Marah/Nick Hornby – Hamburg, Knust
Die Retrokapelle Marah aus New Jersey hat ihren größten Fan gleich mitgebracht: Nick Hornby erklärt die Mysterien seiner musikalischen Sozialisation
er Pop-Literat und seine Lieblingsband. Kleine Fußball-Analogie? Okay. Wenn Marah ein Arsenal-Trikot tragen könnten, sagt Nick Hornby vor der Show, dann wären sie das Team von 1998. Petit und Viera im Mittelfeld, davor Overmars, Bergkamp, Anelka – mithin „eine Mannschaft, die attackiert“.
Doch vor die Rock’n’Roll-Attacke der Bielanko-Brüder hat das in Hamburg erst zum fünften Mal aufgeführte Konzept die Lesung gesetzt. Der freilich der Angriff ja auch nicht fremd ist, auf die Lachmuskeln des gut gemischten Publikums und auf diese Streiche, die uns nur die Erinnerung spielen kann, so das Paradies gerade nicht greifbar ist. Mit der längst patentierten Mischung aus heiter Anekdotischem, helle Assoziativem und klar Analytischem taucht Hornby ein in die (Un-)Tiefen einer musikalischen Sozialisation, die anno ’72 mit Rory Gallagher und „Tore Down“ ihren Urknall erlebte. So schön konnte es nie wieder werden. Aber fast: Warum damals die Faces „alles hatten, was wir wollten“. Wie er ’75 bei einer Led Zep-Show den Punk erfand (und dann zur rechten Zeit am falschen Ort war, im kuscheligen Cambridge).
„Okay, Marah, make some noise“, fordert Hornby sogleich und geht erstmal ab. Machen sie. Sehr schönen Krach, „It’s Only Money, Tyrone“ aus dem eigenen Frühwerk. Später würzen sie Hornbys Vortrag mit Blues- und Drums-Einlagen und spielen die Faces (ein inniges „Debris“) und The Clash („Supermarket“) vermutlich besser, als die Originale es je konnten. Die schönste Lese-Passage des Abends führt Hornby zu einer Bob Marley-Show 1976. Da geht der „One Love“-Mythos und überhaupt alle Musik flöten in einer Posse um die gestohlene Handtasche seiner Begleiterin und die schiere Furcht auf seinem ersten gemischtrassigen Konzert. Aber hey, Kids, klar: „It was awesome“. Hornbys heikelste Aufgabe indes wartet noch: Die nackte Gegenwart lobpreisen, die – wie er uns doch selbst lehrte – keine Chance habe gegen diese Unmenge Vergangenheitsschleier. Doch genau deshalb liebe er Marah, für ihren Mut, sich als „contemporary curiosity“ in eine große, lange Ahnenreihe zu stellen. Natürlich kommt seine kleine Krönungsmesse zur „besten Live-Band der Welt“ nicht aus ohne die Saga der gestrandeten Loser, die im Pub nebenan um ein Bier und ihr Leben spielen. Das tun sie dann nach Hornbys Abgang auch im Knust. Oder tun zumindest verdammt überzeugend so als ob. Mit all den kleinen Posen, all der großen Sehnsucht, Wut und Verzweiflung hinter fiebriger Ekstase und verspielter Träumerei. Und sie siegen sogar über die Vergangenheit – und sei es nur, weil sie nicht die „crappy live versions“ ihrer Albumsongs spielen, die Hornby oft zu ertragen hatte. Wenn sie atemlos durch das grandiose „Roundeye Blues“ stampfen und dabei immer noch eine Schippe drauflegen, sind sie kurz die beste Bar-Band dieses Planeten.