Marianne Faithfull – Über Keith Richards, Nico, Ulrike Meinhof, John Lennon und ihr neues Album „Easy Come Easy Go“.
Man sieht sofort, dass sie einst die schönste Frau der Welt war. Eine eindrucksvolle Erscheinung ist Marianne Faithfull immer noch: schwarzes Brokatkleid, kaum Falten und der faszinierende Kontrast aus straßengeschulter Stimme und distinguierter Ausdrucksweise – sophisticated, very British. Eben hat die 61-Jährige mit einem gediegenen Ensemble erstmals seit „Strange Weather“ wieder ein komplettes Album unter der Führung von Hai Willner erarbeitet. Alles live und in einem Rutsch, kaum Overdubs. Für „Easy Come Easy Go“ suchten die beiden Songs von Randy Newman und Billy Holiday ebenso aus wie Beiträge aktueller lndie-Bands. Zur Seite standen bei den Aufnahmen in New York u.a. Antony, Jarvis Cocker, Nick Cave, die McGarrigles sowie ein alter Freund aus stürmischen Zeiten: Keith Richards.
Eignen Sie sich anderer Leute Songs auf ähnliche Weise an wie Filmrollen?
Es gibt Parallelen, aber eigentlich lässt sich das nicht vergleichen. Filmrollen sind vergänglich, während meine liebsten Songs mit den Jahren immer mehr zu einem Teil von mir selbst geworden sind. Deshalb ist mir die Musik auch weitaus wichtiger als die Filmcrew.
Wie haben Sie ihre Duettpartner für „Easy Come Easy Go“ ausgesucht?
Da helfen mir vor allem die Kinder meiner Freunde. (lacht) Diesmal kannte ich allerdings die meisten bereits – bis auf Teddy Thompson. Ich liebe seine Stimme ebenso wie die Arbeit seiner Eltern, Richard und Linda Thompson.
Arbeiteten sie gemeinsam im Studio oder sendeten Sie Files hin und her?
Unterschiedlich. Rufus (Wainwright) und ich kamen beispielsweise überein, getrennt zu arbeiten. Wir hatten es gemeinsam versucht, aber es funktionierte nicht. Sein Part ist sehr anspruchsvoll, fast wie ein Choral, da brauchte es Ruhe und Konzentration. Übrigens haben wir alle Mitwirkenden bezahlt. Das gebietet der Respekt vor diesen fantastischen Musikern.
Sie gelten als schnelle Arbeiterin, in den Sechzigern waren Sie bei Technikern als one-track-Faithfull bekannt…
Damals war es üblich, so zu arbeiten. Leute wie Miles Davis und Coltrane nahmen ihre Alben innerhalb weniger Tage auf. So entwickelt sich eine spezielle Energie, die sich nicht einstellt, wenn man endlos an Details herumbastelt.
Die Zusammenarbeit mit Keith Richards öffnet uns einmal mehr die Tür für die obligatorischen Stones-Fragen…
Natürlich sehe ich Mick und Keith von Zeit zu Zeit auf ihren Shows und auch privat. Aber auf der Gefühlsebene kann ich kaum noch eine Verbindung zu damals herstellen, dafür sind all diese Dinge zu lange her. Ich hege die gleichen Gefühle für Keith wie für viele meiner alten Freunde – und ich habe eine Menge alter Freunde.
Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, sie beide die Zeile „Make my old memories come alive“ aus Merle Haggards „Sing Me Back Home“ singen zu hören. Würden Sie nicht einige gemeinsame Erinnerungen lieber ausblenden wollen?
Um keinen Preis der Welt, ich liebe diese Erinnerungen, sie sind ein Teil von mir. Als ich mit Keith den Song aufnahm, hat sich ein Kreis geschlossen. Kennengelernt hatte ich „Sing Me Back Home“ nämlich durch seine Version mit Gram Parsons. Keith ist so unglaublich musikalisch, es war toll, mit ihm zu arbeiten.
Dann fühlen Sie sich also niemals als Gefangene ihrer eigenen Biografie?
Im Gegenteil. Ich empfinde die Dinge, die ich erleben durfte, als großes Glück und Privileg.
Im Gegensatz zu Leuten wie Nico sind Sie ja auch immer noch am Leben.
Ich traf Nico erstmals 1964. Sie war talentiert und interessant. Allerdings auch ziemlich arrogant, wie man sagen muss. Ein harter Hund, sie hat niemanden an sich rangelassen. Heute weiß ich natürlich, dass das einfach ihre Art war, sich selbst zu schützen. Damals allerdings hat sie mich ganz schön eingeschüchtert mit ihrer Art.
Wie haben Sie sich die sehr männliche Perspektive von Morrisseys „Dear God Please Help Me“ angeeignet? Dachten Sie darüber nach, die Zeile „I’ve got explosive kegs between my legs“ zu ändern?
Nein, zu keinem Zeitpunkt. Der sexuelle Aspekt des Songs hat mich wenig interessiert. Mich faszinierte vor allem der Dialog mit Gott in der Titelzeile, dieses sehnsüchtige Flehen nach Erlösung.
Sie wurden katholisch erzogen, wie ist Ihr Verhältnis zur Kirche heute?
Ich würde mich selbst als genesende Katholikin bezeichnen. Es bedarf einiger Anstrengung, diese Indoktrination hinter sich zu lassen.
Haben Sie darüber Ihren Glauben verloren?
Ich glaube nicht an Gott, wohl aber an eine höhere Energie, die mir und jedem hilft, der bereit ist, diese Hilfe zuzulassen. Am ehesten bin ich den Ideen des Buddhismus zugeneigt, vor allem in ihrer Ablehnung eines allmächtigen Schöpfers.
„Broken English war damals Ulrike Meinhof gewidmet. Haben Sie die aktuelle Debatte in Deutschland um die Verfilmung der Geschichte der RAF verfolgt?
Gerade gestern habe ich einen Bericht darüber im Fernsehen gesehen. Man wundert sich ja, dass das nicht schon längst verfilmt wurde, ist ja eine äußerst interessante Geschichte. Ich hatte, ehrlich gesagt, immer Sympathien für die Baader-Meinhof-Gruppe.
Muss sich Ihre Generation grundsätzlich vorwerfen lassen, die Taten der RAF und ähnlicher Gruppierungen romantisiert zu haben?
Was mich betrifft, so habe ich auch die blanke Gewalt der Taten gesehen, „Broken English“ ist ja diesbezüglich ziemlich eindeutig. Trotzdem war da auch eine gewisse Zuneigung, vielleicht ist das typisch für meine Generation. Ich konnte die Wut auf die herrschenden Verhältnisse nachvollziehen. Viele von uns haben ähnlich empfunden. Wir hatten z.B. sehr romantische Vorstellungen, wie das britische Rechtssystem aussehen sollte, und die wurden zu dieser Zeit aufs Schlimmste enttäuscht. Nur dass sich die daraus folgende Aggression gegen mich selbst gerichtet hat statt gegen andere – was der Grund war, warum ich Drogen genommen habe, wie ich heute weiß.
Es gibt ja auch einen dritten Weg, den gänzlichen Gewaltverzicht, wie ihn etwa der späte Lennon propagiert hat.
Heute habe ich vor seinem Wirken Respekt. Allerdings fanden wir damals, dass John es mit seinen bed-ins und dem ganzen Kram ein bisschen übertrieb. Hinter seinem Rücken haben wir uns darüber lustig gemacht.
Die Naivität der Hippies in politischen Fragen wirkt aus heutiger Perspektive tatsächlich ein bisschen lachhaft.
Das war sie bereits damals, glauben Sie mir. (lacht)