Mann ohne Groove
Ein Norweger in New York: Sondre Lerche schreibt minimalistische Popsongs – und träumt von elektronischer Musik.
Sondre Lerche würde gern Dance-Pop machen – seine eigenen Bedürfnisse hindern ihn jedoch daran. Der norwegische Musiker ist kein Mensch, der sein Bauchgefühl ignoriert. „Meine Songs sind immer eher organisch“, seufzt Lerche etwas frustriert. „Dabei wollte ich schon immer Musik komponieren, bei der man zuhören, aber auch tanzen kann.“
„Organisch“, das definiert Sondre Lerche so: große Arrangements, viele Geräusche. Mit klassischem Singer/Songwriter-Pop verwebt er Bossa-nova-Rhythmen, die Streicher der Filmmusik der 50er-Jahre und die brachiale Schallkulisse so manches Grunge-Songs zu einem farbenfrohen Klangteppich. „Organisch“, das bedeutet für Sondre Lerche „lebendig“. So zumindest auf den Vorgängern seines siebten Studioalbums. „Ich habe nun ein paar Alben aufgenommen, die als maximalistisch beschrieben werden können“, erklärt er. „Ich wollte in die andere Richtung gehen und eine minimalistische Herangehensweise finden.“ Das bedeutet natürlich nicht, dass die romantischen Streicher und die großen Arrangements ganz verschwunden sind. Das bedeutet nur, dass sich der 29-Jährige auf seine Wurzeln besinnt, die er vor gut 20 Jahren geschlagen hat.
Mit acht Jahren hielt er seine erste Gitarre in der Hand und nahm klassischen Gitarrenunterricht, der ihn jedoch bald arg langweilte. Auf sein Bitten hin brachte sein Lehrer ihm die Musik Lateinamerikas näher, wodurch sich Sondre Lerche von den gewohnt westlichen Konventionen des Liedschreibens entfernte.
Auf diese Struktur hat er sich nun wieder besonnen. Es mag daran liegen, dass der Norweger seit mehreren Jahren in New York City lebt und sich so der amerikanischen Songwriter-Tradition angenähert hat. Er möchte jetzt vor allem in Ruhe arbeiten, weniger Drama erleben, gelassener sein. Jemand, der sich tagtäglich mit dem konstanten Fluss und den andauernden Veränderungen der Großstadt auseinandersetzt, muss rational bleiben und sein Leben strukturieren, um nicht vom Mahlstrom verschluckt zu werden. „Es hilft, einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn man in einer verrückten Stadt wie New York wohnt“, sagt der Songwriter. Dennoch, findet Lerche, sei sein Album auf eine jugendliche Weise aggressiv. „Ich glaube, das liegt an New York, da muss man ein bisschen mehr auf Konfrontation gefasst sein.“
So ist „Sondre Lerche“ ein kompaktes und kohärentes Album geworden, das weithin Raum für Spielereien lässt – „Tied Up To The Tide“ beginnt beispielsweise als sanfter, bluesiger Popsong und bauscht sich zum psychedelischen Instrumentenwirrwar aus Akkordeons, Keyboards und Gitarren auf, das wie eine Flutwelle über dem Zuhörer zusammenbricht. Und in dem Stück „Coliseum Town“ dürfen die Violinen wieder sanft seufzen. Seine Texte bestechen nach wie vor durch ironische Wortspiele, absurde kleine Geschichten und fast – na ja – sokratische Weisheit. „I think I know all things/ For example/ I know I know nothing“, singt er lakonisch in „Go Right Ahead“.
Es war nicht leicht für Sondre Lerche, seine Ruhe zu finden und sich mit dem Ergebnis zufriedenzugeben. Jemand, der große Töne gewohnt ist, muss sich sehr anstrengen, um kleine Brötchen zu backen. Stunden hat er in seinem Keller in Brooklyn an dem Album gebastelt, um in nächtelanger Kleinstarbeit die richtige Reihenfolge der Stücke festzulegen und die perfekten Übergänge zu finden. Doch, doch, eine Art Besessenheit sei es schon, glaubt Lerche – ein wenig überrascht ist er aber offenbar selbst von dieser Erkenntnis. „Es war auch wirklich schwer, sich von einigen Songs zu trennen, die wir bereits aufgenommen hatten. Aber am Ende hat es sich richtig angefühlt, ein so prägnantes Album zu produzieren, zu dem ich eine intensive Verbindung spüre.“
Was die elektronische Clubmusik betrifft, gibt er die Hoffnung indes nicht auf. Es ist wohl bloß noch nicht an der Zeit. Noch hat Sondre Lerche das Bedürfnis (und vor allem die Begabung), „untanzbare“ Popsongs zu komponieren. Aber wer weiß? „Vielleicht“, sagt er, „schaffe ich es doch irgendwann einmal, den Code zu knacken.“ Bald wird er ja 30 Jahre alt. Julia Maehner