punkt aus ein Suchender, der seine Rolle nicht mehr fand. Mal versuchte er es bluesig, nahezu bowiesk auf „The Pale Empereor“ (2015), dann experimentell reduziert bei „We Are Chaos“ (2020), wurde aber von Album zu Album stromlinienförmiger. In dieser Phase entstanden sechs gute, zum Teil wirklich sehr gute Alben, die aber nicht mehr dem Prinzip der künstlerischen Destruktion entsprachen, um in der Welt des Marilyn Manson noch zu funktionieren.

This is the New Shit:

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Entsprechend konsequent klammert Manson in Berlin diese Phase seines Schaffens zwischen 2007 und 2024 auch komplett aus. Er spielt lediglich Songs aus der Goldenen Ära zwischen von „Antichrist Superstar“ (1996) bis zu „The Golden Age Of Grotesque“ (2003) und stellt gleichbereichtigt sechs seiner neuen Songs daneben. Die Show, die Manson liefert, ist fantastisch. Manson, mittlerweile clean, ist so gut, so körperlich präsent, dass er sich nicht mehr hinter Show-Schock-Effekten und Kostümen verstecken muss, seine reine physische Präsenz trägt den gesamten Abend. Das Bühnenbild besteht lediglich aus einer paar umgedrehten Lichtkreuzen und etwas Kunstnebel. Manson räkelt sich, gestikuliert wild, schneidet Grimassen, schreit, keift, brüllt, singt mit der Aura eines dunklen Priesters, fängt das Publikum ein, das ihn euphorisch feiert, lässt es wieder los, holt es zurück. Bei „This is the new shit“ und „mOBSCENE“ ist das Publikum stellenweise lauter als die Band, die mit Gitarrist Reba Meyers von Code Orange brutal aufspielt und Mansons Performance einen drückenden, stellenweise wahnsinnigen Soundteppich erspielt.

Und auf einmal verschwimmt die Grenze von Kunst und Realität

Als er gegen Ende des Abends seine Interpretation von „Sweet Dreams“ anstimmt, der Bass von Ex-Rob Zombie-Bandmember Piggy D einen gegen die Wand drückt, lässt sich zunächst nicht mehr unterscheiden, ob er oder das Publikum das Stück singen, erst als er gegen Ende die Zeilen „Some of them want to use you / Some of them want to get used by you / Some of them want to abuse you / Some of them want to be abuse“ aus tiefster Seele in sein Mikrofon brüllt, dominiert er wieder die Show und macht sehr deutlich, dass es hier nicht bloß um Entertainment geht, sondern auch um ihn, um seine Stellung in der Welt, die er zurückhaben will.

Manson hat Kunst nie als Antwort, sondern immer als ein Instrument, als eine Form verstanden, vermeintliche Gewissheiten in Frage zu stellen. Das tut er nun auch, indem er der medialen Vorverurteilung, der er sich ausgesetzt fühlte, seine Gewissheit entgegenstellt, bloß ein Opfer falscher Anschuldigungen zu sein. Nicht nur sein neues Album, auch seine gesamte Show ist durchdrungen davon, und ja, daraus entsteht große und zum ersten Mal seit langer Zeit auch wieder relevante Kunst, wie man an diesem Abend sehen konnte. Denn ja, Warner ist immer dann besonders gut, wenn er vor den Trümmern einer Welt steht, die er neu zusammensetzen kann. Es ist nahezu grotesk, dass es die Trümmer seiner Welt sein mussten, die es gebraucht hat, um in ihm künstlerisch wieder in den Underdog-Status zu versetzen, den er braucht um musikalische Höchstleistungen zu erbringen.

In Berlin steht die Fassade noch

Sollte es nun aber so sein, dass er dieses Mal nicht bloß die Trümmer zusammensetzt, sondern er auch derjenige war, der sie zu verantworten hat, dann dürfte Marilyn Manson eines Tages als Konstrukt vor Brian Warner zusammenfallen.

Und was bleiben würde von der großen Show und dem inszenierten Exzess, das ist dann bloß noch die ungeschminkte Tragödie. In Berlin steht die Fassade noch. Und die Show geht weiter.