Marianne Revisited
Dem Folk-Faible und den Pop-Hits folgte ein Flirt mit Country, dann der erfahrungsbedingte Wechsel ins Expressive und Ernste. Eine Auswahl ihrer besten Alben.
COME MY WAY (1965) Deccas Marketing-Abteilung war nicht amüsiert, nannte es „schizophren“, doch war Marianne nicht davon abzubringen, an einem Tag im Mai gleich zwei Debüt-LPs ins Rennen um die Gunst der Käufer zu schicken. „Come My Way“ repräsentierte ihre Folk-Seite, akustisch instrumentiert und auch dann mit jungmädchenhaftem Charme vorgetragen, wenn das vorwiegend tradierte Material nach mehr verlangte als Verklärung der romantischen Art. Ian & Sylvias „Four Strong Winds“ indes geriet sehr hübsch, Lonnie Donegans „Lonesome Traveller“ flott, der Single-Flop „Blowin‘ In The Wind“ blieb außen vor. 3,5
MARIANNE FAITHFULL (1965) Die Pop-Alternative bestand aus einem eklektischen Stilmix, zusammengehalten von Mike Leanders effektvoller Produktion und Mariannes graziler, leicht tremolierenden Stimme. Neben den beiden Top-10-Hits „As Tears Go By“ und „Come And Stay With Me“ bezaubern vor allem „What HaveThey DoneToThe Rain“ von Melvina Reynolds, das die Searchers gerade in die Charts gehievt hatten, „If I Never Get To Love You“ von Bacharach/David und John Lennons bitteres „I’m A Loser“. Beide LPs schafften es in die Top 20, doch erwiessich zum allgemeinen Erstaunen „Come My Way“ als der beständigere Seiler. 4,0
NORTH COUNTRY MAID (1966) Weshalb Marianne mit dem Wunsch, ein weiteres Folk-Album nachzuschieben, zwar keine offenen Türen bei Decca einrannte, damit aber immerhin durchkam. Gesanglich gereift und nur begleitet von einer Gitarre und sparsamer Percussion, gelingen ihr so sittsame wie unpeinliche Interpretationen überlieferter Folk-Songs wie „Scarborough Fair“ und „Wild Mountain Thyme“, sowie zeitgenössischen Materials wie Donovans „Sunny Goodge Street“ oder „Green Are Your Eyes“ aus der Feder von Bert Jansch. „Cockleshells“ wurde speziell für sie geschrieben, von einem gewissen Mick Taylor, seinerzeit noch Session-Gitarrist. 4,0
LOVE INA MIST «967; Die Anzeige versprach „A beautiful singer sings 14 beautiful songs in a wistful mood“, doch fand der schönen Sängerin Nachdenklichkeit nur schwer Gehör inmitten geschwätziger Harpsichords, Chöre und Orgeln. Tim Hardins „Don’t Make Promises“ vertrug den Shuffle-Beat und die Bläser-Akzente, andere Cuts litten unter Leanders bisweilen einfallslosen Streichern oder erwiesen sich bereits kompositorisch als ungeeignet wie „I Have A Love“ aus „West Side Story“. Marianne Faithfull selbst wusste schon zu überzeugen, verlieh zwei Donovan-Tunes einigen Glanz und wirkte nur auf Bob Linds „Counting“ etwas uninspiriert. 4,5
BROKEN ENGLISH (1979) Nach jahrelanger Studio-Abstinenz und halbherzigen Versuchen im Country-Idiom auf dem NEMS-Label wirkte die brutale Selbstentblößung und musikalische Radikalität von „Broken English“ wie ein Schock. Faithfulls Stimme hatte alle Unschuld verloren, klang rau, verlebt und verrucht. Was den besseren Tracks zugute kam, dem adäquat bösen „Witches“ Song“ etwa oder dem Suchtgeständnis „Guilt“, den schwächsten freilich nicht retten konnte: „Why D’Ya Do It“, ein obszönes Stück Pseudo-Reggae mit pampigen Synth-Drums. Ein sehr erfolgreiches Album dennoch, dank der Hit-Single „The Ballad Of Lucy Jordan“. 3,5
STRANGE WEATHER (1987) Hatte sich die Gesangskünstlerin mit „Broken English“ selbst neu erfunden, so verwalteten die folgenden Platten nur ihre Reputation. Mit „Strange Weather“ übertraf sie dann alle Erwartungen, an ihrer Seite exzellente Musiker wie Bill Frisell, Robert Quine und Mac Rebennack, Songs von Tom Waits, Bob Dylan und Leadbelly transformierend. „The fabulous Marianne Faithfull“. so Terry Southern in den Liner Notes begeistert, „takes up where Lotte Lenya and Marlene Dietrich leave off.“ Etüden von Reue, Trauer, Schmerz, Einsamkeit und verlorener Jugend. Und noch mal „As Tears Go By“, altersweise nun. 4,5